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Magazin Mitbestimmung

Industrie: Achtung Auftragseinbrüche!

Ausgabe 09/2012

Die Eurokrise erreicht auch Industriebetriebe in Deutschland, die mustergültig aus der Bankenkrise 2008 gekommen waren. Südeuropäische Märkte brechen weg, Investitionsprojekte wackeln, die Kurzarbeit kehrt zurück. Von Carmen Molitor

„Den plirono!“ war für Hochtief das Signal, dass die Krise nach Deutschland kommt. „Ich bezahle nicht!“ ist der Name einer Protestbewegung in Griechenland, die dazu aufruft, für öffentliche Dienste und Einrichtungen demonstrativ keine Gebühren zu entrichten, wenn man diese für ungerechtfertigt und überzogen teuer hält. Der zivile Ungehorsam der von Sparzwängen bedrängten Griechen trug dazu bei, dass zwei Milliardenprojekte von Hochtief zum Stillstand kamen. Der Essener Baukonzern ist über Tochtergesellschaften am Bau und Betrieb der beiden Mautstrecken von Elefsina über Patras nach Tsakona und von Maliakos nach Kleidi beteiligt, zwei Public-Private-Partnership-(PPP)-Projekte mit Investitionsvolumina in Höhe von 2,2 beziehungsweise 1,1 Milliarden Euro. Der griechische Staat schoss dreistellige Millionenbeträge hinzu, die Investitionen der privaten Projektpartner sollten ab 2008 durch sprudelnde Mauteinnahmen hereinkommen. Nur leider mieden die Autofahrerinnen und Autofahrer die ersten, unter anderem von Hochtief fertiggestellten Teilstrecken oder sie bezahlten einfach die Maut nicht. Die Bewegung „Den plirono!“ öffnete immer wieder demonstrativ an den Mautstationen die Absperrungen. Schließlich drückten viele Autofahrer einfach selber bei der Durchfahrt die Schranken weg und fuhren, ohne zu bezahlen, einfach durch.

Keine Einzelfälle, sondern ein Massenphänomen, das zu hohen Verlusten führte, wie der Bauriese 2011 konstatieren musste. „Es gibt seit längerer Zeit einen Baustopp und Verhandlungen mit dem griechischen Staat darüber, in welchem Umfang die Mautstrecken weitergebaut werden“, berichtet Gregor Asshoff, Bundesvorstandssekretär der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. „Es fehlt bislang schlicht und einfach das Geld, um die Projekte fortzuführen. Jetzt sollen eine Umschuldung und Neufinanzierung helfen. Bestimmte Teilstrecken werden gar nicht mehr gebaut.“

Aber es sind längst nicht nur die Bremsspuren im griechischen Mautgeschäft, die Hochtief Sorgen machen. Auch der Flughafen von Athen, den der Konzern neu baute und seit 2001 gemeinsam mit dem griechischen Staat betreibt, entwickelte sich zum Problemfall. Die Essener wollten sich schon vergangenes Jahr komplett von ihrer Flughafensparte trennen, zu der auch die Flughäfen in Düsseldorf, Hamburg, Sydney, Tirana und Budapest gehören. Sie streben einen Verkauf aller Flughäfen als Gesamtpaket an. Bisher platzten jedoch alle Verhandlungen. „Der Athener Flughafen erweist sich als der Flughafen, der den Verkauf dieses Gesamtpaketes sehr stark belastet“, berichtet Gregor Asshoff. „Er war bis zur Krise noch eine Perle und schreibt auch nach wie vor keine schlechten Zahlen. Aber potenzielle Bieter äußern immer wieder, dass sie bei einem Kauf auf keinen Fall den Flughafen Athen im Paket haben wollen.“

Anfang August erschütterten Hochtief dann auch noch die Auswirkungen der Krise in Spanien: Der spanische Baukonzern ACS, seit gut einem Jahr Hauptaktionär des Essener Konzerns und mit über zehn Milliarden Euro verschuldet, verpfändete über 30 Prozent aller Hochtief-Aktien an die spanische Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA). ACS musste seine Kredite refinanzieren, nachdem einige spanische Banken als Kreditgeber ausfielen und die bisherigen Sicherheiten – unter anderem eigene Aktien sowie Aktienwerte bei ihren Beteiligungen wie dem größten spanischen Energieversorger Iberdrola – an der Börse in den Keller gerauscht waren. Wenn es weiter schlecht läuft für ACS, dann könnte Hochtiefs größter Aktionär bald eine spanische Großbank werden. „Die BBVA würde wohl kein Interesse daran haben, für längere Zeit Ankeraktionär von Hochtief zu bleiben und die Aktien vermutlich wieder verkaufen wollen“, so Asshoff. Welche Spuren die Krise letztendlich bei Hochtief hinterlassen wird, ist also noch längst nicht ausgemacht.

