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Magazin Mitbestimmung

Vorstandsvergütung: Am oberen Ende der Skala

Ausgabe 05/2012

Wenn entschieden wird, wie viel ein Vorstand verdient, dann dienen Spitzenverdiener in anderen Vorständen als Maßstab – nicht etwa das Lohngefüge des eigenen Unternehmens. Jetzt sind die Aufsichtsräte gefragt. Von Heinz Evers

Vor der Finanz- und Wirtschaftskrise war die Kritik an der Vorstandsvergütung in deutschen Großunternehmen quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen ungewohnt einhellig. Ob Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Verbände, selbst einzelne Topmanager – sie alle prangerten die Höhe der Spitzenvergütungen als absolut ungerechtfertigt, maßlos, unmoralisch und brutal egoistisch an. Sie forderten gesetzliche oder zumindest freiwillige Beschränkungen. Nach einer Umfrage des DGB Ende 2007 hielten 83 Prozent der Deutschen die Vergütung der Vorstandsvorsitzenden in den DAX-Unternehmen für unangemessen hoch.

Mit der Krise 2008 und 2009 entspannte sich zunächst die Situation. Die starken Gewinneinbrüche der Unternehmen reduzierten die erfolgsabhängigen Vergütungskomponenten. Das Niveau der Vorstandsbezüge sank um bis zu 25 Prozent. Zugleich wurden neue gesetzliche Anforderungen an die Vorstandsvergütung festgelegt, von denen man sich eine wirksame Dämpfung der Vergütungsentwicklung versprach. Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung von 2009 (VorstAG) konkretisierte und stärkte die Verantwortlichkeit des Aufsichtsratsplenums für die Festsetzung und Ausgestaltung der Vorstandsvergütung. Entsprechende Vergütungsstrukturen sollen das Vorstandshandeln konsequent auf die langfristige, nachhaltige Unternehmensentwicklung ausrichten. Mit gleicher Zielsetzung wurden im Jahr 2010 als Konsequenz aus der Finanzkrise spezielle Vergütungsverordnungen für Banken und Versicherungen erlassen. Sie reglementieren vor allem die variablen Bonussysteme, um so die Vorstände von zu risikoreichen Geschäften abzuhalten.

BEZÜGE WACHSEN SCHNELLER ALS GEHÄLTER

 Inzwischen hat sich die Wirtschaft weitgehend erholt. Der Aufschwung hält trotz Euro-Krise unvermindert an. Die Jahresabschlüsse 2011 vieler DAX-Unternehmen weisen Rekordgewinne aus. Gleiches gilt allerdings auch für die Vorstandsvergütung. Hatte sie bereits 2010 wieder das Vor­krisen-Niveau erreicht, wuchs sie im Jahr 2011 noch deutlich darüber hinaus. Ungeachtet aller Maßhalte-Appelle lag die durchschnittliche Steigerung der Gesamtbezüge in den DAX-Vorständen mit zehn Prozent dreimal so hoch wie die der übrigen Beschäftigten. Mit 17,5 Millionen Euro für VW-Chef Martin Winterkorn wurde die bisherige Rekordmarke von 14 Millionen Euro für Josef Ackermann aus dem Jahr 2007 um glatte 25 Prozent überboten. Überschritten in 2007 erst neun Vorstandsvorsitzende mit ihren Gesamtbezügen die Fünf-Millionen-Euro-Schwelle, sind es heute 13. Auf diese Entwicklung reagieren die Öffentlichkeit, insbesondere auch die Gewerkschaften erneut mit heftiger Empörung und dem Ruf nach weiteren gesetzlichen Restriktionen.

Dabei ist der Gesetzgeber heute für diese Art von Klagen eindeutig der falsche Adressat. Trotz mancher Mängel im Einzelnen reicht das geltende Gesetzeswerk für eine angemessene Vergütungsfestsetzung völlig aus. Woran es in den Großunternehmen vielmehr tatsächlich mangelt, ist der ernsthafte Wille der Aufsichtsräte, die gesetzlichen Bestimmungen sachgerecht und konsequent umzusetzen. In diesen Beratungsgremien spielen die Arbeitnehmervertreter, seien es hauptamtliche Gewerkschafter oder Betriebsräte, eine gewichtige Rolle. Dabei erübrigt sich die erneut propagierte Forderung nach einer gesetzlichen Obergrenze für die Vorstandsbezüge bereits durch die Verpflichtung des Aufsichtsrates gemäß VorstAG, bei den variablen Vergütungselementen eine Begrenzungsmöglichkeit für außerordentliche Entwicklungen zu vereinbaren. Wenn dies durch die Festlegung eines Höchstbetrages (Cap) geschieht und nicht nur – wie bei VW – als allgemeiner Vorbehalt mit entsprechend heiklem Erörterungsbedarf, dürften derartige Vergütungsexzesse kaum vorkommen. Im Übrigen hätte sicherlich auch ein Appell des Aufsichtsrates an den VW-Vorstand ausgereicht, um hier eine freiwillige Begrenzung zu erreichen. Der Verzicht der Vorstände des Düngemittelherstellers K+S auf über 20 Prozent der ihnen aufgrund deutlich gestiegener Erträge rechtmäßig zustehenden Tantiemen im Jahr 2008 ist dafür ein gutes Beispiel.

