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Magazin Mitbestimmung

: 'Da sollten wir jede Scheu verlieren'

Ausgabe 12/2009

INTERVIEW Ex-Wirtschaftsstaatssekretär Alfred Tacke, Mitglied im Lenkungsrat des Deutschlandfonds, über die Notwendigkeit öffentlicher Hilfen und die Gefahr staatlicher Überforderung.

Das Gespräch führten MARGARETE HASEL und JOACHIM F. TORNAU/Foto: Frank Schinski

Herr Tacke, hat sich General-Motors-Chef Fritz Henderson schon bei Ihnen gemeldet?
Sein Ansprechpartner wäre die Bundesregierung, die wir beraten. Da dieser Fall möglicherweise bald eintritt, können Sie nicht von mir erwarten, dass ich mich dazu äußere. Jeder Antrag wird ernsthaft geprüft, ehe wir dem Staatssekretärsausschuss des Deutschlandfonds, der letztendlich entscheidet, mitteilen, ob wir eine Bürgschaft oder einen Kredit für sinnvoll erachten oder nicht.

Der Mittelstand fühlt sich dabei benachteiligt.
Einen Gegensatz zwischen Großkonzernen und Mittelstand kann ich nicht erkennen. Freilich haben wir bei strukturbestimmenden Großkonzernen das Problem, dass ein Zusammenbruch das gesamte System beschädigen kann. Deshalb verdienen sie unser besonderes Augenmerk. Der Lenkungsrat beschäftigt sich daher insbesondere mit Unternehmen, die über 150 Millionen Euro Darlehen benötigen. Alle Unternehmen unterhalb dieser Schwelle wenden sich über ihre Hausbank direkt an die KfW.

Hat Sie die große Zahl von über 1300 Anträgen überrascht, die beim Deutschlandfonds und bei der KfW eingegangen sind?
Nein. Das hat mit den deutschen Banken zu tun, die ihre Spielräume für Kreditvergaben durch Spekulationen mit amerikanischen Hypothekenpapieren nachhaltig beschädigt haben. Die Banken versuchen jetzt, Kreditanforderungen aus der Industrie mit staatlichen Garantien zu kombinieren. Hinzu kommen zahlreiche Betriebe, deren Auftragslage in der Krise massiv eingebrochen ist. Ohne staatliche Kredite können sie die Durststrecke im nächsten Jahr, vielleicht auch 2011 nicht überleben.

Ihr Kollege im Lenkungsrat, Hubertus Schmoldt, hat bereits zu verstehen gegeben, dass die 115 Milliarden Euro des Fonds nicht ausreichen könnten. Wird eine Aufstockung erforderlich sein?
Ich beantworte das mit dem Beckenbauer-Satz: Schaun mer mal. Es ist gut, frühzeitig darauf hinzuweisen, dass eventuell weitere Mittel erforderlich werden könnten. Aber das wird sich 2010 zeigen. Ich persönlich gehe davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage insgesamt stabilisiert im Banken- wie im Industriesektor, und dass die Exporte wieder anziehen. Dann werden wir sicherlich mit den Mitteln auskommen.

Was sagen Sie denen, die schon jetzt meinen, dass der Staat zu viel Geld in die Hand nimmt?
Zu viel war es auf keinen Fall, weil die Banken in Deutschland völlig versagt haben. Statt die Industrie mit Krediten zu versorgen, haben sie sich im amerikanischen Hypothekenmarkt getummelt. Der Schaden ist immens, insbesondere bei den Landesbanken. Von daher war eine Staatsintervention dringend erforderlich. Und: Wir haben zum ersten Mal eine richtige Weltwirtschaftskrise erlebt, weil auf allen Märkten weltweit die Nachfrage eingebrochen ist. Das muss man abfedern.

Bei Verfechtern der reinen Marktlehre stehen staatliche Bürgschaften oder Kredite immer im Verdacht der Wettbewerbsverzerrung.
Da bin ich extrem gelassen. Denn das Versagen liegt im Markt, bei den Marktteilnehmern. Dem Staat blieb nichts anderes übrig, als auf dieses Versagen zu reagieren. Wenn Wirtschaftsliberale sagen: "Wir intervenieren überhaupt nicht", dann überschätzt das die Fähigkeiten des privaten Sektors in Deutschland bei Weitem. Ohne staatliche Hilfen kommen viele Unternehmen zurzeit nicht über die Runden, weil das Management nicht die Qualität hat, die wir brauchen für den Weltmarkt. Und bei einem solchen Konjunktureinbruch halte ich es für selbstverständlich, mit Geldpolitik, aber auch mit gezielten industriepolitischen Maßnahmen zu reagieren. Da sollten wir jede Scheu verlieren.

VW-Chef Winterkorn war nicht begeistert, als die 4,5 Milliarden Euro für Opel im Raum standen.
VW verdankt seine Marktdominanz der Landesbeteiligung, die über Jahrzehnte die Selbstständigkeit des Unternehmens gesichert hat. So viel zur Staatsintervention. Natürlich darf es keine Wettbewerbsverzerrung geben. Aber größere Firmenzusammenbrüche müssen wir wegen der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen vermeiden.

