Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: 'Es gibt einen Kulturwandel'
INTERVIEW Elin Hurvenes hat viel dazu beigetragen, die gesetzliche Frauenquote in den Boards norwegischer Unternehmen zu verwirklichen. Sie hat für die Kapitalseite eine Datenbank möglicher Kandidatinnen aufgebaut.
Die Fragen stellte die Journalistin ANNETTE JENSEN. Foto: Ilja Hendel
Elin Hurvenes, als Norwegens Industrieminister eine 40-Prozent-Quote für Frauen in Boards bzw. Aufsichtsräten vorschlug, sagten viele, es gäbe nicht genügend qualifizierte Kandidatinnen. Was haben Sie unternommen, dass heute in den börsennotierten Unternehmen 44,3 Prozent der Spitzenjobs mit Frauen besetzt sind?
Alle Anteilseigner und Vorstandsvorsitzenden waren damals gegen den Vorschlag unseres Industrieministers. Sie behaupteten, Frauen hätten weder Interesse noch Erfahrung, diese Führungspositionen zu bekleiden - und außerdem wüssten sie auch nicht, wo sie geeignete Frauen auftreiben sollen.
Leuchtete Ihnen dieses Argument ein?
Ja. Frauen tauchen nicht in den Netzwerken auf. Sie gehen nach der Arbeit zu ihren Familien, während Männer in Leitungspositionen sich zum Golfspielen, Jagen, in der Kneipe oder bei Geschäftsessen treffen. Nur sehr wenige Frauen besitzen Unternehmen und in den börsennotierten Unternehmen Norwegens gibt es nur drei weibliche Vorstandsvorsitzende. Aber in der zweiten Reihe stehen sehr viele Frauen, die große und verantwortungsvolle Projekte leiten. Ich habe eine Datenbank aufgebaut, in der interessierte und fähige Frauen verzeichnet sind.
Wie haben Sie die Kandidatinnen gefunden?
Ich habe ein Jahr dafür gebraucht. Nur ganz wenige Frauen kannte ich anfangs aus meinem persönlichen Netzwerk. Ich habe systematisch Zeitschriften durchgeschaut und viele Männer in hohen Positionen gefragt, welche Frauen sie persönlich aus ihrem Unternehmen oder ihrer Organisation für ein Board empfehlen würden.
Fühlten sich die Frauen geeignet für diese Aufgabe?
Ich musste manchen der qualifizierten Frauen klar machen, dass es sich hier um eine interessante Aufgabe handelt und sie der Führungsaufgabe durchaus gewachsen sind. Bis dato war das für sie keine Karriereoptionen gewesen, weil der Frauenanteil in unseren Boards beziehungsweise Aufsichtsräten im Jahr 2002 gerade einmal bei sechs Prozent lag. Inzwischen habe ich ungefähr 3000 Namen in meiner Datenbank, von denen ich etwa 1000 zur Spitzengruppe zähle.
Stöbern die Anteilseigner da einfach drin herum?
Nein. Es geht ja auch um die persönliche Chemie. Nach der Abcheck-Phase habe ich die Kandidatinnen zu einem meiner Aufsichtsratsforen eingeladen. Dort konnten sie dann persönlich Vorstandsvorsitzende oder Investoren, die über die Zusammensetzung von Aufsichtsräten bestimmen, kennen lernen. Das erste Aufsichtsratsforum war völlig überbucht. Inzwischen sind etwa 1000 Frauen auf einem der 14 Foren gewesen. Von Unternehmerseite lade ich Business-Leute ein, die Einfluss haben und viele Unternehmen repräsentieren.
Woher kamen die größten Widerstände?
Am Anfang waren alle gegen die Quotenregelung - auch viele Frauen wollten keine Quotenfrauen sein. Auch ich war zuerst dagegen. Und natürlich gab es massive Widerstände bei denen, die ihre Board- beziehungsweise Aufsichtsposten räumen sollten. Ich verstehe das. Ein Aufsichtsmandat ist eine Ehre und meist auch das Ergebnis harter Arbeit, und darauf mag niemand gerne verzichten.
Wie sind die Firmen damit umgegangen?
