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Magazin Mitbestimmung

Rezension: Arbeitsorientierte Wortführer

Ausgabe 04/2015

Zum Start ihrer Kommission "Arbeit der Zukunft" platzieren DGB und Hans-Böckler-Stiftung einen Band, der namhafte Fachleute und Wegbegleiter versammelt. Von Hans-Jürgen Arlt

Exakt ein Jahr nach seiner Wahl gibt der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann zusammen mit Claudia Bogedan, Abteilungsleiterin Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, den 520-Seiten-Sammelband „Arbeit der Zukunft. Möglichkeiten nutzen – Grenzen setzen“ heraus. Auch wenn gewiss helfende Hände und konsultierende Köpfe am Werk waren, auch wenn es Bogedan ist, die in einem Text über die „schöne neue Arbeitswelt“ das Buch zusammenfasst, auch wenn Hoffmann nur für zwei von 28 Beiträgen als Autor zeichnet – es ist von vorne bis hinten sein Buch. Wäre es ein Film, würde er für Idee und Regie verantwortlich zeichnen.

Zur rechten Zeit kommt die Publikation, weil Hoffmann mit ihr sowohl in seiner Funktion wie als Person die Botschaft senden kann: Der DGB und seine Gewerkschaften sind mittendrin in den Umbrüchen der Arbeitswelt, und ich bin voll dabei. „Die ersten 50 Jahre Computereinsatz waren nur das Vorspiel. Der digitale Umbruch in der Arbeitswelt beginnt jetzt“, hatte Andreas Boes, Vorstandsmitglied des Münchner Instituts für Sozialforschung, auf dem Berliner Neujahrsempfang der Hans-Böckler-Stiftung festgestellt. Die Digitalisierung lässt in der Wirtschaft wenige Steine auf den anderen, konfiguriert den Arbeitsmarkt neu, macht der Wissenschaft Kopfzerbrechen, beunruhigt die Politik, interessiert sogar den Journalismus. Auf diese aufgewühlte sozioökonomische Landschaft trifft die Publikation, die Hoffmann mit „Gestaltungsanforderungen an die Arbeit der Zukunft: Elf Thesen“ einleitet und dabei genauer ausführt, was er in seiner DGB-Kongress-Grundsatzrede proklamiert hat: „Mein, unser erstes Ziel muss sein, eine neue Ordnung der Arbeit durchzusetzen.“

Gewerkschaftsvorsitzende werden nicht dafür bezahlt, Bücher zu publizieren; sie werden auch nicht daran gemessen. Aber ein neuer Vorsitzender, der in der Mediengesellschaft diese Möglichkeit nicht wahrnimmt, versäumt etwas. Denn DGB-Vorsitzende führen keine Tarifverhandlungen und keine Arbeitskämpfe, sie führen (nur) das politische Wort, und das vorrangig in nichtöffentlichen Verhandlungssituationen. Ihr öffentliches Ansehen bildet sich aus den Kommunikationen über sie und aus den Beiträgen, die sie selbst leisten: strategische Reden zu bedeutenden Anlässen, interessante Interviews für Leitmedien, ein gut gemachtes Buch über den Tag und über den Tellerrand hinaus. Zum ersten Jahrestag seiner Wahl hat Hoffmann diese Chance beim Schopf gepackt.

RICHTUNG UND HALTUNG 

In der Sache wird Hardcore geliefert in diesem Wälzer, der seinen fast durchgängig wissenschaftlichen Anspruch ernst nimmt. Hier wird kein Platz für Bekenntnisschriftchen verschenkt, dem früheren Direktor des Europäischen Gewerkschaftsinstituts würde das nicht zu Gesicht stehen. Der erste Teil entfaltet unter der Problemstellung „Welche Einflüsse werden die Arbeit der Zukunft bestimmen?“ die relevanten Facetten des Arbeitsbegriffs, beginnend mit Jutta Almendingers und Ellen von Drieschs Aufsatz über „Bildung in Deutschland: Elf Mythen – elf Thesen“. Diesen Teil beschließt Ulrich Walwei, indem er der Frage nachgeht: „Was ist heute normal an Arbeit?“ Der zweite große Teil wechselt zwischen analytischen und normativen Perspektiven. Wie wird und wie sollte die Arbeit der Zukunft aussehen? Einen Aufsatz herauszuheben bedeutet immer auch, ein Geschmacksurteil zu fällen. Sei’s drum: Das Zusammenspiel von empirischer Substanz, kritischer Potenz und politisch-strategischem Zugriff in Gerhard Boschs „Eine neue Ordnung der Arbeit – Herausforderungen für die Politik“ sticht für mich hervor. 

Damit geschieht dem ganzheitlichen Blick und dem emanzipatorischen Impuls Unrecht, wie sie von so renommierten Forscherinnen wie Karin Schulze Buschoff, Christina Klenner und Kerstin Jürgens eingebracht werden. Den Kerlen, darunter nicht wenigen Kollegen, immer neu vorbuchstabieren zu müssen, dass Produktion ohne Reproduktion nicht zu bekommen ist, egal ob unter den Bedingungen von Ackerbau und Viehzucht, des Handwerks, der Maschine, des Automaten oder des Computers, hat seine eigene Tragikomik. 

Hier Industrie 4.0, 3-D-Druck und Crowdworking, dort soziale Sicherheit, Gesundheit und Work-Life-­Balance – diese übliche Spaltung in harte und weiche Themen sorgt mit dafür, dass so viele Leute an der Humanisierung der Arbeit nur das verklingende Echo des Rufs nach ihr kennenlernen. Eine neue Ordnung der Arbeit muss eine veränderte Reproduktionsordnung einschließen, das wird in diesem Buch in aller wünschenswerten Klarheit festgehalten.

Politisch zeichnet dieses Buch durchaus die Linien der (gewerkschafts-)politischen Biografie des DGB-Vorsitzenden nach. Es hat Richtung und Haltung: kritische Sozialpartnerschaft. Hoffmann hat mit dem rhetorischen Klassenkampf der Traditionslinken nichts am Hut, erst recht nicht mit dem praktischen Klassenkampf des Shareholder-Kapitalismus. Alte Mitstreiter tauchen auf wie Ulrich Mückenberger und Michael Schumann. Die internationalen Bindungen ziehen sich durch, die Genderfrage stellt sich genauso selbstverständlich wie die Gerechtigkeitsfrage,­ weil beide nicht zu trennen sind. Die Hans-Böckler-Stiftung wird von nicht wenigen Autorinnen und Autoren repräsentiert. Auch das ein Symbol: In der Stiftung beruflich groß geworden, von dort aus Europa erkundet, sich dann in Berlin etabliert, ist für Reiner Hoffmann das Düsseldorfer Haus ein zentraler Bezugspunkt geblieben.

Und am Ende noch ein organisationspolitisches Signal: Alle vier Vorstandsmitglieder des DGB zeichnen gemeinsam als Autoren des Schlusswortes. Wer Vorstände und deren­ Kooperationskultur kennt, egal ob in der Wirtschaft, der Politik oder wo auch immer, kann auch diese Botschaft lesen – als ein gutes Zeichen.

Das Buch

Reiner Hoffmann/Claudia Bogedan (Hrsg.): ARBEIT DER ZUKUNFT. Möglichkeiten nutzen – Grenzen setzen. Frankfurt am Main, 
Campus Verlag 2015. 520 Seiten, 29,90 Euro

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