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Service aktuellSebastian Dullien zu Investitionen und Finanzierung: „Schuldenbremse den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen“
Es stehen große Aufgaben an: dringend benötigte öffentliche Investitionen und massive Ausgaben für die Dekarbonisierung. IMK-Direktor Sebastian Dullien erläutert, wie das idealerweise finanziert werden sollte und wieso alle Ideen, die derzeit eine höhere Neuverschuldung für eine Erhöhung der Investitionsausgaben ermöglichen, zu begrüßen sind.
[20.10.2021]
Sebastian Dullien, in ihrem Sondierungspapier stellen SPD, Grüne und FDP verstärkte öffentliche Investitionen in Aussicht, um endlich die Lücken in der Infrastruktur zu schließen und die ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu unterstützen. Die Finanzierung ist allerdings unklar – die FDP will an der Schuldenbremse festhalten und keine Steuererhöhungen. Eine Quadratur des Kreises?
Sebastian Dullien: Arithmetisch ist ziemlich klar: Die Investitionsbedarfe werden ohne Steuererhöhungen und ohne höhere Neuverschuldung nicht umzusetzen sein. Allerdings bietet die Schuldenbremse eine Reihe von Möglichkeiten, wie man ohne die Regeln im Grundgesetz zu ändern mehr Kredite für neue Investitionen aufnehmen kann.
Mit ifo-Präsident Clemens Fuest und dem früheren Wirtschaftsweisen Lars Feld haben zwei konservativ-liberale Ökonomen vor einigen Tagen einen vermeintlichen Ausweg skizziert. Die Grundidee: Die noch bestehende Corona-bedingte Ausnahmesituation der Schuldenbremse wird genutzt, um mit Krediten eine Rücklage aufzufüllen, aus der in den Folgejahren dann Investitionen und die Dekarbonisierung bezahlt werden. So wird einmalig für eine hohe, aber begrenzte Summe zusätzliche Verschuldung für Investitionen ermöglicht. Eine gute Idee?
Alle Ideen, die derzeit eine höhere Neuverschuldung für eine Erhöhung der Investitionsausgaben ermöglichen, sind zu begrüßen. Deutschland braucht dringend mehr öffentliche Investitionen und es stehen massive Ausgaben für die Dekarbonisierung an. Gleichzeitig ist die Kreditaufnahme für den Staat so günstig wie nie. Die Vorschläge von Lars Feld und Clemens Fuest schaffen einen gewissen Spielraum und sind deshalb besser als ein Fortsetzen des bisherigen Umgangs mit der Schuldenbremse. Allerdings haben die beiden Vorschläge auch Probleme: Zum einen ist nicht abschließend geklärt, ob es rechtlich überhaupt möglich ist, Rücklagen über Kreditaufnahmen aufzufüllen. Zum anderen schaffen die vorgeschlagenen Konstrukte Intransparenz, die eigentlich mit der Schuldenbremse vermieden werden sollte. Zuletzt muss für die nun aufgenommenen Kredite laut dem Grundgesetz ein Tilgungsplan aufgestellt werden. Die zusätzlichen Spielräume jetzt drohen damit auf Kosten der Spielräume in der folgenden Legislaturperiode zu gehen. Es wäre deshalb wesentlich ehrlicher, einzugestehen, dass die Schuldenbremse eine Fehlkonstruktion war und dass man sie mittelfristig reformieren sollte.
Es wäre wichtig, dass die neue Bundesregierung sich bei der jetzt anstehenden Reform der Fiskalregeln dafür einsetzt, dass bei den europäischen Regeln den Mitgliedsstaaten mehr Spielräume für Investitionen gegeben werden.
Aber dazu braucht man eine breite Mehrheit im Bundestag, auch die Union müsste zustimmen. Ist das politisch realistisch?
Die aktuelle Vielzahl von Vorschlägen, wie man ohne formale Änderung der Schuldenbremse Spielräume schaffen kann, und die Tatsache, dass auch konservative Ökonomen solche Vorschläge machen, zeigt vor allem eins: Die Schuldenbremse ist intellektuell gescheitert und den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen. Politisch ist es aber verständlich, dass sich niemand traut, das auch auszusprechen. Eine Mehrheit für eine Änderung der Schuldenbremse ist absehbar nicht zu erreichen. Wir werden so wohl noch etwas länger mit den Fehlern der Regierenden aus dem Jahr 2009 leben müssen.
Das heißt: Wer massive Investitionen so schnell wie nötig haben will, muss doch nach Spielräumen in den bestehenden Regeln zur Schuldenbremse suchen. Eine Idee, die auch das IMK schon aufgebracht hat, sind Investitionsgesellschaften mit eigener Sachaufgabe, die die nötigen Kredite für Investitionen aufnehmen. Das ist, auch nach Einschätzung namhafter Juristen, mit der Schuldenbremse vereinbar. Wird es am Ende darauf hinauslaufen?
In gewisser Weise wird die Kreditaufnahme für solche Gesellschaften mit Sachaufgabe ja bereits genutzt. Streng genommen ist ja auch die Deutsche Bahn eine solche Gesellschaft. Hier wäre es ein leichtes, die Kreditaufnahme zu erhöhen und damit mehr Investitionen zuzulassen. Von daher würde ich davon ausgehen, dass am Ende zumindest in einzelnen Bereichen die Investitionsgesellschaften genutzt werden. Allerdings gibt es von europäischer Seite her Grenzen, was man auf diesem Weg erreichen kann. Je nachdem, ob eine solche Investitionsgesellschaft am Markt Dienstleistungen verkauft oder nicht, werden die Kredite nach den EU-Regeln dem Staat zugerechnet und sind dann über die EU-Fiskalregeln begrenzt. Hier wäre es wichtig, dass die neue Bundesregierung sich bei der jetzt anstehenden Reform der Fiskalregeln dafür einsetzt, dass bei den europäischen Regeln den Mitgliedsstaaten mehr Spielräume für Investitionen gegeben werden.
Aber wäre es denn überhaupt realistisch, in Europa die Mehrheiten für Regeländerungen zu bekommen?
Die meisten derzeit diskutierten Änderungen bei den EU-Fiskalregeln ließen sich im einfachen EU-Gesetzgebungsverfahren beschließen. Das heißt: Man braucht qualifizierte Mehrheiten, aber keine Einstimmigkeit. Die meisten Mitgliedsstaaten sehen die bestehenden Probleme mit den EU-Regeln und würden sich eine Änderung wünschen. Wenn sich Deutschland auf die Seite der Reformfraktion schlägt, können die so genannten „frugalen“ Nordländer, die Blockierer einer solchen Reform, Änderungen nicht mehr verhindern.
Sebastian Dullien ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
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