Quelle: Benjamin Jenak
Magazin MitbestimmungZukunft der Mitbestimmung: "Parität im Aufsichtsrat ist ein Vorteil"
Dirk Vogeler, Aufsichtsrat und Betriebsratsvorsitzender bei Arcelor Mittal in Eisenhüttenstadt, beklagt die Verlagerung vieler Entscheidungen in die internationale Zentrale. Die Mitbestimmung werde so ausgehebelt.
Seit der Wende hat sich unser Stahlwerk im brandenburgischen Eisenhüttenstadt ständig verändert – von der Stahl AG zur GmbH in einem global agierenden Konzern. Früher haben wir millionenschwere Sozialpläne verhandelt, heute kann unsere Geschäftsführung nicht mal allein entscheiden, ob und wie viel für Neubauprojekte oder größere Instandsetzungen investiert wird. Diese Entscheidungen fallen im zentralen Steuerungskomitee des Konzerns. Wenn etwa die Zentrale Aufgaben aus dem Einkauf aus allen Standorten abzieht und nach Polen vergibt, haben wir als Betriebsrat keine Möglichkeit, die Interessen unserer Kolleginnen und Kollegen richtig zu vertreten.
Das hebelt die Mitbestimmung in gewisser Weise aus und macht die Verhandlungen am Standort schwieriger. Früher saß ich als Betriebsrat mit dem Entscheider am Tisch, da gab es noch Spielraum. Jetzt setzt unsere Geschäftsführung nur um, was in Luxemburg entschieden wurde. Da kommen wir als Betriebsrat nicht ran. Mitbestimmung so, wie sie ist, hat solche Konzernstrukturen nicht im Griff. Entweder müssen Entscheidungen wieder dezentraler fallen oder wir müssen die Europäischen Betriebsräte stärken und ihnen Mitbestimmungsrechte geben. Im Moment müssen sie ja nur angehört werden. Als Stahlkonzern führen wir seit Jahren einen Kampf ums Überleben. Nach der Wende mussten wir die Vorgaben der Treuhand erfüllen, um zu überleben. Jetzt müssen wir im internationalen Wettbewerb bestehen und den anstehenden Wandel zu einer klimaneutralen Produktion bewältigen. Die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat ist da trotz der Internationalisierung unseres Konzerns immer noch ein großer Vorteil. Gerade bei dem Thema Zukunftstechniken kommen wir dort besser an Informationen.
Der technologische Wandel, der uns bevorsteht, wird noch gravierender ausfallen als der Systemwandel nach Wende und Wiedervereinigung. Solche Veränderungen lösen bei den Beschäftigten große Ängste aus. Wir müssen die Geschäftsführung dazu bringen, Perspektiven aufzuzeigen. Arbeitgeber zählen immer nur die Köpfe und wollen, dass es weniger werden. Wir zählen die Arbeitsstunden und wollen sie auf mehr Köpfe verteilen. Ohne die Montanmitbestimmung säßen wir bei Fragen, wie wir Beschäftigung und Qualifizierung sichern, nur am Katzentisch. Wir wollen, dass es unser integrierte Hüttenwerk am Ende des CO₂-Wandels immer noch gibt.“
Schwerpunkt: Mitbestimmung der Zukunft
Ob auf dem Bau, bei der Polizei, an Hochschulen oder im Stahlwerk – die Veränderungen der Arbeitswelt fordern Betriebs- und Personalräte heraus. Sechs von ihnen erzählen, was sie für die Zukunft brauchen.
"Parität im Aufsichtsrat ist ein Vorteil"
"Wir haben mehrere Verbesserungen erreicht"
"Solidarität kommt zu kurz"
"Mitsprache bei der Personalplanung wäre toll"
"Das System muss geheilt werden"
"Die Konflikte werden mehr"
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