Quelle: Uwe Zucchi
Magazin MitbestimmungGenerationswechsel: Jünger und bunter
Tausende verdiente Betriebs- und Personalräte gehen in den Ruhestand. Wissenschaftler haben untersucht, wie der Übergang am besten gelingt. Ihr Fazit: Es ist noch eine Menge zu tun. Von Annette Jensen und Andreas Molitor
Wenn Soziologen mal wieder ein Fallbeispiel für eine Studie zum Thema Betriebs- und Personalräte im Wandel suchen, sei ihnen ein Besuch in Kassel empfohlen. Bislang dominiert bekanntlich der Befund, dass die meisten Beschäftigtenvertretungen nach wie vor von knorrigen Männern mit deutschen Vornamen aus der Babyboomer-Generation dominiert werden. Beim Personalrat der Kasseler Stadtverwaltung dagegen ist der Verjüngungsprozess in vollem Gange; etliche Kolleginnen und Kollegen haben in den vergangenen Jahren das Pensions- oder Rentenalter erreicht oder stehen kurz davor. Noch liegt der Altersdurchschnitt bei 50 Jahren, Tendenz sinkend. Das jüngste Mitglied ist gerade mal 27 Jahre jung.
Auch in puncto Diversität geht es voran. Drei Personalrätinnen haben ausländische Wurzeln. Eine davon ist die Vorsitzende: Aydan Fazilet Karakas-Blutte kam als Vorschulkind mit ihren Eltern aus Istanbul nach Kassel, begann nach Abitur und Studium als Sozialarbeiterin in der Stadtverwaltung, engagierte sich schon früh als Vertrauensfrau und nahm, wie sie selbst sagt, den „ganz normalen Weg“ einer aktiven Gewerkschafterin. Im vorigen Jahr wurde sie zum zweiten Mal einstimmig als Vorsitzende wiedergewählt und vertritt nun erneut die Interessen von etwa 4000 öffentlich Beschäftigten der nordhessischen Stadt – nicht wegen einer Quote, sondern weil sie mit ihrer Kompetenz, ihrem Gerechtigkeitssinn und ihrer Standfestigkeit die Beschäftigten überzeugt hatte. Lediglich beim Thema Verjüngung muss sie mit ihren 61 Jahren passen. Die Suche nach jungen Kandidatinnen und Kandidaten für den Personalrat treibt sie allerdings mit voran.
Schub durch Betriebsratswahlen
Noch sind viele Betriebs- und Personalräte in deutschen Unternehmen und Behörden Mitte 50 bis Anfang 60. Doch diese Generation erfahrener, meist tief in der Gewerkschaftswelt verwurzelter Mandatsträger tritt nun ab. Die Beschäftigtenvertretungen werden jünger, weiblicher und bunter – ein Prozess, der durch die im kommenden Jahr anstehenden Betriebsratswahlen noch einmal einen kräftigen Schub erhalten wird.
Für Erhard Tietel, Professor am Zentrum für Arbeit und Politik der Universität Bremen, markiert der Generationswechsel einen Epochenwandel. „Da dankt eine politische Generation ab, die im Geist gesellschaftskritischer Utopien sozialisiert wurde“, sagt Tietel, der Grandseigneur der soziologischen Betriebsratsforschung. „Eine Kohorte kampf- und aushandlungserprobter Betriebspolitiker geht in Rente.“ Als sie ins Berufsleben einstiegen, hießen die Bundeskanzler noch Brandt oder Schmidt – und die Gewerkschaftsbosse Vetter, Kluncker oder Loderer.
Bei der Frage, wie wichtig der Wissenstransfer ist, zögert Erhard Tietel mit der Antwort. „Vielleicht werden wir viele dieser Kompetenzen gar nicht vermissen“, sagt er schließlich, „weil sie nicht mehr so recht in die Arbeitswelt von heute oder morgen passen.“ Führung sei heute eine Kernkompetenz. Viele der Altvorderen dagegen „haben hauptsächlich durch ihre Autorität geführt, sie waren halt die Wichtigsten, da gab es auch klassische Unterwerfungsrituale“. So etwas wirke „ein wenig aus der Zeit gefallen“. Die Unternehmen haben sich gewandelt und mit ihnen die Anforderungen an Betriebsräte. Digitalisierung und agiles Arbeiten „rufen auch in den Beschäftigtenvertretungen nach Menschen mit einem partizipativeren Führungsverständnis“. Also: Neue Männer braucht das Land. Und neue Frauen.
