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Magazin Mitbestimmung

: Alle weltweit erreichen

Ausgabe 03/2012

GLOBALISIERUNG BETRIEBSNAH Bei der ZF-AG haben Vorstand und IG Metall soziale Grundsätze für alle 116 Standorte im weltweiten Verbund unterzeichnet. In den VW-Werken in Indien und Russland baut der VW-Weltbetriebsrat derzeit eine betriebliche Arbeitnehmervertretung auf. Von Sigrid Thomsen und Cornelia Girndt

Sigrid Thomsen ist Journalistin in Hamburg und Cornelia Girndt, Redakteurin der „Mitbestimmung“/Foto: Volker Kick, ZF

In Friedrichshafen am Bodensee, dem Stammsitz der ZF-AG, betreibt die IG-Metall-Bevollmächtigte Lilo Rademacher seit Jahren ein Projekt mit globalem Radius: Organisatorisch geht es darum, die Arbeitnehmer(vertreter) in den ZF-Werken und -Niederlassungen außerhalb Europas zu erreichen und zu verbinden – auch mit dem Informationsfluss aus der Firmenzentrale. An diesem Arbeitnehmernetzwerk arbeitet Lilo Rademacher gemeinsam mit den Betriebsräten seit 2007. Dabei gelang es ihnen, zwei Gewerkschaftsvertreter aus den brasilianischen Standorten Sao Bernardo und Sorocaba an den Eurobetriebsrat anzudocken, wo sie jetzt einen festen Platz bei den Sitzungen haben.

Inhaltlich geht es Lilo Rademacher, die auch Aufsichtsrätin der ZF-AG ist, eines Unternehmens, dessen Hauptaktionär die Stadt Friedrichshafen ist, darum, Maßstäbe „guter Arbeit“ zu verankern. Dazu hat sich der deutsche Automobilzulieferer-Konzern weltweit auf Arbeitnehmerrechte und Standards verpflichtet, die an den 116 Standorten in 26 Ländern gelten. Für alle 60 000 Mitarbeiter. Niedergelegt ist das in den „Grundsätzen zur sozialen Verantwortung bei ZF“, die am 5. Oktober 2011 unterzeichnet wurden, und zwar vom Vorstandsvorsitzenden Hans-Georg Härter und dem Personalvorstand Jürgen Holeksa für die Managementseite und für die Arbeitnehmerseite von dem KBR-Vorsitzenden Johann Kirchgässner und den IG-Metall-Repräsentanten Lilo Rademacher und Berthold Huber.

EINE ART KONZERNVERTRETUNG_Im November letzten Jahres besuchten Lilo Rademacher und Betriebsräte von ZF das Werk im brasilianischen Belo Horizonte, mitgebracht hatten sie die gerade unterzeichneten „Grundsätze sozialer Verantwortung bei ZF“ – übersetzt auf Portugiesisch. „Für unsere Kollegen in Brasilien hat das Abkommen eine hohe Bedeutung“, berichtet Lilo Rademacher. „Es ist die Brücke zur Anerkennung gewerkschaftlicher Aktivität durch die Geschäftsleitungen dort.“ Und es schafft Grundlagen, damit die Arbeitnehmervertreter von den fünf ZF-Standorten in Brasilien über den begrenzten örtlichen Horizont hinaus eine Art Konzernvertretung bilden können, zumindest zweimal im Jahr zusammenkommen, um sich auszutauschen, etwa über Fragen der Sicherheit am Arbeitsplatz oder Berufskrankheiten. Auch materielle Ergebnisbeteiligung ist ein Thema: „Dazu müssen die Gewerkschaften konsultiert werden“, unterstreicht Lilo Rademacher, „statt dass die Personalleitung direkt an die Beschäftigten herantritt und die Gewerkschaften außen vor bleiben. Das soll sich ändern.“

