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Magazin Mitbestimmung

: Alma Mater Deutsche Bank

Ausgabe 09/2011

WIRTSCHAFTSLOBBYISMUS Durch Stiftungsprofessuren und den Zwang, Drittmittel einzuwerben, geraten Universitäten immer stärker in die Abhängigkeit der Wirtschaft. Von Jeannette Goddar

Jeannette Goddar ist Journalistin in Berlin  

Dass er einem Vertrag zustimmen sollte, von dem er nur das Deckblatt kannte, machte Detlef Hensche stutzig. Als Mitglied des Kuratoriums einer Universität sollte er die Zusammenarbeit mit der Deutschen Bank absegnen, ohne die Geschäftsgrundlage zu kennen? Hensche, der im Jahr 2006 als DGB-Vertreter im obersten Aufsichtsgremium der Humboldt-Universität (HU) saß, sorgte dafür, dass der Tagesordnungspunkt verschoben wurde, und beantragte erst einmal Vertragseinsicht. Was er darin zu lesen bekam, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen. Auf 16 Seiten wurde da, bereits abgesegnet von den Präsidien der Humboldt- und der Technischen Universität (TU) Berlin, eine „langfristige“ Partnerschaft vereinbart, wie Hensche sie überhaupt noch nie gesehen hatte. „Das war nicht nur frech. Da wurden in mehreren Punkten Grundrechte verletzt“, sagt Hensche. 

Die Berliner Universitäten hatten dem Partner aus der Wirtschaft weitgehende Mitbestimmungsrechte eingeräumt: Über die Besetzung der zwei Stiftungsprofessuren sollte „im Einvernehmen“ mit der Deutschen Bank entschieden werden. Die Arbeit des zu gründenden „Instituts für angewandte Finanzmathematik“ sollte ein „Lenkungsausschuss“ steuern, in dem nicht die Stimme des Universitätsdekans, sondern die eines von der Bank entsandten „Managing Directors“ das größte Gewicht haben sollte. Forschungsergebnisse sollten der Deutschen Bank vorab zur Freigabe vorgelegt werden. 

Frappiert hat Hensche, der bis 2001 Vorsitzender der IG Medien war, aber auch der Umfang, in dem die Universität sich als Plattform für PR und Recruiting angedient hatte. Der Vertrag verpflichtete die Humboldt-Universität, „in ihren Publikationen auf die Kooperation hinzuweisen“, und der Bank wurde genehmigt, „redaktionelle Beiträge in hochschuleigenen Medien“ zu verfassen. Außerdem sollte es „einen Deutsche-Bank-spezifischen Kontakttag pro Jahr“ geben – mit der Erlaubnis, Studierende mit „Karriereangeboten anzusprechen“ und „Unternehmenspräsentationen“ durchzuführen. Detlef Hensche las den Vertrag und dachte: So etwas kann und wird ein Kuratorium, besetzt mit Vertretern des Uni-Präsidiums, des Berliner Senats sowie von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und unabhängigen Bildungsexperten, nicht durchgehen lassen. 

Der Arbeitnehmervertreter im Kuratorium sollte sich täuschen. Nach einer lebhaften Debatte stimmten von neun Kuratoriumsmitgliedern nur zwei gegen den Vertrag: Hensche selbst und der Vertreter der Studierenden. „Dann gab es noch ein bis zwei Enthaltungen“, erinnert sich Hensche, „die Mehrheit aber hat das abgesegnet.“ Mehr noch, sagt er: Die Vorfreude auf die Kooperation mit Deutschlands einflussreichstem Finanzinstitut sei geradezu mit Händen zu greifen gewesen. „Man wollte nicht nur das Geld und die Lehrstühle“, resümiert Hensche, „man wollte auch vom Renommee der Deutschen Bank etwas abbekommen.“ 

