Quelle: HDE/Ho otografen
Magazin MitbestimmungPro & Contra: Sollen mehr Geschäfte am Sonntag öffnen dürfen?
Ja - sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE). Nein - sagt Orhan Akman, Verdi-Bundesfachgruppenleiter Einzel- und Versandhandel.
Stefan Genth ist der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE)
Ja. Die Möglichkeit zur gelegentlichen und verlässlichen Sonntagsöffnung ist für den Einzelhandel wichtig. Viele Nicht-Lebensmittelhändler mussten auf dem Höhepunkt der Corona-Krise ihre Geschäfte geschlossen halten. Für diese Unternehmen wären offene Sonntage eine Chance, wenigstens etwas des verlorenen Umsatzes aufzuholen. Sonntagsöffnungen können in Zeiten der Pandemie auch einen Beitrag leisten, die Kundenströme zu entzerren und somit Zusammenballungen in den Innenstädten zu vermeiden. Darüber hinaus ist nicht einzusehen, warum dem Einzelhandel hier eine Sonderrolle zukommen soll. In der Gastronomie ist Sonntagsarbeit akzeptiert. Zudem ist die Ladenöffnung an Sonntagen in keinem anderen europäischen Land – außer in der Schweiz – derart beschränkt wie in Deutschland.
Die Sonntagsöffnungen könnten auch der zunehmenden Verödung der Innenstädte entgegenwirken, und man würde damit auch dem starken Bedürfnis vieler Familien nach einem gemeinsamen Ausflug mit Einkaufserlebnis in den Stadtzentren entsprechen. Der Sonntag ist dafür ideal. Es geht in dieser schweren Zeit um die Existenz vieler Handelsunternehmen. Kurzfristige Klagen gegen bereits genehmigte Sonntagsöffnungen sind kontraproduktiv und helfen letztendlich keinem weiter: Die Unternehmen investieren vorab Geld für Werbung und Personal und müssen dieses Geld dann abschreiben. Das gefährdet am Ende Arbeitsplätze. Deshalb rufen wir die Gewerkschaften zu konstruktiver Zusammenarbeit auf.
Orhan Akman ist Verdi-Bundesfachgruppenleiter Einzel- und Versandhandel:
Nein. Die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten wird immer dann aus der Mottenkiste geholt, wenn es im Einzelhandel kriselt. Nun ist es die Corona-Pandemie, die als Grund herhalten soll. Jahrzehntelang haben wir eine ständige Liberalisierung und Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten erlebt. Die Fortsetzung einer solchen Deregulierung ist katastrophal für den Einzelhandel. Allein seit 2010 sind knapp 40 000 Unternehmen und Läden aus dem Markt verdrängt worden und mussten Insolvenz anmelden. Wir müssen uns vielmehr mit der Tarifflucht sowie mit den Auswirkungen der Plattformökonomie beschäftigen. Die großen Onlineplayer verweigern Tarifverträge, nutzen die öffentlich finanzierte Infrastruktur und zahlen zugleich kaum Steuern. Aber auch große Handelsunternehmen betreiben Tarifflucht.
Die immer weiter forcierte Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten hat zusammen mit Tarifflucht und Lohndumping, Preiskriegen und extremen Mietsteigerungen der Ladenflächen bereits zu einer Verödung der Innenstädte geführt. Mit jedem Laden, der schließt, stirbt auch ein Teil des sozialen Lebens vor Ort. Doch das soziokulturelle Leben braucht auch Zeit, sich zu entwickeln. Verkaufsoffene Sonntage können nicht richten, was das ganze Jahr über schiefläuft. Daher werden wir zusammen mit unseren kirchlichen Bündnispartnern in der „Allianz für den freien Sonntag“ weiter für den Schutz des arbeitsfreien Sonntages kämpfen.