Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungVon JEANNETTE GODDAR: 2015 geflüchtet, heute Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung
Stiftung Seit über zehn Jahren fördert die Böckler-Aktion Bildung begabte junge Menschen mit BAföG-Höchstsatz-Berechtigung in einem speziellen Programm. Unter den neuesten Stipendiaten hat jeder dritte eine Fluchtgeschichte.
Von JEANNETTE GODDAR
Der vielfache Zuzug junger Menschen aus dem Nahen Osten im Herbst 2015, ein Großteil aus Syrien oder dem Irak, hat die Studienförderung der Hans-Böckler-Stiftung erreicht. „Von 72 Studierenden, die wir im März aufgenommen haben, sind 26 Geflüchtete“, erklärt Sarah Winter, Koordinatorin der Böckler-Aktion Bildung (BAB).
Seit 2015 haben sich 776 studierwillige oder bereits studierende Flüchtlinge beworben, insgesamt 98 wurden aufgenommen. Die meisten stammen aus Syrien und dem Irak und sind in 2015 und 2016 nach Deutschland eingereist. Nahezu jeder zweite hat bereits in seinem Herkunftsland studiert.
Und was studiert jemand, der nach Deutschland gekommen ist, um hier neu anzufangen? Viele angehende Mediziner oder Ingenieure, aber auch Jura-Studenten seien unter den Stipendiaten, so Winter, und: „Im Grunde kennen wir das von anderen Studierenden, die die ersten Akademiker in ihren Familien sind: Bei der Berufswahl wird stark auf Arbeitsmarktaussichten, Sicherheit und ein gewisses Prestige gesetzt.“
Bei den Auswahlgesprächen beeindruckten die BAB-Koordinatorin vor allem die „jetzt schon richtig guten Deutschkenntnisse“ und das ehrenamtliche Engagement nach so kurzer Zeit in Deutschland: „Viele haben schon in ihren Erstaufnahmeeinrichtungen gedolmetscht oder andere bei Behördengängen begleitet“, berichtet Winter, „was häufig dazu führte, dass sie dabei eine Stelle kennenlernten, etwa in der Flüchtlingshilfe von kirchlichen oder freien Trägern.“
Im Rahmen der Böckler-Aktion Bildung wird – wie bei anderen Begabtenförderprogrammen auch – auf Leistung ebenso geschaut wie auf zivilgesellschaftliches Engagement. Allerdings nimmt das Programm, das die Chancengerechtigkeit beim Hochschulzugang zum Ziel hat, stärker als andere die Gesamtbiografie der Bewerber in den Blick. „Und Flucht“, sagt Winter, „ist ein Faktor, der das Leben immens beeinflusst.“
Eine weitere Zugangsvoraussetzung ist die Berechtigung für den BAföG-Höchstsatz; bei Flüchtlingen tritt der BAföG-Anspruch im Regelfall nach 15 Monaten in Kraft. Auch ein Aufenthaltstitel ist Pflicht; die Bewerbung mit einer – zeitlich befristeten – Duldung ist möglich. Wer sich für das BAB bewirbt, darf zudem noch nicht mit dem Studium begonnen haben. Bei Flüchtlingen werden dabei allerdings Ausnahmen gemacht.
Anders als einige andere Förderwerke hat die Hans-Böckler-Stiftung für Flüchtlinge kein „Extra-Programm“ aufgelegt, sondern integriert sie in die seit 2007 bestehende Böckler-Aktion Bildung. Seit Beginn an förderte das Programm, das bisher insgesamt 1300 Menschen auf ihrem Weg in das akademische Leben begleitet hat, auch Studierende mit Fluchthintergrund.
Bereits der erste BAB-Stipendiat überhaupt kam als minderjähriger Flüchtling aus Burkina Faso allein nach Deutschland. „Das Tolle an BAB ist, dass man viele Leute trifft, die in einer ähnlichen Lage sind. Das schweißt zusammen, und es ist eine echte Unterstützung“, erzählte der damals 29-jährige Elektroingenieur Soumaila Savadago dem Magazin Mitbestimmung.
Das passiert nun wieder: In der letzten Juni-Woche kamen alle BAB-Neustipendiaten – also nicht nur die geflüchteten – in Springe bei Hannover zusammen, bekamen Informationen über das Studium an sich, die Förderung der Böckler-Stiftung – und lernten sich in Workshops überhaupt erst einmal kennen. „Wir erleben hier ein ganz konstruktives Miteinander. Alle haben große Lust, zu schauen, wer die anderen sind und was sie erlebt haben – unabhängig davon, ob sie nun aus Dortmund oder Aleppo stammen“, erzählte Pascal Geißler, Referatsleiter in der Studienförderung.
Wie Gewerkschaften in Deutschland arbeiten, erfuhren die Neu-Stipendiaten dann auch gleich: Vertreter von DGB, GEW, IG BCE und IG Metall berichteten über Mitbestimmung an den Hochschulen stellten Möglichkeiten zur Mitarbeit vor. Dabei erlebten viele der jungen Menschen zum ersten Mal, was unabhängige Arbeit von Arbeitnehmervertretern ausmacht: In Syrien etwa gibt es keine freien Gewerkschaften.
Aufmacherfoto: Christian Burkert
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