Überhaupt einen Dialog anzuregen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern und darin die Gewerkschaften zu verankern ist ein wichtiges Anliegen der IG-Metall-Gewerkschafterin. So macht das Abkommen den ZF-Managern vor Ort deutlich, dass sie die gewerkschaftliche Vereinigungsfreiheit entlang der ILO-Normen beachten müssen – andernfalls könnten die Arbeitnehmer an den ZF-Standorten ihre neuen Beschwerderechte nutzen. Der Konzern aus Friedrichshafen verpflichtet sich außer zu Gesundheitsschutz-Aktivitäten auch zur Einhaltung nationaler Standards für Arbeitszeit und Vergütung – eine Selbstverständlichkeit, möchte man meinen. Weniger selbstverständlich ist, dass diese Unternehmens-Grundsätze auch für die Zuliefererbetriebe der ZF-AG gelten. Dies ist ein Verhandlungserfolg der Arbeitnehmerseite, die weiterhin darauf drängen wird, dass die Einhaltung auch unabhängig überprüft wird, betont Rademacher.

Die brasilianischen Kollegen bei ZF, die gewohnt sind, vor den Toren der Fabrik zu demonstrieren und Flugblätter zu verteilen, und zu den Arbeitsplätzen oft keinen Zugang haben, wissen mittlerweile um die Vorteile einer im Betrieb verankerten Interessenvertretung. „Sie halten viel von deutscher Mitbestimmung“, sagt Lilo Rademacher. Perspektive der Netzwerkarbeit bei ZF ist ein Weltbetriebsrat – zu dem würden dann auch Arbeitnehmervertreter aus Russland, Indien, China und den USA gehören.

VW: BETRIEBSGEWERKSCHAFT IN INDIEN_Im VW-Konzern gibt es schon seit 1998 einen Weltkonzernbetriebsrat. Dieses Konzept macht aber nur dann Sinn, wenn man an den weltweit verstreuten VW-Standorten auch Arbeitnehmervertretungen als Partner hat, die im Betrieb verankert sind. Und so ist man in Wolfsburg derzeit bestrebt, an den außereuropäischen Werken und Standorten von VW betriebliche Vertretungen zu installieren. In der westindischen Industriestadt Pune, früher hieß sie Poona, wo seit 2009 eine indische Variante des Polo produziert wird, wurde im Werk eine unabhängige Betriebsgewerkschaft gegründet. „Angefangen hat es mit Mitarbeiterkomitees, die beispielsweise ihre Anliegen in Bezug auf Arbeitskleidung oder Arbeitszeit vorbrachten“, erzählt Michael Riffel, der diese Entwicklung als Generalsekretär des Weltkonzernbetriebsrats begleitet hat. „Jetzt gibt es einen Tarifvertrag, ein Gewerkschaftsbüro und Ausschüsse, die mit dem Management sprechen. Im Augenblick geht es dort um die Belegschaftsverpflegung.“ Im Weltkonzernbetriebsrat sind die 3700 VW-Mitarbeiter aus Pune bereits vertreten. Ein Problem sei die stark parteipolitische Orientierung der indischen Gewerkschaftsverbände, erklärt Riffel. Doch es gebe inzwischen einen Pune-Rat der Betriebsgewerkschaften und erste Kontakte zum Internationalen Metallarbeiterbund.

