Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: 'Alles war völlig neu'
INSOLVENZ Als die Banken dem Wohnwagenbauer Knaus Tabbert den Geldhahn zudrehen, ist klar, dass Arbeitsplätze in Gefahr sind. Der Betriebsrat muss retten, was zu retten ist.
Von Mario Müller, Journalist in Frankfurt am Main
Eigentlich könnte Eugen Zehner zufrieden sein. Die Schließung des Betriebes, dem er seit 23 Jahren angehört hat, ist erst einmal vom Tisch, und er steht wieder in Lohn und Brot. Doch der Fensterbauer klingt alles andere als gelöst. Von den Kollegen seiner Abteilung, mit denen er zum Teil jahrzehntelang Caravans und Wohnmobile gebaut hat, sind zwei Drittel, wie er es ausdrückt, "nimmer da". Gefragt, wie er diese neuen Umstände verkraftet, sagt er: "Das fällt schon schwer." Seine Firma heißt Knaus Tabbert GmbH. Ihre Vorgängerin, die Knaus Tabbert Group, hat am 9. Oktober 2008 Insolvenz angemeldet. Die gute Nachricht war, dass sich relativ schnell ein Investor für das Unternehmen fand - die niederländische Investment-Firma HTP, die die Produktion fortführen will. Die schlechte: Von den einstmals fast 1200 Arbeitsplätzen im bayerischen Jandelsbrunn und im hessischen Sinntal-Mottgers blieb nur gut die Hälfte übrig.
Die, wie es in einer Selbstbeschreibung heißt, von einer "idyllischen Landschaft umrahmte Bergwinkelgemeinde" im Osten des Main-Kinzig-Kreises hat mit ihrem einst größten Arbeitgeber bereits reichlich Ungemach erlebt. Vor fünf Jahren, im Juli 2004, machte die Schreckensmeldung die Runde, die Geschäftsleitung wolle das Werk dichtmachen. Die Begründung: In der Fabrik, in der seit den 1950er Jahren hochwertige Wohnwagen der Marken Tabbert und Wilk produziert wurden, lägen die Lohnkosten weit über jenen in Jandelsbrunn, dem Sitz des früheren Konkurrenten Knaus, der Tabbert im Jahr 2001 übernommen hatte.
Obwohl die Unterschiede daraus resultierten, dass in Mottgers Akkord- und in Jandelsbrunn Zeitlöhne gezahlt wurden, musste sich die Belegschaft dem Druck der bayerischen Zentrale beugen und Zugeständnisse machen. In einem Standortsicherungsvertrag verzichteten die Beschäftigten auf Weihnachts- sowie Urlaubsgeld. Außerdem stimmten sie einer Verlängerung der Wochenarbeitszeit um 2,5 auf 40 Stunden zu, ohne Lohnausgleich. Im Gegenzug sollten in Mottgers knapp 20 Millionen Euro in eine neue Werkshalle investiert und bis Mitte 2010 keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen werden.
Doch die versprochenen Investitionen blieben aus. Stattdessen ging es weiter abwärts, und im Frühjahr 2008 leuchteten erneut die Warnlampen auf, als in Mottgers zur Hauptproduktionszeit Kurzarbeit eingeführt wurde. Währenddessen wuchsen wegen der Absatzkrise in Jandelsbrunn die Halden unverkaufter Fahrzeuge. Auf der Fachmesse Caravan-Salon, die im Herbst in Düsseldorf stattfand, ging dann das Gerücht um, Knaus Tabbert befinde sich in Zahlungsschwierigkeiten. Das erzählt Eugen Zehner. Damals war er stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrats.
NICHT MEHR KREDITWÜRDIG_ Die Lage sei zwar nicht rosig, erklärte die Geschäftsleitung, aber sie hoffte, mit einem neuen Sanierungskonzept den für die Wintermonate üblichen Überbrückungskredit von zwölf Millionen Euro lockermachen zu können. Doch die Verhandlungen mit der Bayerischen Landesbank, mit der Commerzbank, der Dresdner Bank und Unicredit, bei denen das Unternehmen mit 60 Millionen Euro in der Kreide stand, scheiterten. Die Firma, die das letzte Geschäftsjahr mit einem Umsatzrückgang von neun Prozent und einem Verlust von acht Millionen Euro abgeschlossen hatte, war offenbar nicht mehr kreditwürdig - auch wegen der geringen Eigenmittel. Da Geld für den Einkauf von Material fehlte, musste die Produktion stillgelegt werden. Die Geschäftsführung stellte beim Passauer Amtsgericht den Antrag auf Insolvenz.
