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Magazin Mitbestimmung

: 'Wir bekennen uns zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung'

Ausgabe 07/2006

Die IG BCE wendet sich gegen nationale Alleingänge, gegen die Versteigerung von Emissionszertifikaten. Versorgungssicherheit, Preiswürdigkeit, Arbeitsplatzsicherheit und den Erhalt industrieller Kerne nennt sie als Hauptziele ihrer Politik



Von Hubertus Schmoldt
Der Autor ist Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
(IG BCE) und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der E.on AG. Er hat weitere Aufsichtsratsmandate inne, darunter bei der Deutschen BP AG und bei der RAG AG.


Die Liberalisierung des Energiemarkts in der Europäischen Union ist eine gewollte politische Realität. Sie darf aber nicht in einen Zielkonflikt mit der Versorgungssicherheit geraten. Für viele Industrieunternehmen ist die Entwicklung der Rohstoff- und Energiekosten von großer Bedeutung. Daher sehen wir manche Auswirkungen sehr wohl kritisch. Liberalisierung ist - wie wir aktuell erleben - keine Garantie für niedrige Preise, sie kann aber Investitionen in eine sichere Versorgung, etwa in Kraftwerke, Netze und Lagerstätten, gefährden.

Man kann nicht einerseits die Abhängigkeit von Öl und Gas beweinen und die Preispolitik und die Liefersicherheit bemängeln, und andererseits dann keine Konsequenzen für unsere Energiepolitik ziehen. Es wäre energiepolitischer Irrsinn, die heimische Stein- und Braunkohle aus der Energieversorgung zu verabschieden.

Wir bekennen uns zum Ziel einer preiswürdigen Energieversorgung, damit die energieintensiven Unternehmen im internationalen Wettbewerb bestehen können. Wettbewerbsfähige Strompreise sind für viele Industrien entscheidende Standortfaktoren. Die politischen Sonderbelastungen dieser Branchen müssen verringert werden, sie dürfen nicht zu Wettbewerbsnachteilen führen. Deshalb werden wir nicht nur beim Energiegipfel der Bundeskanzlerin über die energiepolitischen Rahmenbedingungen von Wettbewerbsfähigkeit reden, etwa über den Emissionshandel oder die Förderung erneuerbarer Energien und die Energiebesteuerung.

Alle Erzeuger und Verbraucher von Energie, auch Verkehr und Privathaushalte, müssen zum Klimaschutz beitragen, und zwar im Rahmen der international eingegangenen Verpflichtungen. Ein Vorpreschen in der deutschen Klimapolitik über diese Verpflichtungen hinaus lehnen wir ab. Das belastet uns im Wettbewerb, verlagert die Umweltlasten nur in andere Länder und vernichtet bei uns Arbeitsplätze.

Die Kosten für CO2-Emissionszertifikate sind inzwischen in die Strompreise mit eingeflossen und haben sie zusätzlich zu den anderen Belastungen weiter erhöht. Eine Versteigerung von Zertifikaten würde diese Entwicklung weiter anheizen. Bundesumweltminister Gabriel hat dies richtig erkannt und will deshalb an der kostenlosen Zuteilung festhalten. Wir unterstützen das. Doch über den Allokationsplan hinaus brauchen wir eine grundsätzliche Diskussion darüber, ob der CO2-Handel nach 2012 noch in der jetzigen Form weitergeführt werden kann.

Fragen von Wettbewerb und Industriepolitik kommen bisher viel zu kurz. Das gilt auch für die überzogene Förderung der regenerativen Energie. Sie muss auf ein wirtschaftlich vertretbares Maß zurückgeführt werden und Effizienzkriterien wie die spezifischen CO2-Vermeidungskosten viel stärker berücksichtigen. Zugleich müssen die Ausnahmen für energieintensive Unternehmen bei der Ökosteuer fortgeführt und darf die Ökosteuer nicht erhöht werden.

Die RAG AG - ein Global Player mit Mitbestimmung

Ein Thema von erheblicher industriepolitischer Bedeutung ist die Neuaufstellung der RAG AG. Es geht um die Zukunft eines mitbestimmten Global Players in Nordhrein-Westfalen mit den Säulen Chemie, Energie und Wohnungswirtschaft. Die Landespolitik würde diese Zukunft gefährden, wenn sie in Spekulantenmanier einzelne Unternehmensteile an meistbietende Investoren ohne Standortbezug verscherbeln würde. Die IG BCE unterstützt in den Mitbestimmungsgremien des RAG-Konzerns wie in der politischen Debatte das Ziel eines integrierten Industriekonzerns mit attraktivem Portfolio.

Nur so erhält er die Perspektive und Möglichkeiten, die er zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen benötigt. Der Gang an die Börse liegt also im Interesse der Beschäftigten wie des Landes. Wir haben ihn allerdings immer an eine vernünftige Anschlussregelung für die Steinkohle gebunden. Wir brauchen beides, um Entwicklungsperspektiven für den weißen und schwarzen Bereich der heutigen RAG zu gewährleisten.

In dem neuen Konzern und seinen Tochterunternehmen werden wir ebenso wie in der für den schwarzen Bereich vorgesehenen Stiftung die Elemente der Unternehmensmitbestimmung in ihrer bisherigen Qualität auf allen Ebenen sichern. Dies ist mit dem RAG-Vorstand besprochen. Wo die Mitbestimmungsgesetze diese Qualität nicht vorsehen, wird dies über Vereinbarungen geregelt. Der neue Konzern soll ein gelungenes Beispiel für die Funktionsfähigkeit der Mitbestimmung in einem modernen europäischen Unternehmen bieten.