Und was wollte die Deutsche Bank? Laut Vertrag, der dem Magazin Mitbestimmung vorliegt, ließ es sich die Bank drei Millionen jährlich kosten, in Kooperation mit den exzellenten Mathematikern von HU und TU ein „Institut für angewandte Finanzmathematik“ zu gründen. „Dort sollten Formeln für das internationale Spielcasino entwickelt werden“, kommentiert Hensche. „Wie zynisch das war, haben wir kurze Zeit später in der Finanzkrise ja sehr deutlich gesehen.“ Mit dem Segen des Kuratoriums nahm das Institut 2007 für vier Jahre die Arbeit auf. Die Option auf Verlängerung wurde nicht genutzt; in diesem Sommer wurde es aufgelöst. Dass die breite Öffentlichkeit von seiner Existenz überhaupt erfuhr, ist einem Unermüdlichen im Wissenschaftsbetrieb zu verdanken: Peter Grottian, dem emeritierten Professor der Freien Universität Berlin, der den Vertrag im Mai dieses Jahres als Beleg für die „Kapitulation der Wissenschaftsfreiheit“ an die Öffentlichkeit zerrte. 

UNGLÜCKLICHE ROUTINE_ Wortreich widersprechen mag Grottian nicht einmal die Humboldt-Universität. Auch ihr heutiger Präsident und vormaliger parteiloser Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz räumt ein: „Ich kann die Kritik gut nachvollziehen.“ Weder seien „Werbung und Nachwuchsrekrutierung“ Aufgabe von Universitäten, noch sei vorgesehen, dass Stifter ihre Professuren selbst besetzen. Die Teilnahme an Berufungskommissionen sei zwar akzeptabel, sagt Olbertz, „ein Stimmrecht darf es aber nicht geben“. Insgesamt, konstatiert der Uni-Präsident, der schon als Sprecher der CDU-regierten Länder in der Kultusministerkonferenz als Mann der angenehm leisen Töne auffiel, müsse der Vertrag wohl als Resultat „unglücklicher Routine“ gewertet werden. „Im Allgemeinen reagiert die Uni sehr sensibel auf jede Form der Einmischung“, sagt Olbertz, „aber vielleicht ist es auch gut, noch einmal demonstriert zu bekommen: Wir müssen aufpassen.“ Künftig soll in allen Verträgen mit Stiftern, so sein Vorschlag, ein gleichlautender Referenzparagraf die Unabhängigkeit der Universitäten betonen. „Allgemeines Misstrauen“ sei zwar fehl am Platz; Klärung schade aber auch nicht. 

Was aber auch nicht schadet, ist, einmal einen Blick auf das weite Feld der Kooperationen von Wirtschaft und Wissenschaft zu werfen. Bundesweit werden nach Schätzungen des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft inzwischen bis zu 1000 Professuren nicht aus den Haushalten der Universitäten, sondern von außen finanziert. Sechs von zehn dieser sogenannten Stiftungsprofessuren werden von Vereinen, Verbänden, Mäzenen oder Stiftungen finanziert, vier aus der Privatwirtschaft. Wie eng die Interessen der Wirtschaft mit dem, was sie fördert, verknüpft sind, macht ein Blick auf die Liste der Professuren (www.stifterverband.info) schnell deutlich: Pharmafirmen von Pfizer bis Novartis finanzieren Lehrstühle für experimentelle Forschung, Vattenfall einen für Energiemanagement und der Rüstungskonzern OHB einen für Raumfahrtforschung. Das Prinzip ist dabei meist dasselbe: Die Stifter verpflichten sich für ein paar Jahre, fünf sind es meistens, eine oder mehrere Professuren voll zu finanzieren. Über die Besetzung der Lehrstühle entscheidet eine unabhängige Berufungskommission. Auch auf die Forschungsergebnisse haben die Stifter keinen Einfluss – wenn man einmal davon absieht, dass Details, die Firmeninterna betreffen, durchaus üblicherweise zur Freigabe vorgelegt werden. Die Entscheidungsmacht haben Stifter allerdings darüber, was sie fördern: nämlich zu 30 Prozent bei Stiftungsprofessuren in den Wirtschafts- und zu 20 Prozent in den Ingenieurwissenschaften. Und auch innerhalb der Fachbereiche fördern Stifter in aller Regel, was ihnen naheliegt. 