VW-WERK KALUGA_Auch im russischen Kaluga, 180 Kilometer südlich von Moskau, leistet der VW-Konzernbetriebsrat Entwicklungshilfe für eine Art Betriebsrat: Eine Ex-Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung wurde aus Deutschland entsandt, um den Aufbau einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung zu unterstützen. In dem drei Jahre alten Werk stellen etwa 6000 Beschäftigte zwei VW- und zwei Skoda-Modelle her. Dort konkurrieren eine alte und eine neue Gewerkschaft. Die eine kommt aus der Tradition des Sowjetsystems, in dem sich parteinahe Gewerkschaften um die sozialen Belange ihrer Mitglieder sorgten. Die neue, offensivere Gewerkschaft war 2007 nach Auseinandersetzungen bei Ford in St. Petersburg gegründet worden. „Wir haben mit beiden gesprochen und zugesichert, dass sie eine freie Gewerkschaftsarbeit aufbauen können“, sagt der Generalsekretär des VW-Weltkonzerns Riffel. „Die Kollegen sollen selbst entscheiden, welcher sie beitreten wollen.“ Inzwischen gibt es Schulungen über die Bewältigung von Konflikten und Unterstützung beim Gründen von betrieblichen Ausschüssen. „Die Kollegen wollen diese Art von Mitbestimmung im Betrieb“, ist sich Michael Riffel sicher.

Karolina Stegemann, seit einem Jahr im Auftrag des VW-Betriebsrats in Kaluga, sieht darin auch einen Beitrag zur Demokratisierung: „Es geht um eine Kultur des Dialogs“, sagt die Ex-Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung, „denn gewöhnt sind die Menschen an eine autoritäre Führungskultur. Es kommt darauf an, dass wir Konsens suchen und im Gespräch bleiben, auch wenn keine schnelle Einigung erreicht werden kann.“ Noch aber organisieren beide Gewerkschaften zusammen gerade ein Fünftel der Belegschaft. Für einen Vertretungsanspruch nach dem russischen Gesetz muss die Hälfte ein Mitgliedsbuch haben.

WELTWEITE VW-CHARTA_Wann immer Kollegen aus den neuen VW-Werken zu Besuch nach Wolfsburg kommen, ob auf Einladung der IG Metall oder der VW-Betriebsräte, steht die „Charta über Arbeitsbeziehungen im Volkswagenkonzern“ auf der Tagesordnung. Sie wurde zwischen VW-Betriebsrat und der Konzernleitung 2009 verabschiedet, definiert „betriebliche Beteiligungsrechte demokratisch gewählter Arbeitnehmervertretungen“ und stellt sie in den Kontext einer „Leistungs- und Partizipationskultur“, die auch dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens verpflichtet ist. Wann welches Recht – auf Information, Konsultation und Mitbestimmung – zum Zug kommt, kann man in einer Tabelle nachschlagen: Es geht um Unterrichtung über Strategieplanungen des Unternehmens, Konsultation bei Restrukturierungsmaßnahmen und Verlagerung und die Mitsprache bei personalpolitischen und sozialen Angelegenheiten.

Neben dem Weltkonzernbetriebsrat existieren bei VW zwei Arbeitnehmernetzwerke für die Weltregionen Südamerika und Mittel- und Osteuropa. Sie fokussieren mehr auf gewerkschaftspolitische Themen wie Strategiebildung oder Nachhaltigkeit, berichtet IG-Metaller Flavio Benites, ein gebürtiger Brasilianer, der die Netzwerke betreut hat. Regie führt die IG Metall, sie finanzierte auch die beiden Treffen der Gewerkschafter aus den internationalen VW-Standorten in Wolfsburg – zuletzt 2011.

In den gewerkschaftlichen Netzwerken wird die „Charta über Arbeitsbeziehungen im Konzern“ intensiv diskutiert: „Sie ist ein einmaliger Versuch, Mitbestimmungsrechte zu globalisieren“, erläutert Frank Patta, bis dato Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Wolfsburg. Doch es gibt auch Skepsis gegenüber der Mitbestimmung. „Wenn wir aber die ausländischen Kollegen fragen, ob sie bei Leiharbeit vorab im Betrieb konsultiert werden möchten, wollen sie das natürlich. Daran versteht man, was Mitbestimmung ist“, sagt Patta, jetzt einer der vier Generalsekretäre beim VW-Weltkonzernbetriebsrat.

