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Service aktuellDrei Fragen an Martin Burkert (EVG): "Mit dem 9-Euro-Ticket wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht"
Der ÖPNV sollte für die Kund:innen langfristig kostenlos werden - aber dafür müssen erst die Voraussetzungen geschaffen werden, sagt Martin Burkert, der stellvertretende Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG).
[1.6.2022]
Ist das 9-Euro-Ticket eine gute Idee?
Martin Burkert: Das Ticket ist ein wichtiges Signal für mehr ÖPNV. Gleichzeitig sind die drei Monate eine riesige Herausforderung und ein teurer politischer Schnellschuss. Die Beschäftigten werden alles ihnen Mögliche zum Gelingen des Feldversuchs tun. Angesichts des zu erwartenden Ansturms bräuchte es jedoch mehr Personal und Angebot. Natürlich muss der ÖPNV auch preislich attraktiv sein. Aber mit dem 9-Euro-Ticket wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht. Ärger und Frust der Fahrgäste über Verspätungen, überfüllte Züge oder Räumung von Bahnsteigen könnten an den Beschäftigten hängen bleiben. Deshalb ist es wichtig, auch dauerhaft mehr Geld für den gesamten ÖPNV bereitzustellen. Nur so wird man langfristig die notwendigen Kapazitäten erreichen können.
Was wäre denn der erste Schritt gewesen? Wie ist aktuell um das Personal und die Infrastruktur der Bahn bestellt?
Martin Burkert: Um zusätzliche Fahrgäste zu befördern braucht es vor allem mehr Fahrzeuge, mehr Personal und mehr Infrastruktur. Aktuell reichen die Kapazitäten dafür aber bei weitem nicht aus. Die Situation ist das Ergebnis von Versäumnissen aus der Vergangenheit: Das öffentliche Verkehrsangebot wurde jahrzehntelang vernachlässigt und in die Schieneninfrastruktur zu wenig investiert. Dort besteht ein Investitionsstau von rund 60 Milliarden Euro. Auch beim Personal ist viel zu lange gespart worden. Erst in jüngster Vergangenheit ist ein Umsteuern erkennbar. Mittlerweile wird wieder verstärkt eingestellt und auch ausgebildet. Für uns als EVG ist klar: Wer nicht ausbildet, darf sich nicht über den Fachkräftemangel beschweren. Wir fordern deshalb, dass Ausbildungsquoten in den ÖPNV-Ausschreibungen verbindlich vorgeschrieben werden.
Was hält die EVG von der Idee, ein 9-Euro-Ticket für immer anzubieten oder den ÖPNV komplett durch Steuern zu finanzieren?
Martin Burkert: Am Ende der drei Monate muss es eine ehrliche Bewertung geben. Sicher ist: Wenn man langfristig mehr Kund:innen in Busse und Bahnen bringen will, muss mehr Geld in öffentliche Verkehrsangebote fließen. Das müssen die Verkehrsminister:innen von Bund und Ländern schnell und dauerhaft verbindlich vereinbaren. Wir brauchen die Verkehrswende – hin zu mehr Schiene und Bus, denn anders kann die Klimakrise nicht bewältigt werden.
Die EVG hat sich bereits 2020 dafür ausgesprochen, dass der ÖPNV langfristig für die Kund:innen kostenlos werden soll. Aber dafür müssen erst die Voraussetzungen (Personal, Fahrzeuge, Ausbau) geschaffen werden. Natürlich muss der ÖPNV auch preislich attraktiv sein und Angebote wie das 365-Euro-Ticket sind dafür eine Möglichkeit. Das reicht aber nicht aus: Auch die Qualität muss stimmen, damit der ÖPNV langfristig erfolgreich sein kann.