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Sebastian Dullien Service aktuell

Staatsschulden : "Nicht in den Panikmodus schalten"

IMK-Direktor Sebastian Dullien erklärt im Interview, wieso der massive Anstieg der öffentlichen Schulden in der Corona-Krise ökonomisch kein Grund zur Sorge ist und weshalb die Schuldenquote nicht mit dem Brecheisen zurückgeführt werden muss.

[28.07.2021]

Die deutschen Staatsschulden sind im Corona-Jahr 2020 deutlich gestiegen – um fast 274 Milliarden Euro, wenn man Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen zusammen betrachtet. Das berichtet heute das Statistische Bundesamt. Zerrüttet die Pandemie die Staatsfinanzen?

Der Anstieg der öffentlichen Schulden in der Corona-Krise 2020 war zwar massiv, ist aber ökonomisch kein Grund zur Sorge. Eine Staatsverschuldung von 2172,9 Milliarden Euro, die Destatis vermeldet hat, mag erschreckend wirken. Die relevante Schuldenquote, also das Verhältnis von Schulden zur jährlichen Wirtschaftsleistung, liegt allerdings deutlich niedriger als nach der Finanzkrise 2012 und dürfte ab 2022 zügig abnehmen. Auch im internationalen Vergleich liegt die Schuldenquote Deutschlands eher im unteren Drittel. Wichtige andere Industrieländer wie die USA, Großbritannien oder Frankreich leben problemlos mit deutlich höheren Schuldenquoten.

Die absolute Summe der Schulden ist jedoch im historischen Vergleich hoch. Das Bundesamt spricht vom „höchsten jemals in der Schuldenstatistik am Ende eines Jahres gemessenen Schuldenstand“.

Nominal gemessen war der Schuldenstand in Deutschland fast jedes Jahr der „höchste jemals gemessene Schuldenstand“. Ebenso war das Bruttoinlandsprodukt in fast jedem Jahr das „höchste jemals gemessene“. Das sagt wenig aus. Darüber hinaus darf man heute nicht mehr so panisch auf die öffentliche Verschuldung blicken wie in früheren Jahrzehnten, weil das Zinsniveau weltweit gesunken ist und damit die derzeit historisch eher hohe Verschuldung eine wesentlich geringere Belastung für die öffentlichen Haushalte darstellt als es deutlich niedrigere Schuldenstände in der Vergangenheit getan haben. Im laufenden Jahr wird der deutsche Staat rund 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Zinsdienst aufwenden müssen. 1995 waren es noch 3,5 Prozent.

Wie man in der Euro-Krise in anderen Ländern gesehen hat, sind hektische Kürzungen bei den Staatsausgaben oder rabiate Steuererhöhungen zur Rückführung der Schuldenquote kontraproduktiv.

Sebastian Dullien

Wie sollte die Politik reagieren?

Wichtig ist, dass angesichts der Schuldenzahlen jetzt nicht in den Panikmodus geschaltet wird. Es gibt keinen Grund, die Schuldenquote in den nächsten Jahren mit dem Brecheisen zurückzuführen. Wie man in der Euro-Krise in anderen Ländern gesehen hat, sind hektische Kürzungen bei den Staatsausgaben oder rabiate Steuererhöhungen zur Rückführung der Schuldenquote kontraproduktiv. Sie bremsen das Wirtschaftswachstum und erhöhen so am Ende möglicherweise noch die Schuldenquote – weil die Wirtschaftsleistung fällt.

Aber ist es wirklich möglich, dass ein Land einfach aus den Schulden „herauswächst“?

Ja, und das hat in Deutschland erst kürzlich gut funktioniert. Nach den Belastungen durch die Finanzkrise wurde die Schuldenquote bis zum Einsetzen der Corona-Krise innerhalb von 7 Jahren von über 80 Prozent auf unter 60 Prozent gesenkt, ohne dass der Staat massive Ausgabenkürzungen umgesetzt hätte. Statt dessen ist die deutsche Wirtschaft in dieser Zeit aus den Schulden herausgewachsen. Eine solche Wachstumsstrategie sollte auch jetzt verfolgt werden, um die Schuldenquote zurückzuführen.

Zur Person

Sebastian Dullien ist seit 2019 Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

 

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