Viele Firmen sind sehr klug verfahren: Anstatt erfahrene Männer rauszuschmeißen, haben sie das Board vorübergehend vergrößert. Es wurden also Gremien einfach für drei Jahre auf acht Personen ausgeweitet, statt fünf.
Ist das in meisten Fällen so geschehen?
Ich weiß von einer ganzen Reihe von Unternehmen. So ein Vorgehen ist auch aus Sicht der Frauen sinnvoll: Sie können von erfahrenen Mitgliedern im Board einiges lernen.
Anfangs waren auch Sie gegen die Quote. Und heute?
Heute weiß ich, dass wir ohne das Gesetz nie 44,3 Prozent Frauen in den Boards beziehungsweise Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen hätten. Und ich bin davon überzeugt, dass unsere Unternehmen davon profitieren. Bis vor kurzem haben die Unternehmen fast die Hälfte des Talentpools unausgeschöpft gelassen.
Hat sich die Debatte durch die Finanzkrise gewandelt?
Sie hat noch eine ganz andere Dimension bekommen. Frauen wurden wegen ihrer mangelnden Risikobereitschaft eher kritisiert. Heute werden Vorsicht und Bedachtheit als positiv geschätzt. Wenn man sieht, wie einige Männer Risiken eingegangen sind und dabei mit der Existenzgrundlage anderer gespielt haben, ist das beängstigend. Wir sollten uns fragen, ob das so passiert wäre, wenn mehr Frauen an diesen Entscheidungen beteiligt gewesen wären.
Gibt es Unterschiede zwischen männerdominierten Boards und solchen, in denen auch Frauen Mandate haben?
In gemischten Boards herrscht eine weniger aggressive und konkurrenzbeladene Arbeitsatmosphäre. Bei alledem ist es wichtig, dass die Frauen eine kritische Masse erreichen - eine allein kann wenig ausrichten. Drei scheint mir das Minimum zu sein, ab dem sich etwas ändert. Dazu kommt: Frauen haben keine Hemmungen, Fragen zu stellen und ein Problem zu sondieren. Für sie ist das kein Eingeständnis von Schwäche, sondern ein Zugewinn an Klarheit.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat vorgeschlagen, die Quote der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat daran zu orientieren, wie hoch der Männer- und Frauenanteil in der Belegschaft ist.
Ich frage mich, ob das ein guter Vorschlag ist, weil er tendenziell den Status quo in einer Firma oder Branche festschreibt. Außerdem müssten dann ja in vielen Krankenhausgesellschaften 90 Prozent der Aufsichtsratsmandate von Frauen wahrgenommen werden. Wäre das wirklich eine ideale Lösung? Ich glaube nicht. Denn auch in diesem Fall würde man auf die Dynamik verzichten, die aus Vielfalt entsteht.
Gibt es in Norwegen heute auch Boards, in denen mehr als 50 Prozent der Posten von Frauen besetzt sind?
Ja. Aber mehr als 60 Prozent Frauenanteil geht nicht - schließlich bezieht sich die gesetzliche 40-Prozent-Quote auf beide Geschlechter.
Wie ist das Interesse aus dem Ausland?
Es gibt viele Anfragen. Ich selbst bin inzwischen auch in Großbritannien aktiv. Dort fand Anfang Mai zum ersten Mal ein Aufsichtsratsforum statt - und das Interesse von Seiten der Unternehmen ist überwältigend. Das ist ein sehr ermutigendes Signal für britische Frauen.
Warum?
Weil die Leute aus der britischen Businessszene noch vor zwei Jahren sagten: So etwas funktioniert vielleicht in Norwegen, aber nicht in Großbritannien. Und nun findet offensichtlich ein grundsätzlicher Kulturwandel statt. Ich glaube, das norwegische Beispiel wirkt wie ein Katalysator: Was hier passiert ist, war für viele hohe Manager zunächst sehr beängstigend. Und nun bekommt das Thema durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise noch einen zusätzlichen Drive.
Zur Person
Elin Hurvenes ist Norwegerin und hat in London und Oxford studiert. Seit 1995 arbeitet sie als Unternehmensberaterin in
ihrem Heimatland. 2003 hat sie in Oslo das Aufsichtsratsforum gegründet, eine Kontaktbörse, die die Gleichstellung voranbringen soll.