Der Deutschlandfonds unterstützt die Unternehmen; sich an ihnen zu beteiligen ist ausgeschlossen. Wäre es angesichts der Summen nicht sinnvoll, eine solche Gegenleistung zu verlangen?
Alle, die das fordern, überschätzen die Handlungsfähigkeit öffentlicher Einrichtungen. Der Staat hat genügend zu tun mit der Sicherung der Sozialsysteme, mit Außen- und Innenpolitik. Ich kenne den Regierungsapparat sehr genau, er kommt sehr schnell an seine Belastungsgrenze. Deshalb ist Privatisierung notwendig, und deshalb sollte sich der Staat nur in Ausnahmefällen, wie jetzt bei der Hypo Real Estate (HRE) oder bei der Commerzbank, auf ganz kurze Zeit beteiligen. Aber nicht mit eigenem Management, nicht mit eigenen Vertretern in den Aufsichtsräten.

Gerade in Niedersachsen, wo Sie als Wirtschaftsstaatsekretär tätig waren, gibt es prominente Beispiele für dauerhafte staatliche Beteiligung; Sie haben VW erwähnt. Und auch die Salzgitter AG würde wohl ohne diese nicht mehr existieren.
Da gibt es viele Schattierungen. Viele Unternehmen gibt es nur noch, weil sie durch starke Familienaktionäre eine gewisse Stabilität gegen feindliche Übernahmen haben. Oder durch starke Ankeraktionäre. Das kann ein einzelner Fonds sein, eine Stiftung oder ausnahmsweise eben auch der Staat oder eine Landesregierung. Man sollte über eine solche staatliche Beteiligung nachdenken, wenn Unternehmen strukturbestimmend sind in einem Land. Der Staat muss dafür Sorge tragen, dass die Entscheidungs- und Forschungszentren in Deutschland bleiben. Das Problem bei vielen Übernahmen ist ja die Kreativitätsvernichtung.

Was wäre passiert, wenn Niedersachsen den Kauf der Salzgitter-Stahlwerke durch Voest Alpine 1998 nicht verhindert hätte?
Voest Alpine hätte sofort das gesamte Management rausgeschmissen, die beiden Hochöfen stehen lassen und nichts mehr investiert. Wenn die Übernahme eines Unternehmens bedeutet, dass nur leere Fabrikhallen zurückbleiben, wie wir es häufig auch bei "Heuschrecken" erlebt haben, dann ist das ein Problem. Dem darf der Staat nicht einfach wehrlos zusehen. Gleichzeitig würde ich mich aber immer gegen eine Mehrheitsbeteiligung des Staats wehren.

Sollten nicht im Aufsichtsrat entsprechende Allianzen und Mehrheiten möglich sein, um für richtige Weichenstellungen zu sorgen?
Es ist entscheidend, dass die Unternehmen zu zwei Dritteln oder drei Vierteln privat sind. Management wie Beschäftigte wissen dann, dass sie am Markt erfolgreich sein müssen. Wenn der Staat sich zu stark beteiligt, entsteht der Eindruck auf beiden Seiten, dass es egal ist, was man macht, weil ja sowieso der Steuerzahler einspringt.

Angesichts des Managementversagens in der Krise sind Überlegungen nahe liegend, bessere Kontrollmechanismen einzuziehen - etwa durch einen Ausbau der Mitbestimmung. Was halten Sie davon?
Nichts, und ich will das auch begründen. Die deutsche Mitbestimmung ist international ein Ausnahmemodell und ein sehr erfolgreiches. Sie ist professionell und weist in vielen Unternehmen rechtzeitig auch auf Gefährdungen hin. Das ist ein sehr bestimmender Einfluss. Keine wichtige Investitionsentscheidung wird getroffen, ohne sie mit der Mitbestimmungsseite erörtert zu haben. Aber man sollte es nicht überspannen. Wenn das Management von der Belegschaft allein abhängig ist, dann ist das nicht gut für die Qualität der Unternehmen. Was Gewerkschaften wichtig ist, ist nicht immer auch die bessere Entscheidung für das Unternehmen. Da muss man aufpassen, dass man nicht jegliche Kontur verliert. Ob man das nun Sozialpartnerschaft nennt oder Gegensatz von Kapital und Arbeit: Es gibt halt Gegensätze.

Brauchen wir also durchsetzungsstarke Manager, die wissen, dass ein Unternehmen nicht nur den Shareholdern verpflichtet ist?
Wir brauchen ein Management, das notwendige und schwierige Entscheidungen marktorientiert trifft. Wir brauchen Leute, die auch unbequeme Entscheidungen fällen, egal ob das ein Bahn-Chef, ein Continental-Chef oder ein VW-Chef ist. Das waren alles kontroverse, aber richtige Personalentscheidungen im Aufsichtsrat. Landes- oder Bundesregierungen würden dagegen die Zustimmung aller suchen. Wenn man sich für Harmonie entscheidet, muss man sich nicht wundern, wenn man irgendwann in der Insolvenz landet.

