Quelle: Yvonne Berardi
Magazin MitbestimmungStandortsicherung: "Ein echter Kampfbetrieb"
Als der Zulieferer MAG IAS in Rottenburg dichtmachen sollte, stellte sich der Betriebsrat quer. Herausgekommen ist ein mutiger Neustart. Von Stefan Scheytt
Vor nicht einmal einem Jahr sah es für die Beschäftigten des traditionsreichen Maschinenbau-Zulieferers MAG IAS in Rottenburg am Neckar ganz finster aus. Wegen des Strukturwandels in der Autoindustrie und wegbrechender Aufträge sei die Produktion mit ihren 128 Mitarbeitern nicht mehr wirtschaftlich und müsse nach Ungarn verlagert werden, verkündete die Firmenleitung. Bis dato hatte das Werk vor allem die Werkzeugmaschinenhersteller der taiwanesischen FFG-Gruppe, zu der auch MAG IAS gehört, mit Komponenten wie Spindeln und Rundtischen beliefert. Nur ein halbes Jahr später, im Frühjahr 2021, erklärt derselbe Geschäftsführer, das Unternehmen sei jetzt eine Art Start-up, man sei sehr optimistisch, bis Ende 2021 oder Anfang 2022 ein „tolles, neu ausgerichtetes Werk“ zu betreiben. Bis auf eine Handvoll Mitarbeiter behalten alle ihren Job. Nur ein gutes Dutzend Mitarbeiter haben das Unternehmen seither verlassen, keinem wurde gekündigt. Tanja Nitschke, die als Geschäftsführerin der IG Metall Reutlingen-Tübingen das Unternehmen durch die Krisenzeit begleitete, nennt die Rettung des Werks den größten Erfolg ihrer Karriere als Gewerkschafterin. Dass aus einem Stilllegungsbeschluss binnen weniger Monate ein Neustart wurde, ist der hoch organisierten Mannschaft zu verdanken – und dem Betriebsrat und der IG Metall, die einen Alternativplan erarbeiteten und mit der Geschäftsführung aushandelten.
Doch der Reihe nach: Nach dem Stilllegungsbeschluss war erst mal Alarm angesagt; die Rottenburger Belegschaft und die Gewerkschaft organisierten eine Menschenkette vor dem Werkstor und gewannen den CDU-Bürgermeister sowie den SPD-Bundestagsabgeordneten als öffentliche Fürsprecher. Wenige Tage vor Weihnachten kam dann die erste frohe Botschaft: Die Schließung war – zumindest vorerst – vom Tisch. Und nach weiteren zehn Verhandlungstagen über das von IG Metall und Betriebsrat vorgelegte Alternativkonzept stand im März fest: Der Standort bleibt.
Und so sieht der Plan aus: Das Werk, das bisher als „verlängerte Werkbank“ fast ausschließlich Aufträge des Mutterkonzerns bediente, der wiederum Maschinen vor allem an Autohersteller liefert, soll sich freischwimmen, seinen Kundenstamm erweitern und so selbstständig werden, dass es auf mittlere Sicht sogar für neue Eigentümer attraktiv wird. MAG IAS baut jetzt einen eigenen Vertrieb auf und wird seine Komponenten künftig auch an externe Kunden – diesseits und jenseits der Autobranche – verkaufen, etwa an Hersteller von Druck-, Verpackungs- oder Textilmaschinen. Erste Aufträge seien bereits unter Dach und Fach, berichtet Betriebsratschef Firmin Mauch. Angetan war die Geschäftsleitung zudem von der Idee der IG Metall, Beschäftigte mithilfe des Arbeitgeberverbands zeitweise an andere Firmen zu verleihen – gerade jetzt, wo noch viele in Kurzarbeit sind. „Wenn ein Mitarbeiter zwischendurch mal woanders war, kann er vieles besser beurteilen“, lobt MAG-IAS-Geschäftsführer Marc Otto die Initiative. „Das ist das Beste, was der Firma passieren kann.“
Alle hören jetzt einander zu
Gewerkschafterin Tanja Nitschke betont die „erweiterte Mitbestimmung“ für den Betriebsrat, dessen Mitbestimmungsrecht über das Betriebsverfassungsgesetz hinausgeht. „Arbeitgeber und Betriebsrat entscheiden gemeinsam, welche Aufträge den Standort nach vorne bringen.“ Der Betriebsrat überwacht die Umsetzung des zehnseitigen Standortsicherungsvertrags laufend. „Und wenn die Abmachungen nicht eingehalten werden, gibt es auch keine Leistungen der Beschäftigten“ – die haben ihr Weihnachts- und Urlaubsgeld für 2021 und 2022 eingebracht.
Betriebsratschef Firmin Mauch, der, wie die meisten, seine Ausbildung zum Industriemechaniker hier im Werk absolvierte, erlebt ein neues Miteinander – sowohl zwischen den Kollegen als auch mit Eberhard Schmid, dem neuen Werksleiter, der mit allen rede und aufmerksam zuhöre. Ein gutes Zeichen sei auch, dass die Ausbildung weiterlaufe und zum Jahresanfang fünf Plätze ausgeschrieben wurden. „Wenn wir die Zukunft als Qualitätsbetrieb mit Facharbeitern gestalten wollen, können wir die Ausbildung nicht aussetzen, weil gerade schwierige Zeiten sind.“ Noch sei das Werk nicht über den Berg, aber man sehe das Licht am Tunnelende. Und das sei ein großer Erfolg, gemessen an der Situation im Spätsommer 2020: „Ohne unseren Einsatz würde das Werk jetzt abgewickelt, die Maschinen auseinandergerissen. Vielleicht wäre schon das Licht aus.“
„Es wäre ein Jammer gewesen, das Werk dichtzumachen“, sagt Metallerin Tanja Nitschke. „Die Kollegen sind Künstler. Was die aus den Maschinen an Genauigkeit rausholen, ist einmalig.“ Kämpfer seien sie aber auch: „Die Belegschaft ist ein eingeschworener Haufen“, lobt Nitschke den Zusammenhalt. „Das ist ein echter Kampfbetrieb.“