Quelle: Arbeiterkind.de
Service aktuell15 Jahre ArbeiterKind.de: Mit der Community den Weg durchs Studium meistern
Seit nun 15 Jahren hilft die gemeinnützige Organisation ArbeiterKind.de jungen Menschen aus Familien ohne Hochschulerfahrung beim Studium. Im Interview spricht die Gründerin und Alumna unserer Stiftung, Katja Urbatsch, über die Anfänge des Projekts und erklärt, warum es heute so nötig ist wie nie.
[5.5.2023]
Katja, als Du 2008 Arbeiterkind.de ins Leben gerufen hast, konntest Du Dir damals vorstellen, dass 15 Jahre später einmal mehr als 6000 ehrenamtliche Mitarbeiter*innen dabei mithelfen würden, sich für mehr Chancengleichheit in diesem Land einzusetzen?
Katja Urbatsch: Nein, überhaupt nicht, das war von Anfang an ein Überraschungserfolg. Wir waren schnell in den Medien, hatten eine relativ große Aufmerksamkeit und viel Interesse. Ich dachte damals, das sei nur ein Hype, der schnell wieder vorbei ist. Doch dann ist Arbeiterkind.de immer größer geworden. Ich hätte nie gedacht, dass wir einmal 30 hauptamtliche Mitarbeiter*innen haben, die wir durch Fördermittel des Bundesbildungsministeriums, von Bundesländern und Spenden finanzieren können.
Auch, dass wir heute tausende Ehrenamtliche haben, die in Schulen gehen, beraten und Seminare veranstalten ist einfach toll. Viele von ihnen kommen selbst aus Elternhäusern ohne akademischen Hintergrund und geben ihre Erfahrungen nun an die nächste Generation weiter.
Wie bist Du nach Deinem Studium auf die Idee gekommen, Arbeiterkind.de zu starten?
Auf die Idee gekommen bin ich sogar schon während des Studiums, eigentlich schon im ersten Semester, aufgrund meiner eigenen Erfahrungen. Damals ist mir schnell bewusst geworden, dass es einen Unterschied gab zwischen mir und vielen meiner Kommiliton*innen. Für andere war es selbstverständlich zu studieren, sie hatten schon Praktika bei Zeitungen oder im Bundestag gemacht, waren im Ausland und die Eltern haben bei Hausarbeiten geholfen. Auch der selbstverständliche Einsatz von Fremdwörtern vieler meiner Kommiliton*innen hat mich eingeschüchtert.
Ich hatte Schwierigkeiten mich zu akklimatisieren und im Studium zurechtzufinden, denn Support von zu Hause gab es nicht. Meine Eltern kannten die Welt der Universität ja auch nicht. Diese so wichtige Unterstützung habe ich im Laufe des Studiums durch Freunde und ein gutes Netzwerk erfahren dürfen und konnte meinen Abschluss machen. Diesen Community-Gedanken habe ich mit Arbeiterkind.de versucht aufzugreifen. Das Projekt habe ich gestartet, nachdem ich an der Uni Gießen mit meiner Promotion angefangen habe.
Für die Promotion hast Du dann auch ein Stipendium unserer Stiftung erhalten. Welche Bedeutung hatte das für Dich?
Zu Beginn meines Studiums wusste ich gar nichts über die Möglichkeiten, dass ich vielleicht auch ein Stipendium bekommen könnte. Das ist mir dann erst viel später, im Laufe meines Studiums bewusst geworden – auch so ein Bereich, in dem wir mit Arbeiterkind.de Aufklärungsarbeit und Hilfe leisten. Das Stipendium hat es mir erlaubt, ohne Nebenjob an meiner Promotion zu arbeiten und – viel wichtiger – Zeit für mein Engagement zu haben und für das Projekt.