Knapp 30 000 Unternehmen mit zusammen mehr als 120 000 Beschäftigten gingen im Jahr 2008 pleite. In diesem Jahr könnten es nach einer Schätzung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform bis zu 35 000 sein. Auch bekannte Marken hat es erwischt, wie Märklin, Schiesser oder Qimonda. Für die Belegschaften, die oft schon vorher mit Problemen zu kämpfen hatten, beginnt damit ein Albtraum. Ein Insolvenzverwalter, oft ein Rechtsanwalt, Betriebswirt oder Wirtschaftsprüfer, übernimmt das Kommando und prüft die Verwertbarkeit der Insolvenzmasse.
Drei Varianten kommen dabei in Betracht, über die die Gläubigerversammlung beschließt. Variante eins: Das Unternehmen wird stillgelegt und zerschlagen. Variante zwei: Das Unternehmen wird vorläufig fortgeführt, um es ganz oder teilweise zu verkaufen. Variante drei: Anhand eines sogenannten Insolvenzplans wird versucht, das Unternehmen zu sanieren. Die Gesellschaft bleibt bestehen.
Die Gläubiger wählen natürlich die Verwertungsart, die am ehesten verspricht, ihre offenen Rechnungen zu bezahlen. Die Arbeitnehmer dagegen interessieren sich für die Arbeitsplätze. Bei der ersten Variante gehen sie vollständig verloren. Auch bei den Varianten Verkauf und Sanierung steht üblicherweise ein mehr oder weniger starker Stellenabbau ins Haus.
Rechtlos sind die Beschäftigten aber nicht. "Die Insolvenz macht weder das Tarifrecht obsolet noch hebt sie Mitbestimmungsrechte auf", betont Andrej Wroblewski, Arbeitsrechtler beim Vorstand der IG Metall. Der Betriebsrat hat weiterhin ein gewichtiges Wort mitzureden, nicht nur bei Verhandlungen über einen Interessenausgleich oder einen Sozialplan. "Der Betriebsrat ist in der Krise mehr denn je gefragt", meint gar Franz-Ludwig Danko, Partner in der Kanzlei Kübler, die sich auf Insolvenzverwaltung spezialisiert hat. Was das bedeutet, weiß man am Tabbert-Standort Sinntal ziemlich genau.
EIN TEILERFOLG_ Für Zehner und seine Betriebsratskollegen war in dieser Situation "alles völlig neu". Wer sich in die komplexe Materie einarbeiten will, müsse eine Menge dicker Bücher lesen und sei als juristischer Laie am Ende doch überfordert. Mit Rat und den notwendigen Informationen konnte aber rasch ein Insolvenz-Fachmann aushelfen, den die IG Metall vermittelte. Kontakte liefen nur noch über den Rechtsanwalt. "Sonst sieht man alt aus", meint Zehner. Manchmal waren sie froh, dass die aufgebrachten und verunsicherten Beschäftigten mangels Arbeit nicht permanent auf dem Werksgelände waren - denn das bedeutete eine zusätzliche Verantwortung und eine starke psychologische Belastung.
"Die Öffentlichkeit informieren, Interesse wecken, einen Investor finden", war laut Zehner das Gebot der Stunde. Am 28. Oktober schließlich machten sich mehr als 300 Tabbertianer in sechs Bussen von Sinntal auf den Weg nach München. Mit an Bord: Landrat Erich Pipa und Bürgermeister Carsten Ullrich, beide von der SPD. Zweck der Reise, die die IG Metall organisiert hatte, war eine Protestaktion vor der Kanzlei von Insolvenzverwalter Michael Jaffé, der nach Meinung der Demonstranten viel zu wenig unternahm, um den Betrieb in Mottgers zu retten. Nicht nur 400 Stellen bei Tabbert seien gefährdet - so die Botschaft, eine Schließung des Werks betreffe insgesamt rund 3000 Menschen am Standort und in der strukturschwachen Region.
Vielleicht lag es an der publikumswirksamen Aktion, vielleicht an Jaffés Verhandlungsgeschick, vielleicht an der 28 Millionen Euro schweren Bürgschaft des Landes Bayern: Kurz vor Weihnachten fand sich ein Investor - die niederländische HTP, eine auf den Kauf und die Restrukturierung angeschlagener Unternehmen spezialisierte Gruppe. Er habe einen "guten Eindruck von den Holländern", sagt Karl-Werner Kühn, der sich als Sekretär der IG-Metall-Bezirksleitung Frankfurt um Tabbert kümmert. HTP sei "keine Heuschrecke, sondern eher langfristig orientiert". Dies habe HTP bei Investitionen in andere deutsche Firmen wie Lurgi Lentjes Standard Kessel unter Beweis gestellt. Kühn sieht für Knaus Tabbert auch deshalb gute Chancen, weil das Unternehmen die Krise jetzt hinter sich habe, die anderen Herstellern in der Branche wegen der hohen Überkapazitäten noch bevorstehe. Und schließlich erfreue sich Tabbert, der "Rolls Royce unter den Wohnmobilen", nach wie vor großer Beliebtheit unter den Kunden. HTP-Chef Wim den Pundert hatte bereits bei der Übernahme angekündigt, mit Knaus Tabbert eine "Wachstumsstrategie" verfolgen und an allen Standorten investieren zu wollen. Die Pläne für dieses Jahr sehen in Mottgers allerdings einen Rückgang der Produktion um rund ein Drittel vor.