Zudem haben es die Aufsichtsräte grundsätzlich in der Hand, nach intensiver Auseinandersetzung mit den jeweiligen Unternehmenszielsetzungen und -strategien die Zielgrößen der variablen Vergütung so anspruchsvoll festzulegen, dass 100-Prozent-Zielerreichungen eine echte Herausforderung für die Vorstände darstellen. Wenn stattdessen aber, wie bei Siemens, bonuswirksame Gesamtzielerreichungen von 197,38 Prozent (2011) oder 192,58 Prozent (2010) für den Vorstand zur Regel werden, darf man sich über ein Ausufern der Bezüge kaum beklagen. Ein Cap von 150 Prozent sowohl bei der Zielerreichung als auch bei den ausgelobten Bonusbeträgen wäre zweifellos sachgerechter als die üblichen 200 Prozent. Dies gilt umso mehr, als neben finanziellen Bemessungsgrößen zunehmend auch nicht quantifizierbare Zielparameter Verwendung finden, bei denen bereits die Vorstellung einer doppelten Zielerreichung erhebliche Fantasie erfordert.

Eine weitere Ursache für die unangemessene Vergütungsdynamik liegt heute in den horizontalen Marktvergleichen, an denen sich die vergütungspolitischen Entscheidungen der Aufsichtsräte vorwiegend orientieren. Dies gilt vor allem, sofern aus Praktikabilitätsgründen das jeweilige Börsensegment wie DAX oder MDAX als primäres Auslesekriterium dient. Da eine Positionierung im unteren Drittel des Vergleichsrahmens oder sogar bereits unterhalb des Mittelwertes der Verteilung unter Anreiz- und Bindungsaspekten als negativ dargestellt wird, sehen sich die Aufsichtsräte zu ständigen Aufwertungsmaßnahmen genötigt.

DAS EIGENE UNTERNEHMEN ALS MASSSTAB

 Abhilfe schaffen hier sicherlich zum einen der engere Zuschnitt der Peer-Group nach Branche, Größe und Ertragslage, zum anderen und vor allem aber der vertikale Vergleich zum Lohn- und Gehaltsgefüge im eigenen Unternehmen. Es ist schon erstaunlich, welche geringe Rolle diese Orientierung, die der Gesetzgeber in der Begründung zum VorstAG ausdrücklich fordert, in der Praxis der Vorstandsvergütung bislang spielt. Der enorme Anstieg der Festbezüge der DAX-Vorstände in den Jahren 2009 bis 2011 ist dafür ein deutlicher Beleg. Trotz der paritätisch mitbestimmten Aufsichtsräte fiel er in diesem Zeitraum von drei Jahren mit knapp 15 Prozent dreimal so hoch aus wie die allgemeine Tarifentwicklung. Wenn von Aufsichtsratsmitgliedern die Entwicklung der variablen Bezüge noch mit „unvorhergesehenen“ Ertragssteigerungen entschuldigt werden kann, basiert die Fortschreibung der Festbezüge jedoch eindeutig auf Plenumsbeschlüssen der Aufsichtsräte.

Schließlich erweist sich der zunehmende Komplexitätsgrad der Vergütungssysteme als Vergütungstreiber. Die Vielzahl der Komponenten mit ihren internen und externen Erfolgsgrößen, den unterschiedlichen Zeithorizonten der Leistungserbringung, aber auch der Rückbehaltung und Auszahlung sowie der Mischung aus Bar- und Aktienvergütungen macht es selbst ausgewiesenen Experten schwer, die Konsequenzen dieser Systeme zuverlässig abzuschätzen. In Verbindung mit der noch immer zu defensiven Publizitätspolitik vieler Unternehmen in ihren Vergütungsberichten sind daher nicht nur die Hauptversammlungsbeschlüsse über die Billigung der Vergütungssysteme höchst fragwürdig, auch viele Aufsichtratsmitglieder fällen ihre Entscheidungen auf einer völlig unzureichenden Informationsbasis. Wenn sie daher auf einfacheren Systemstrukturen bestehen und ihre Unternehmen zudem zu einer transparenten, verständlicheren Darstellung der Vorstandsvergütung drängen, erfüllen sie nur ihren gesetzlichen Auftrag und tragen damit zu einer maßvolleren, angemessenen Vorstandsvergütung in der Zukunft bei.

Text: Heinz Evers, Vergütungsberater in Gummersbach und Autor der Arbeitshilfe
für Aufsichtsräte 14 der Hans-Böckler-Stiftung zum Thema „Angemessene Vorstandsvergütung“.

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