Gleichstellung heißt: Quote erreichen
Ein Forscherteam unter der Leitung von Maria Funder und Leo Kißler, Soziologen an der Universität Marburg, hat an sechs Fallbeispielen untersucht, wie weit die Betriebsräte auf diesem Weg vorangekommen sind, und kam zu dem Ergebnis, dass noch eine Menge zu tun ist. „In keinem Betriebsrat existieren nachhaltige Diversity-Konzepte, die auf einen Generationswechsel oder eine systematische Gleichstellungspolitik abzielen“, so das Fazit der von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie. Die Betriebsräte hätten „günstigstenfalls erste Überlegungen und Maßnahmen zum Prozess der Generationennachfolge angestellt“. Die Fallstudien „belegen, dass die Gleichstellung der Geschlechter für viele Betriebsräte in erster Linie bedeutet, die gesetzlich festgesetzten Quote zu erreichen“.
Allerdings fanden die Autoren durchaus einige wirkungsmächtige Akteurinnen und Akteure, die auf Veränderungsprozesse hinarbeiten. Gemeint sind Frauen wie Inna Mitternacht, seit zwei Jahren Betriebsratsvorsitzende der im badischen Endingen beheimateten Niederlassung des Schweizer Metallunternehmens Oetiker. Die 39-Jährige, bislang einzige Frau in dem Neuner-Gremium, war gerade erst frisch in den Betriebsrat gewählt worden und rückte dann schon zur Mitte der Wahlperiode an die Spitze. „Mein Vorgänger wollte zurück an die Maschine“, erzählt sie. „Für mich war klar, dass ich das machen wollte. Gemeinsam sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass es am besten passt, wenn ich übernehme, und wir haben das im Betrieb auch klar kommuniziert.“ Im Betriebsrat seien die meisten jetzt zwischen 30 und 40, zwei ältere Kollegen werden bei der Wahl im nächsten Jahr ausscheiden. Als Frau an der Spitze eines Metall-Betriebsrats ist Inna Mitternacht in der Region übrigens keine Ausnahme mehr. „Da gibt es mittlerweile etliche Kolleginnen, die den Vorsitz innehaben“, sagt sie. Ein Prozess für mehr Diversität in den Gremien, den die IG-Metall-Geschäftsstelle Freiburg beherzt vorantreibt.
Talentsuche bei den Jungen
Auch bei Currenta/Tectrion in Dormagen kann sich die Bilanz in puncto Geschlechtergerechtigkeit sehen lassen. Beim Dienstleister der drei nordrhein-westfälischen Chemieparks, früher zum Bayer-Konzernreich gehörend, besetzen Frauen vier der 15 Betriebsratsposten, Vorsitz inklusive. Und das bei einer Frauenquote am Standort von nicht einmal zehn Prozent der Beschäftigten. Schon nach der letzten Wahl ist das Gremium deutlich jünger geworden, „im Schnitt jetzt zwischen 40 und 50“, so Joline Macek, die Vorsitzende. Sie selbst ist 41, kam als junge Chemielaborantin vor fast 20 Jahren in den Betriebsrat und ist seit zwölf Jahren freigestellt.
Jetzt nimmt sie die Wahlen im kommenden Jahr in den Blick. Eine Talentsuche in der Jugend- und Auszubildendenvertretung böte sich an, „aber leider waren die Aktivitäten dort in den vergangenen Jahren sehr überschaubar“. Gern würde die Betriebsratschefin alle Beschäftigtengruppen im Gremium repräsentieren, „aber das Luxusproblem, dass wir uns Gedanken machen könnten, ob für diesen oder jenen Posten eine Frau, ein Vertreter einer bestimmten Berufsgruppe oder jemand mit ausländischer Herkunft am besten passen würde, haben wir leider noch nicht“. Gegenwärtig sei man froh, „wenn wir alle Plätze gut besetzt kriegen. Ein Betriebsratsamt ist nun mal nicht unbedingt ein Karrierebooster“. Als bester Talentpool haben sich in der Vergangenheit die Vertrauensleute erwiesen. „Wir binden sie beispielsweise in unsere Ausschussarbeit ein und führen sie so allmählich an die Betriebsratsarbeit heran“, sagt Joline Macek.