Inzwischen rollen in Mottgers wieder Caravans vom Band. Doch die Sicherung des Standorts hat einen hohen Preis. Die ursprünglich 400 Beschäftigten mussten Aufhebungsverträge unterzeichnen und wechselten Anfang des Jahres in eine Transfergesellschaft. Aus diesem Personenkreis wählte HTP ohne Beteiligung des Betriebsrats rund 200 Frauen und Männer aus, die von der neuen Firma, immerhin zum früheren Gehalt, übernommen wurden. Den anderen blieb nur der Gang zur Arbeitsagentur. Denn da der Insolvenzverwalter lediglich Mittel für drei Monate zur Verfügung gestellt hatte, wurde die Beschäftigungsgesellschaft Ende März aufgelöst.
FALLSTRICKE IN DER PRAXIS_ "Nicht jammern, sondern sich wehren, Signale setzen, Öffentlichkeit herstellen" - nur so gebe es in einer Insolvenz die Chance, das endgültige Aus zu verhindern, zieht Bezirkssekretär Kühn die Lehre aus Fällen wie Tabbert. Sein IG-Metall-Kollege Andrej Wroblewski rät Betriebsräten zu höchster Wachsamkeit. Schon auf die Auswahl des Insolvenzverwalters durch das Gericht müsse man Einfluss nehmen, um zu verhindern, dass Anwälte bestellt werden, die als "Zerschlager" bekannt sind. Weil Verwalter zudem gerne versuchten, Betriebsräte "einzuseifen", sollten diese "sich nicht über den Tisch ziehen lassen und keineswegs vorschnell Verträge unterschreiben" - vor allem wenn es um Interessenausgleich und Sozialplan geht.
Fallstricke lauern auch so überall. Zum Beispiel, wenn das Personal bei dem Verkauf eines insolventen Betriebs zunächst in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft transferiert wird, aus der der Käufer wiederum nach Gutdünken Kandidaten für die Nachfolgefirma auswählt und sich auf diese Weise "Altlasten" wie Pensionsverpflichtungen oder langjährig Beschäftigten entledigt. Damit wird Paragraf 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches umgangen, der Rechte und Pflichten bei einem Betriebsübergang regelt.
Insolvenzverwalter Danko will Interessengegensätze zwar nicht leugnen, hält sie aber für überwindbar. Wenn ein Unternehmen nicht zerschlagen werden soll, sei eine Kooperation mit Belegschaft und Gewerkschaften unabdingbar. "Die meisten Betriebsräte wissen, dass in einem Insolvenzverfahren zwischen dem Unternehmen und dem Abgrund nur noch der Insolvenzverwalter steht", meint Danko. Die Zusammenarbeit sei deshalb "in den allermeisten Fällen gut, weil dies oft die einzige Chance ist, so viele Arbeitsplätze wie möglich zu retten". Auch Dankos Kollege Stephan Ries von der Kanzlei Schultze & Braun schätzt nach eigenem Bekunden den Kontakt mit Belegschaftsvertretern: "Gute Insolvenzverwalter sind glücklich über die Mitbestimmung, weil sie verbindliche Absprachen erleichtert und Einzelgespräche weitgehend überflüssig macht." Zudem, so fügt er hinzu, könnten Gewerkschaften "im Hintergrund für Ruhe sorgen".
RUF NACH DEM GESETZGEBER_ Weil mit einem Anstieg der Insolvenzen gerechnet wird, wird der Ruf nach einer Änderung des Insolvenzrechts immer lauter. Denn die vor zehn Jahren umgesetzte große Reform konnte die Erwartungen nicht erfüllen. Deren Ziel war es, die Sanierung von Unternehmen anhand von Insolvenzplänen zu erleichtern. Doch dieses Instrument hat sich als untauglich, weil äußerst kompliziert und langwierig, erwiesen. Es führt ein "Schattendasein", weiß IG-Metaller Wroblewski, und kommt in weniger als zwei Prozent der Fälle zum Einsatz.
Die IG Metall möchte daher das Insolvenzrecht so gestalten, dass es "für die nächsten 24 Monate die Fortführung von Unternehmen erleichtert" und damit zur "Sicherung der industriellen Substanz" beiträgt, heißt es in dem Aktionsplan "Aktiv aus der Krise", den die IG Metall im März vorlegte. Notfalls sollen den Insolvenzverwaltern staatliche Mittel gewährt und "Großgläubiger (etwa Banken) stärker zur Sanierung herangezogen" werden. Derzeit aber scheint es, als brauchten die Banken selbst Geld.