Quelle: Schöne/Rathke/Rumpenhorst/Baatz
Service aktuellWeltfrauentag 2022: Zwischen Gleichberechtigung und Retraditionalisierung
Rückt die Gleichheit von Männern und Frauen näher? Oder ist das Gegenteil der Fall? Fünf Wissenschaftlerinnen der Hans-Böckler-Stiftung werfen ein Schlaglicht auf den Stand der Gleichstellung im Jahr 2022.
Starke Frauen, starke Zukunft
Claudia Bogedan: Im Mai 2022 wird – wenn die Delegierten dem bislang einzigen Wahlvorschlag folgen – mit Yasmin Fahimi erstmals eine Frau an die Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes gewählt. Auch die Hans-Böckler-Stiftung erhält so ihre erste weibliche Vorsitzende. Als Angela Merkel Kanzlerin wurde, habe ich seinerzeit kommentiert: „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“. Entscheidend sei, ob Politik bestehende Benachteiligungen von Frauen auch aktiv bekämpft.
Heute, 16 Kanzlerinnenjahre später, muss ich sagen, es macht eben doch einen Unterschied. Die Bastionen, in denen heutzutage noch Männer unter sich sind, werden weniger. Das macht anderen Frauen Mut, sich selbst auch Führung und Verantwortung zuzutrauen. Es wird daher auch nicht folgenlos bleiben, wenn die Gewerkschaftsbewegung ein prominentes weibliches Gesicht erhält. Denn Frauen machen bislang in den acht DGB Gewerkschaften nur etwas mehr als ein Drittel aller Mitglieder aus. Bei allem, was uns in den kommenden Jahren an Herausforderungen erwartet, sind Frauen nicht mehr wegzudenken - gemäß dem Motto der 20. DGB-Bundesfrauenkonferenz „Starke Frauen, starke Zukunft: Wandel ist weiblich.“
Keine Rückkehr zu alten Rollenmustern!
Bettina Kohlrausch: Vor zwei Jahren warnten wir erstmals vor einer Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse als Konsequenz aus den Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus. Diese These war umstritten – auch weil erste Befunde im April 2020 einen Anstieg des Anteils der Väter, die den überwiegenden Teil der Sorgearbeit übernahmen, verzeichneten.
Im dritten Jahr der Pandemie halte ich die These der Retraditionalisierung für bestätigt. Nimmt man die Verteilung der Sorgearbeit und die Arbeitsmarktbeteiligung als Marker für die Gleichstellung von Männern und Frauen, ist die aktuelle Situation schlechter als vor der Pandemie. Der Anteil der Frauen, die den überwiegenden Teil der Sorgearbeit leisten, liegt inzwischen über dem Vorkrisenniveau. Deutlich mehr Frauen als Männer haben ihre Arbeitszeit wegen der Kinderbetreuung reduziert. Frauen, vor allem Mütter, werden sich aus dieser geschwächten Position auf einem Arbeitsmarkt behaupten müssen, der aufgrund der aktuellen Krisen und Transformationsprozesse unter einem starken Druck steht.
Es besteht zu befürchten, dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Folge der Pandemie zurückgeht, während ihr Anteil an der Sorgearbeit steigt. Dies ist auch die Folge einer Politik, die sich vor allem auf die Absicherung von Erwerbsarbeit konzentriert hat, ohne die Sorgearbeit in den Blick zu nehmen. Dies muss sich ändern.
Der weite Weg zu Equal Pay
Aline Zucco: Am größten ist der Unterschied bei der Rente. Frauen erhalten gerade einmal gut die Hälfte des Alterseinkommens der Männer, der sogenannte Gender Pension Gap liegt bei 49 Prozent. Das liegt daran, dass Frauen über ihr Arbeitsleben hinweg ein deutlich geringeres Einkommen erwerben als Männer: Die Lücke im Lebenserwerbseinkommen zwischen Männern und Frauen in Ostdeutschland liegt bei 40 Prozent, in Westdeutschland sogar bei 45 Prozent. Grund dafür ist einerseits, dass Frauen nach der Geburt für die Kinderbetreuung ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen und in Teilzeit auf den Arbeitsmarkt zurückkehren. Außerdem verdienen Frauen pro Stunde deutlich weniger als Männer. Auch wenn sich hier in den letzten Jahren einiges getan hat, liegt der Gender Pay Gap, also der Unterschied im Bruttostundenlohn, immer noch bei 18 Prozent.
Übrigens, auch beim Vermögen gibt es bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Männer besitzen in Deutschland im Schnitt 45 Prozent mehr Vermögen als Frauen. Und es steht zu befürchten, dass die Lücke noch viel größer ist, denn die Daten sind leider nicht ausreichend genug, um den Gender Wealth Gap angemessen zu beziffern.
Karriereblockaden lösen
Johanna Wenckebach: In den sozialen Medien wird unter den Hashtags #IchbinHanna und #IchbinReyhan weiter über die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft diskutiert. Dieses Thema hat auch einen Genderaspekt, denn die Daten zeigen erschreckend deutlich, wie unterschiedlich wissenschaftliche Karrierewege für Männer und Frauen verlaufen: Der Frauenanteil sinkt mit fortschreitender Karrierestufe. Aus einem Frauenanteil von 45 Prozent bei Promotionen werden 32 Prozent bei Habilitationen und nur noch 27 Prozent bei W3-Professuren. Außerdem verdienen Professorinnen laut statistischem Bundesamt monatlich bis zu 720 Euro weniger als ihre männlichen Kollegen.
Dass Frauen während der Corona-Krise außerdem weniger publizieren konnten, weil sie die Hauptlast der Sorgearbeit tragen mussten, macht deutlich: Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft sind ein essenzieller Hebel für mehr Gleichstellung. Wie in anderen Berufen gilt es, dass prekäre Bedingungen – im Fall der Wissenschaft insbesondere Befristungen – die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschweren. Die anhaltend ungleiche Verteilung von Sorgearbeit macht gezielte Frauenförderung nach wie vor dringend notwendig. Der Wissenschaftsstandort Deutschland kann es sich nicht leisten, auf Frauen zu verzichten.
Geschlechterungleichheit bei hybrider Arbeit vermeiden
Yvonne Lott: Durch die Pandemie hat Homeoffice stark an Verbreitung gewonnen. Das ist erst einmal eine gute Nachricht. Denn davon profitieren vor allem Frauen, denen der Zugang zum Homeoffice zuvor häufiger verwehrt war als Männern. Nun bleibt abzuwarten, ob die Zugänge zu mobiler Arbeit auch nach der Pandemie bestehen bleiben und Frauen wie Männer weiterhin entscheiden können, wo sie arbeiten. Ein Recht auf Homeoffice kann helfen, dies zu gewährleisten.
Unklar ist, ob es durch die Pandemie zu einer höheren Akzeptanz von Homeoffice auf Seiten der Arbeitgeber kommt. Auch hiervon würden vor allem Frauen profitieren, die vor der Pandemie häufiger Stigmatisierung und Karrierenachteile befürchten mussten, wenn sie von zu Hause arbeiteten. Eine Betriebskultur, in der Homeoffice akzeptiert ist, fördert damit Gleichstellung.
Bei der Gestaltung von Arbeit nach der Pandemie ist es notwendig, Geschlechterungleichheiten zu vermeiden. Hybride Arbeit, bei der teils im Betrieb, teils zu Hause gearbeitet wird, muss so gestaltet werden, dass Frauen und Männer über Arbeitszeit und Arbeitsort in ihrem Sinne (mit)bestimmen können – und zwar ohne Nachteile für das berufliche Fortkommen befürchten zu müssen.