Die rot-grüne Bundesregierung, der auch Sie angehörten, hat sich sehr bemüht, die sogenannte Deutschland AG aufzulösen. Damit die globalen Geldströme nicht länger an Deutschland vorbeigehen, wurden auch Hedgefonds eingeladen. Die Ergebnisse dieser Politik waren nun in der Krise zu besichtigen.
Die Deutschland AG ist heute weniger sichtbar als früher, aber dennoch gibt es nach wie vor ein enges Netzwerk deutscher Konzerne. Wir haben den Unternehmen damals ermöglicht, breiter zu investieren, sich breiter aufzustellen. Das hat ihnen in der Aktienkrise sehr geholfen. Natürlich können dann auch Hedgefonds kommen, manchmal mit guten, häufig mit sehr schlechten Ergebnissen.

Die Geister, die damals gerufen wurden, wurden nicht beherrscht?
Feindliche Übernahmen sind sinnvoll, wenn sie zum Wohle des Unternehmens beitragen. Wenn sie nur zum Ausschlachten dienen und den Standort insgesamt gefährden, muss sich der Staat das nicht bieten lassen. Dafür gibt es einen Gesetzgeber, und der kann jederzeit reagieren. Aber Hedgefonds generell auszuschließen, halte ich für ein Problem. Es gibt den schönen Satz von einem Investmentbanker: "Wenn die Musik spielt, muss man tanzen." Ganz wichtig aber ist, dass die Politik weiß, wer und wo die Melodie spielt und was die Interessen dahinter sind. Dann kann man gestalten und eingreifen. Wenn man nur das Orchester sieht, dann weiß man zu wenig.

An der Schnittstelle zwischen Staat und Wirtschaft wird es manchmal etwas ungemütlich, das haben Sie auch persönlich erlebt. Im Rückblick: War die breite Kritik an der von Ihnen genehmigten Übernahme von Ruhrgas durch E.ON und um Ihren späteren Wechsel in die Wirtschaft gerechtfertigt?
Zu der Entscheidung E.ON/Ruhrgas stehe ich uneingeschränkt. Alle Befürchtungen, die damals geäußert wurden, haben sich als falsch herausgestellt: Wir haben heute drei Player am Markt, nicht nur einen. Und berufliche Wechsel vom Staat in die Wirtschaft und umgekehrt halte ich sogar für dringend erforderlich. Das ist in den USA eine Selbstverständlichkeit und eine Stärke des Systems. Die Komplexität der Wirtschaft und der Politik ist so extrem, dass etwas mehr Demut auf beiden Seiten, die Bereitschaft, einander zuzuhören oder auch Personen wechseln zu lassen, eher gefördert als begrenzt werden sollte. Wir können dabei nur gewinnen. Dass das in Deutschland immer noch sehr kritisch diskutiert wird, das bedaure ich.

Wenn jemand wie Sie in politischer Funktion Entscheidungen zugunsten eines Unternehmens getroffen hat und dann just in diese Branche wechselt: Sehen Sie da nichts Bedenkliches?
Nein. Wenn Politiker in der Energiewirtschaft, in der Automobilindustrie oder im Bankenbereich eine Position übernehmen, dann finde ich das positiv. Natürlich kann es da Probleme und Interessenkollisionen geben. Darüber muss man sprechen, und das kann man auch regeln. Aber es darf nicht immer unattraktiver werden, in die Politik zu gehen. Sonst wird man keine Talente mehr ansprechen können. Deshalb ist ein Modell dringend erforderlich, das Beschäftigten den Weg aus der Wirtschaft in den öffentlichen Dienst und umgekehrt ermöglicht. Denn wenn der Staat auf eine komplexe, globalisierte Wirtschaft adäquat reagieren will, dann muss er mit einer großen Innenansicht an diesen Themen arbeiten können.


ZUR PERSON

Alfred Tacke, 58, arbeitete nach seinem Volkswirtschaftsstudium als DGB-Sekretär, ehe ihn Gerhard Schröder 1991 als Wirtschaftsstaatssekretär in die niedersächsische Landesregierung holte. Anschließend gehörte der Sozialdemokrat in gleicher Funktion der rot-grünen Bundesregierung an. Im Jahr 2002 erteilte er in Vertretung seines befangenen Ressortchefs Werner Müller die umstrittene Ministererlaubnis für die Übernahme der Ruhrgas AG durch den Energiekonzern E.ON. 2004 wechselte er in die Wirtschaft und war bis Ende 2008 Chef des Stromversorgers STEAG in Essen, einer RAG-Tochter. Derzeit ist Tacke Mitglied im achtköpfigen "Lenkungsrat Unternehmensfinanzierung", der die Bundesregierung seit März bei der Vergabe von Großkrediten und Bürgschaften aus dem Deutschlandfonds für krisengeschüttelte Unternehmen berät.

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