REKORDJAHR 2011

Es war insgesamt ein unsicherer Sommer, was die Konjunkturaussichten in Deutschland betraf. Ab Mitte des Jahres mehrten sich die Anzeichen, dass die gute Performance der deutschen Unternehmen, die ungebremst Bestand zu haben schien, ungeachtet der Probleme der europäischen Nachbarn, getrübt würde. Wichtige wirtschaftliche Kennzahlen waren nicht mehr so rekordverdächtig: Das Bruttoinlandsprodukt wuchs etwas weniger stark als erwartet, die Außenhandelszahlen sanken leicht, ein Auftragsrückgang in der deutschen Industrie um durchschnittlich 1,7 Prozent wurde konstatiert, der Ifo-Geschäftsklimaindex sank vier Mal in Folge, und auch der Einkaufmanagerindex schwächelte. Viele Unternehmen nutzten wieder ein bewährtes Kriseninstrument: ThyssenKrupp, Opel, Ford, Michelin, Goodyear Dunlop, sogar Bosch beantragten für Teile der Belegschaften tageweise Kurzarbeit, um die Auftragseinbrüche aus Südeuropa zu überbrücken.

Bei der IG Metall registriert man die aufziehenden Gefahren und Unsicherheiten, die die Wirtschafts- und Schuldenkrise mit sich bringt. Man sieht – solange die Eurozone nicht auseinanderbricht – für Horrorszenarien keinen Anlass: „Wir haben ja eine absolute Gipfelstürmerei hinter uns“, gibt Peter Donath, Leiter des Bereiches Betriebs- und Branchenpolitik beim Vorstand der IG Metall, zu bedenken. „2007 war das große Boomjahr, dann die Krise 2008/2009. Danach gab es eine rasante Aufholjagd, und 2011 ist die Produktion in der Metall- und Elektroindustrie bereits um vier Indexpunkte höher gewesen als 2007.“ Das vergangene Jahr ging als Rekordjahr in die Geschichte der deutschen Wirtschaft ein, auch was Produktion und Gewinne anging. „Wenn auf diesem Niveau jetzt eine Stabilisierung erfolgt, ist das grundsätzlich eine relativ normale Entwicklung“, analysiert Donath. „Im Moment sind die Produktionszahlen und die Auslastung der Betriebe noch gut. Es geht zum Beispiel etwas unter, dass wir in Teilbranchen des Maschinenbaus wie Verpackungsmaschinen oder verfahrenstechnische Maschinen im ersten Halbjahr zweistellige Wachstumsraten in der Produktion hatten.“ Insgesamt sei im Maschinenbau ein Auftragsrückgang aus den Euroländern um 15 Prozent zu verzeichnen, was viele Unternehmen aber durch den Verkauf in ostasiatische Länder und die USA ein Stück weit kompensieren könnten, so Donath. In der Stahlproduktion sei man ungefähr auf dem Produktionsniveau von 2005, was ein gutes Jahr für die Branche gewesen sei.

ZWEIGETEILTE AUTOBRANCHE

Glänzende Geschäfte auf der einen, Absatzprobleme auf der anderen Seite – das prägt die Automobilwirtschaft. Im ersten Halbjahr 2012 sank in Europa die Zahl der Zulassungen von Automobilen um 19 Prozent, aber die Krise trifft die Automobilunternehmen höchst unterschiedlich. Firmen wie VW, BMW, Audi und Mercedes können den Nachfragerückgang leichter ausgleichen, weil sie in China oder den USA gut aufgestellt sind, sagt Peter Donath. Für Peugeot, Opel, Ford Deutschland oder Fiat dagegen sieht die Lage düsterer aus. Opel beispielsweise, wo in den Werken Rüsselsheim und Kaiserslautern ab September bis Jahresende an 20 Tagen kurzgearbeitet wird, kann aufgrund der Konzernstrategie wenig Absatzalternativen nutzen. Die Konzernmutter GM wolle lieber ihre Volumenmarke Chevrolet in Russland und China verkaufen, weshalb Opel auf diesen Märkten außen vor bleiben müsse, so Donath. „Opel baut tendenziell Arbeitsplätze ab, es wird über einen längeren Kündigungsschutz verhandelt. Zwar gelten noch bis Ende 2014 ein Verbot betriebsbedingter Kündigungen und Standortgarantien. Aber die Firma ersetzt Fluktuationen nicht und macht den Beschäftigten Abfindungsangebote.“ Beim Konkurrenten Ford sind die Auswirkungen der Krise moderater: „Bei Ford sind sieben Kurzarbeitstage für das zweite Halbjahr geplant, teilweise werden Arbeitszeitkonten abgebaut, und man ist zurückhaltend mit Einstellungen“, berichtet der IG-Metall-Branchenexperte.