BEWÄHRUNGSPROBE BEI DER BASF_Das „Arbeitnehmernetzwerk BASF Südamerika“ wird dagegen vom Unternehmen finanziert und setzt ausdrücklich auf den „sozialen Dialog“ mit der Arbeitgeberseite. 1999 gegründet, besprechen die Arbeitnehmervertreter aus BASF-Betrieben in Argentinien, Brasilien, Chile und Kolumbien – ähnlich wie ein Eurobetriebsrat – ein bis zwei Mal im Jahr mit dem Management Fragen der Sicherheit am Arbeitsplatz oder den Umgang mit Fremdvergabe von Aufträgen. 2004 erreichten die brasilianischen Gewerkschaften die Anerkennung ihrer Fabrikkommissionen, die seitdem in jedem Zweigwerk eingerichtet werden können. Das ist ein Erfolg, weil diese betriebsnah agierenden Gremien garantieren sollen, dass Gewerkschafter nicht am Werkstor abgewiesen werden.

Die „Leitlinien des Sozialen Dialogs“ bei der BASF SE schreiben den Einfluss der lokalen Gewerkschaften und die Kostenübernahme durch das Unternehmen fest. In Brasilien koordiniert der Gewerkschaftsbund CUT das Netzwerk von BASF-Beschäftigten. Es hat nicht den Anspruch, zum Weltbetriebsrat zu werden. „Die Rechtsgrundlagen und Mitbestimmungsmodelle sind ja in jedem Land verschieden“, sagt Robert Oswald, Betriebsratsvorsitzender der BASF SE. „Doch das Verständnis von Standards und Normen bei den Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Management bei der BASF sollte international gleich sein. Netzwerke sind ein Weg dorthin. Wir orientieren uns an den Normen der ILO.“

Nach zehn Jahren beharrlichen Ringens um Verbesserungen in den südamerikanischen Betrieben folgte die bis dahin größte Belastungsprobe für den Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Dialog. Was war geschehen? In Brasilien hatten Beschäftigte in drei BASF-Werken außerhalb der Tarifrunde gestreikt. Dagegen ging der größte Chemiekonzern der Welt gerichtlich vor – und erreichte eine einstweilige Verfügung. In einem anderen Werk wurde ein Mitglied der Fabrikkommission ohne Konsultation entlassen; der Vorwurf war, der Mann habe einem Vorgesetzten gedroht.

„Die Fälle hatten wohl nichts miteinander zu tun“, meint Fritz Hofmann, der das BASF-Netzwerk mitbegründet hat und die Empfindlichkeiten kennt. „Aber die Kollegen haben es wahrgenommen wie dasselbe alte patriarchalische Verhalten des Unternehmers und fühlten sich an die Zeit der Diktatur erinnert. Unter diesen Umständen wollten sie den Sozialdialog nicht mehr weiterführen.“ Mehr noch: Wegen Behinderung gewerkschaftlicher Tätigkeit brachten die Brasilianer die BASF sogar vor die Kontaktstelle der OECD – davon war das Management in der Konzernzentrale in Ludwigshafen so wenig begeistert wie die Sozialpartnergewerkschaft IG BCE.

Krisenmanagement war gefragt: Arbeitsgruppen wurden eingerichtet, strittige Fragen aufgearbeitet, auf Spitzenebene setzten sich IG-BCE-Vorsitzender Michael Vassiliadis und ICEM-Generalsekretär Manfred Warda für eine Lösung ein. Schließlich wurde die OECD-Beschwerde zurückgezogen, der entlassene Kollege wieder eingestellt und für die Zukunft Konsultation vereinbart. Jetzt sprechen sie wieder miteinander im Weltkonzern. „Der Konflikt zeigt, wie fragil ein solcher Dialog ist“, sagt Fritz Hofmann. „Er muss in allen Ebenen der Hierarchie durchgesetzt werden.“

Foto des VW-Werks im russischen Kaluga: Pressestelle VW Rus

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