STIFTER SETZEN SCHWERPUNKTE_ Vor allem deswegen, erklärt Michael Hartmann, Soziologe und Elitenforscher an der TU Darmstadt, übten Stiftungsprofessuren einen „nicht unerheblichen Einfluss“ auf die Schwerpunkte deutscher Universitäten aus. „Wenn ein Fachbereich zwei Stiftungsprofessuren hat, beginnt sich manchmal die gesamte Strukturplanung an diesen auszurichten“, erklärt Hartmann. „Damit aber gibt dann nicht mehr die Universität vor, wo sie ihre Schwerpunkte setzt, sondern private Investoren.“ Und: Läuft eine Stiftungsprofessur aus, wird sie häufig von der Universität weitergeführt. „Und eine Stelle, die in den Etat der Uni übergeht“, so Hartmann, „muss in Zeiten knapper Kassen an anderer Stelle wegfallen.“ 

Michael Hartmann sagt aber auch: In größere Gefahr als durch die zwei bis drei Prozent gestifteter Professuren bundesweit gerät die Unabhängigkeit der Wissenschaft durch die immer stärkere Abhängigkeit von Drittmitteln, also von Geldern, die eingeworben werden (müssen). Mehr als 220.000 Euro wirbt jeder Universitätsprofessor inzwischen durchschnittlich ein; darunter jeden dritten bei der Wirtschaft. Bundesweit stammt jeder vierte Euro in den Hochschulen aus Drittmitteln; vielerorts ist es mehr als die Hälfte. Die Höhe der Drittmittel beeinflusst die Etats der Unis dabei gleich zweifach: Nahezu alle Bundesländer verteilen ihre Gelder inzwischen „leistungsbezogen“, und das heißt analog zu der Höhe der eingeworbenen Gelder. „Dieser doppelte Effekt“, konstatiert Hartmann, „hat weit größeren strategischen Einfluss als gestiftete Professuren. Den meisten Universitäten steht das Wasser bis zum Hals, da kann man nicht sehr wählerisch sein.“ 

Hintergrund, sekundiert der Politikwissenschaftler Rudolf Speth, sei vor allem die völlige Unterfinanzierung des Wissenschaftsbetriebs. Lobbyismusforscher Speth diagnostiziert einen immer höheren Druck auf Universitäten und Hochschulen. Er warnt: „Der Trend zur Privatisierung der Wissenschaft ist nicht neu. Aber er spitzt sich weiter zu.“ Auch Lobbygruppen, kritisiert Speth, nutzten den Ruf der unabhängigen Wissenschaft immer häufiger für äußerst unwissenschaftliche Ziele: nämlich um ihre Interessen durchzusetzen. 

Das aus Gewerkschaftssicht vielleicht schillerndste Beispiel ist der Münchner Arbeitsrechtler Volker Rieble: Mit einer Professur der Exzellenzschmiede Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) beleumundet, lässt er keine Gelegenheit zum öffentlichen Schlag gegen Arbeitnehmer und ihre Rechte aus. Immer wieder wettert er etwa in der FAZ gegen „eindeutig rechtswidrige Streiks“, „renitente Belegschaften“ oder „verfilzte Verantwortungslosigkeit als Problem der paritätischen Mitbestimmung“. Finanziert wird der Haudegen der Arbeitgeberpositionen dabei von genau jenen: Das Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR) ist nämlich gar kein originäres Institut der Münchner LMU, sondern ein „An-Institut“, getragen von einer gleichnamigen Stiftung, die mit 55 Millionen Euro Stiftungskapital ausgestattet wurde. Zusammengelegt dafür haben die Arbeitgeberverbände der bayerischen und baden-württembergischen Metallindustrie sowie der Bundesarbeitgeberverband Chemie.

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