AUSBLEIBENDE NACHFRAGE

Einstellungen in großem Stil, das war beim Reifenhersteller Goodyear Dunlop am Standort Wittlich in Rheinland-Pfalz zuletzt Ende 2010 ein Thema. Die steigende Nachfrage nach Pkw- und Lkw-Reifen in den europäischen Märkten hatte dafür gesorgt, dass 90 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen wurden. „Die Gewinne sind immens hochgegangen, die Verkäufe unwahrscheinlich gestiegen“, erinnert sich der Betriebsratsvorsitzende des Wittlicher Werkes, Joachim Weberskirch. 2009 und 2010 hatte Goodyear Dunlop in Wittlich 18 Monate lang Kurzarbeit gefahren, „Mitte 2010 hatten wir uns wieder gefangen“, berichtet der BR-Vorsitzende.
Aber schon Anfang 2012 standen die Zeichen wieder auf Krise, weil die Nachfrage aus den europäischen Märkten ausblieb. „Man hat es kommen sehen, aber nicht in dem Ausmaß“, so Weberskirch. Von März bis Anfang August arbeitete die Belegschaft erneut kurz und stellt sich auch für das Jahresende darauf ein. Statt einem gewohnten 21-Schicht-System fährt das Werk im Pkw-Sektor nur noch 16 Schichten. „Wir gehen von 350 Produktionstagen auf 265 Produktionstage zurück. Das ist schon immens“, findet Weberskirch. Ein Standortsicherungspakt sorgt zwar bis 2014 dafür, dass die 7500 Beschäftigten des Stammpersonals in Deutschland keine Entlassungen befürchten müssen. „Aber unsere Zeitverträge werden sehr wahrscheinlich alle auslaufen“, bedauert Weberskirch. Allein im Werk Wittlich müssten 25 bis 30 Kollegen nach Auslaufen ihrer Verträge gehen.

Der Anlagenbauer Alstom in Mannheim hat sich schon das ganze letzte Jahr mit Kurzarbeit über die Auftragsflaute gerettet. Alstom lebt mit seiner Produktpalette – Anlagen für Stromerzeugung, Energieübertragung und Schieneninfrastruktur – überwiegend von den Märkten in Europa und im Nahen Osten. Die Firma laboriere nicht an der aktuellen Krise, sondern noch an der von 2008, sagt Konzernbetriebsratsvorsitzender Udo Belz. „Als Anlagenbauer, der Kraftwerke und Züge baut, trifft uns eine Krise immer zeitversetzt“, erklärt er. Alstom sei auch dadurch blockiert, dass die Energiewende in Deutschland kein politisches Konzept erkennen lasse und Investoren deshalb mit ihrem Engagement zögerten.

Im Transportbereich erlebt man gleichzeitig den höchsten Auftragseingang, den der Konzern je hatte. Ein Boom, der fast nur auf deutsche Bestellungen zurückgehe. Andernorts herrschen dagegen schlechte Zeiten für Infrastrukturprojekte. „Eine logische Sache: Wenn die Staaten das ganze Geld den Banken geben, ist dafür einfach nichts mehr da“, sagt Udo Belz grimmig. Besonders dringend fehlen Alstom Aufträge im Gasturbinenbereich. „Ich hoffe, dass wir bald welche kriegen. Wenn nicht, dann müssen wir diese Strecke irgendwie überwinden. Das wird schwierig.“ Auch bei Alstom können bis Ende 2014 aufgrund von Verträgen zwischen Betriebsrat und Unternehmen keine Beschäftigten entlassen werden, im Anschluss verlängern sich diese Vereinbarungen zwei Mal um je ein Jahr, wenn keine Seite kündigt. Udo Belz wünscht sich die erweiterten Kurzarbeiterregelungen zurück, die viele Unternehmen durch die Bankenkrise 2008 gebracht hatten: „Ich bin in der Frage relativ sauer, weil die Bundesregierung, nachdem die Probleme im Automobilbereich behoben waren, die ganzen gesetzlichen Regelungen wieder zurückgeschraubt hat“, sagt er. „Wir bräuchten jetzt genau diese Hilfen.“

Auch die IG Metall fordert die Wiedereinführung der Modelle zur Beschäftigungssicherung inklusive erleichterten Kurzarbeiterregelungen und von sechs auf bis zu 24 Monate verlängertem Kurzarbeitergeld. „Wir müssen vorbereitet sein. Dazu sollte Kurzarbeit in den Krisenmodus geschaltet werden“, sagte der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber der „Welt“. Auch Gesamtmetall ist dafür. Die Regierung sollte diese Erleichterungen jetzt auf den Weg bringen, damit Unternehmen im Notfall nicht erst ein vierteljährliches Gesetzgebungsverfahren abwarten müssten. „Außerdem ist es politisch erforderlich, dass man in Europa zu einer Politik kommt, die die Wirtschaft stabilisiert und nicht durch einen Abwürgkurs ganz Europa in die Rezession führt“, betont Peter Donath. Was in deutschen Unternehmen passieren wird, wenn der Euro wirklich scheitert, mag sich der Gewerkschafter lieber nicht ausmalen.

Text: Carmen Molitor, Journalistin in Köln / Foto: Frank Rumpenhorst 

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