Ich habe mich durch die Stiftung immer sehr unterstützt gefühlt und gebe auch heute noch jedes Jahr ein Seminar für Böckler-Stipendiat*innen aus Elternhäusern ohne akademischen Hintergrund. Für viele dieser jungen Menschen fühlt sich ein Stipendium an wie ein wahnsinniges Privileg und sie sind unsicher, ob sie es überhaupt „verdient“ haben. Auch über solche Gefühle sprechen wir dann.
Hat sich die Situation heute, 15 Jahre nach Deinen eigenen Erfahrungen, für Erstakademiker*innen eigentlich verändert? Wie steht es um die soziale Mobilität?
Die Sensibilität an den Hochschulen für diese „Zielgruppe“ ist schon gestiegen, es gibt mehr Bewusstsein für ihre besonderen Herausforderungen. Es bleibt aber noch viel zu tun, diese Erkenntnisse in besseren Hilfsangeboten umzusetzen. Das größte Problem ist heute die Studienfinanzierung, die hohe Inflation und die oft unbezahlbaren Mieten in vielen Städten stellen viele junge Menschen vor große Hürden. Der BAföG-Satz ist derzeit einfach zu niedrig. Umso wichtiger sind aktuell natürlich Stipendien, sie geben den Studierenden Sicherheit.
Die soziale Mobilität insgesamt hat sich in den vergangenen Jahren nur minimal verbessert. Viel zu oft entscheiden noch die Herkunft und das Elternhaus über die Bildungschancen. Menschen mit Migrationshintergrund etwa haben nochmal besondere Herausforderungen, überhaupt eine Zugangsberechtigung für eine Hochschule zu erlangen. Da ist für die Politik noch viel zu tun.
Siehst Du ArbeiterKind.de als "Reparatur-Betrieb" für Versäumnisse der Politik, für mehr Chancengleichheit in der Bildung zu sorgen?
Zum Teil. Wir können mit Arbeiterkind.de die Schwierigkeiten bei der Studienfinanzierung natürlich nicht kompensieren, wir können jedoch ein Stück weit als Interessensvertretung für diese jungen Menschen agieren.
Das Wichtigste, was wir machen, ist es, eine Gemeinschaft zu bieten. Selbst wenn andere Bereiche, z.B. die Frage der Finanzierung und der Schuldbildung, besser durch die Politik geregelt wären, bräuchte es trotzdem immer diese Gemeinschaft. Sie gibt den Student*innen das Gefühl, nicht allein zu sein, Unterstützung auf ihrem Weg zu erhalten und anderen Unterstützung geben zu können. Gerade in Zeiten, in denen andere Institutionen wegbrechen, ist das so wertvoll.
Wie soll es mit ArbeiterKind.de weitergehen?
Die Corona-Zeit war schwierig für uns. Jetzt freuen wir uns sehr, wieder Seminare veranstalten zu können, in die Schulen zu gehen, vor Ort zu sein. In Zukunft wollen wir noch stärker im ländlichen Raum, insbesondere in Ostdeutschland aktiv werden. Und unsere Angebote werden immer vielfältiger, wir beraten nun auch beim Berufseinstieg. Die Ideen kommen aus der Community selbst. Viele, die von der Arbeiterkind-Hilfe einmal Unterstützung bekommen haben, bleiben und engagieren sich selbst bei uns. Das ist toll zu sehen.
Vielen Dank für das Interview, herzlichen Glückwunsch zu 15 Jahren ArbeiterKind.de und viel Spaß bei den anstehenden Geburtstagsfeiern!
Vielen Dank!
ArbeiterKind.de
Arbeiterkind.de ermutigt Schülerinnen und Schüler aus Familien ohne Hochschulerfahrung dazu, als Erste in ihrer Familie zu studieren. 6000 Ehrenamtliche engagierten sich bundesweit in 80 lokalen Gruppen, um Schülerinnen und Schüler über die Möglichkeit eines Studiums zu informieren und sie auf ihrem Weg vom Studieneinstieg bis zum erfolgreichen Studienabschluss und Berufseinstieg zu unterstützen.