Eine systematische langfristige Planung mit Workshopreihen oder Klausurtagungen könnte bei der Suche nach künftigen Kandidaten helfen. „Aber so weit sind wir noch nicht“, sagt Macek, die nach Feierabend bei der SPD in ihrer Heimatstadt Bedburg aktiv ist. „Eine Stellenbesetzungsmatrix mit klar definierten Verantwortlichkeiten – davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt.“
Besonders konfliktträchtig ist erfahrungsgemäß die Übergabe des Vorsitzes, beispielsweise im Zuge des Generationswechsels. „Oft denkt man in den Gremien nicht weiter als bis zur Wahl des Nachfolgers“, urteilt Erhard Tietel. „Dann stehen da große Schuhe.“ Dabei sei der Nachfolgeprozess mit der Wahl eines neuen Vorsitzenden lange nicht abgeschlossen. „Nachfolgen an der Spitze krempeln die eingespielten Beziehungen um und verändern die Rangordnung im Gremium“, erklärt der Wissenschaftler. „Und der Neue muss zusehen, wie er sich in der Position behauptet.“
Jens Maylandt, Wissenschaftler an der Sozialforschungsstelle der Technischen Universität Dortmund, hat die Nachfolgeplanung und Übergangsgestaltung an sieben Fallbeispielen aus unterschiedlichen Branchen untersucht. Immerhin, so sein Befund, wurde „die Notwendigkeit, solche Prozesse einzuleiten, in allen Gremien erkannt und thematisiert“. In sechs von sieben Fällen hat die frühere Stellvertretung den Vorsitz übernommen. Da überrascht es nicht, dass auch die Diskussion des anstehenden Übergangs fast ausschließlich zwischen dem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter geführt wurde – ein klassisches Muster. Fast nie wird das Thema Nachfolge und Übergang kontinuierlich behandelt, etwa indem Kompetenzprofile für künftige Vorsitzende erarbeitet werden. In einem Fall war der anstehende Wechsel im Vorsitz „allenfalls Gesprächsthema außerhalb der Sitzungen, zum Beispiel auf dem Parkplatz“.
Ein planmäßiger Generationswechsel ist noch am ehesten in den Betriebsräten von Großunternehmen anzutreffen. Beim Darmstädter Wissenschafts- und Technologieunternehmen Merck etwa stand, als der bisherige Vorsitzende im vorigen Jahr in die Freiphase vor seinem Ruhestand ging, der Nachfolger schon lange bereit. Besser gesagt: zwei Nachfolger, die sich seit ihrem Vorstellungsgespräch vor 20 Jahren kennen. Sascha Held, 38, bis dato Vize, übernahm den Vorsitz, auf seinen Stellvertreterposten wiederum rückte die ein Jahr jüngere Anne Lange. Bereits bei der vorigen Betriebsratswahl stand fest, dass der Staffelstab während der Wahlperiode an Held übergeben würde. „Wir haben zu dritt und mit dem gesamten Team auf diese Lösung hingearbeitet“, erzählt Anne Lange. „So hatte Sascha die Möglichkeit, sich zu etablieren, und die Belegschaft konnte uns als neues Führungsteam schon eine Zeit lang vor der nächsten Wahl kennenlernen und besser beurteilen.“
Niemanden weggebissen
„Wir haben da niemanden weggebissen“, versichert Held. Viele offene Gespräche mit dem Betriebsratsteam hätten geholfen, dass „Aufgaben und Verantwortlichkeiten nicht liegen geblieben sind“. Anne Lange und er seien mehr oder weniger in ihre jetzigen Positionen hineingesogen worden. Als die Zeit der Übergabe gekommen war, herrschte schnell Einigkeit, wer den Vorsitz übernimmt und wer Stellvertreter wird. Das Beispiel zeigt: Vieles steht und fällt damit, dass Menschen Verantwortung übernehmen wollen. Dass sie die Chance ergreifen. Und die Macht.
Im Hinblick auf die kommende Wahl, so Anne Lange, überlegen die Merck-Betriebsräte schon seit einiger Zeit, „was uns wegbrechen wird und welche Expertise wir neu aufbauen oder ersetzen müssen“. In Gedanken ist das Vorsitz-Tandem schon beim Ende der nächsten Legislatur im Jahr 2026: Wer wird dann altersbedingt von Bord gehen? Ist vielleicht schon jemand in Sicht, den man langfristig aufbauen könnte?
Bei Oetiker richten sich die Überlegungen auf die anstehende Wahl. Inna Mitternacht gefällt es nicht, dass auf der Liste der neuen Kandidaten bislang nur Männer stehen. „Wir sind dran, das zu ändern“, sagt sie. „Das kriegen wir hin.“
Schwerpunkt: Mitbestimmung der Zukunft
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