Die öffentliche Kritik an den Kohlebeihilfen nehmen wir ernst. Wir halten sie jedoch nicht für stichhaltig. Denn sie leugnet die Notwendigkeit von Versorgungssicherheit. Zugleich stellt sie in Frage, was die Bundeskanzlerin, die Ministerpräsidenten der Kohleländer und alle Parteien unisono zusichern, nämlich die Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen im Bergbau.

Dass die eigenen Vorräte für unsere Energieversorgung die sicherste Bank sind, müsste eigentlich jedem einleuchten. Wir setzen deshalb unverändert auf einen ausgewogenen Energiemix, in dem auch die heimische Stein- und Braunkohle genutzt werden. Ich kenne kein Land der Welt, das aus einer heimischen Energiequelle aussteigen will. Nur in Deutschland leisten wir uns eine solche Debatte. Das ist keine langfristig verlässliche Energiepolitik, das ist ein kurzsichtiger Crash-Kurs, der niemandem nutzt und allen schadet.

Er zerstört Ressourcen, vernichtet Arbeitsplätze, schwächt unsere Industrie und bringt für die öffentlichen Kassen mehr Kosten als Einsparungen. Deshalb machen wir uns weiter stark für einen Steinkohlenbergbau, der Kraftwerke und Stahlindustrie zuverlässig versorgen kann, der den Zugang zu den Lagerstätten langfristig erhält, der die technologische Basis für die Bergbauzulieferindustrie sichert und der den Strukturbruch in den Revieren verhindert.

Arbeitnehmervertreter sind für die ganze Gesellschaft da

Wir bekennen uns zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung. Die IG BCE sieht dabei keinen Gegensatz zwischen den Interessen ihrer Mitglieder und der gesamten Gesellschaft. Gewerkschaftliche Unternehmensmitbestimmung ist letztlich dadurch gerechtfertigt, dass Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten nicht nur Partikularinteressen vertreten. Arbeitsplatzsicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Umweltschutz sind Ausdrücke der sozialen, ökonomischen und ökologischen Dimensionen von Nachhaltigkeit, die zusammengehören.

Ein Beispiel für diesen Dreiklang ist der Transformationsprozess der ostdeutschen Energie- und Kohlewirtschaft, den wir mit unseren Mitbestimmungsmöglichkeiten und politischer Einflussnahme maßgeblich mitgestaltet haben. Sonst wären der Braunkohlenbergbau und die damit verbundene Stromerzeugung in Ostdeutschland vermutlich völlig in der Versenkung verschwunden. Zuallererst ging es um die Sicherung industrieller Kerne und der damit verbundenen Arbeitsplätze. Dann musste der rasante Arbeitsplatzabbau so sozial wie möglich gestaltet werden. Auch wenn das nicht überall zufrieden stellend gelungen ist, können wir durchaus Erfolge vorweisen.

Schließlich haben wir an der Modernisierung der Stromerzeugung und des Braunkohlebergbaus mitgewirkt. Das hat nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit verbessert, sondern auch der Umwelt genutzt. So erfolgt die bis zur Wende praktisch unbekannte Rekultivierung der Bergbauflächen nun auf weltweit höchstem Niveau. Und der Erneuerung der ostdeutschen Kraftwerke verdanken wir einen Großteil der bisherigen deutschen CO2-Minderung.

Nicht nur die ostdeutschen, sondern alle Energieunternehmen stehen durch die Liberalisierung unter enormem Rationalisierungsdruck. Ihn weiter möglichst sozialverträglich zu gestalten bleibt eine zentrale Aufgabe für die Mitbestimmung. Selbstverständlich werden alle Probleme, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen betreffen, in den Aufsichtsräten behandelt. Für Wettbewerbsfähigkeit einzutreten dient den Beschäftigten ebenso wie der Gesellschaft.

Deshalb betrachten wir die Gestaltung der Rahmenbedingungen für Wettbewerbsfähigkeit auch als wichtiges Arbeitsfeld von IG BCE und Mitbestimmung. Denn veränderte Rahmenbedingungen stellen eine massive Herausforderung an die Flexibilität der Volkswirtschaft dar. Bei uns haben die anhaltenden Lasten aus der Schaffung der deutschen Einheit und die Vorreiterrolle in der Umwelt- und Klimaschutzpolitik zu einer deutlichen Erhöhung der Belastungen von Unternehmen und Verbrauchern geführt.

Eine aktive Industriepolitik mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes zu sichern und zu stärken, kann diese nationale Vorreiterrolle nur insoweit unterstützen, als der industrielle Kern der deutschen Wirtschaft als Bindeglied zum Weltmarkt und Motor der technologischen Entwicklung dadurch nicht gefährdet wird.

Die Gemeinsamkeiten sind größer als die Unterschiede

Manchmal werden Differenzen in der Öffentlichkeit von interessierter Seite überinterpretiert. Der letzte DGB-Kongress hat einstimmig sowohl den energiepolitischen Leitantrag als auch den kohlepolitischen Antrag beschlossen. Es gibt sicher gelegentlich Unterschiede bei den Prioritäten im Rahmen des energiepolitischen Zieldreiecks aus Versorgungssicherheit, Preiswürdigkeit und Umweltverträglichkeit. Wir als Industriegewerkschaft müssen auf Gefahren für die Wettbewerbsfähigkeit hinweisen, wenn wünschenswerte umweltpolitische Forderungen international nicht annähernd parallel verlaufen.

Doch es gibt mehr Gemeinsames als Trennendes. Zusammen mit ver.di und den vier großen Energieunternehmen haben wir im letzten Jahr ein umfassendes Papier für einen neuen Realismus in der Energie- und Umweltpolitik formuliert. Das und die genannten Beschlüsse des DGB-Kongresses sind eine gute Basis für die Diskussionen beim Energiegipfel, der ja ein Konzept für die Energiepolitik mindestens bis 2020 erarbeiten soll.

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