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Johanna Wenckebach an ihrem Arbeitsplatz im Mendelsohn-Bau in Berlin-Kreuzberg, heute Sitz der regionalen IG Metall. Architekt Erich Mendelsohn hatte das Gebäude in den 1920er Jahren für den Deutschen Metallarbeiterverband im Stil der „Neuen Sachlichkeit“ entworfen. Service aktuell

Johanna Wenckebach über die Viertagewoche: "Arbeitszeit ist die eine Frage – das Entgelt die andere"

Johanna Wenckebach, die Direktorin unseres Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht, spricht im Interview über die Chancen der Viertagewoche - und die Wege zu ihrer Realisierung.

Johanna, zuletzt wurde, auch als Reaktion auf Corona, wieder über die Viertagewoche diskutiert und du hast dich dafür eingesetzt. Was spricht deiner Meinung nach für eine solche Reduktion der Arbeitszeit?

Es gibt viele Argumente. Die IG Metall macht sich zu Recht für den Aspekt der Beschäftigungssicherung stark. Es gibt ja akute Fälle von durch Kündigung bedrohten Beschäftigten. Transformation und insbesondere Digitalisierung fordern zudem Zeit für Bildung und Qualifizierung von Menschen, die mitten im Erwerbsleben stehen. Und die Zeitinvestition müssen Beschäftigte sich auch leisten können. Es geht dabei schließlich darum, ob ein sozial fairer Wandel von Wirtschaft und Arbeitswelt gelingt oder ob die Schere weiter auseinandergeht und Menschen auf der Strecke bleiben.

Mir ist auch der Aspekt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Geschlechtergerechtigkeit sehr wichtig: Lange Vollzeit ist immer noch eine Norm am deutschen Arbeitsmarkt, die zu Ausgrenzung führt. Die Arbeitswelt der Zukunft muss Eltern ermöglichen, Sorgearbeit gerecht untereinander aufzuteilen. Wir können nicht weiter auf einem Modell von Erwerbsarbeit aufbauen, das Sorgearbeit zwar voraussetzt, sie aber einfach ausblendet, wenn es um Rahmenbedingungen geht. Es geht bei dieser Debatte um einen Kulturwandel, der überfällig ist.

Schließlich sind zuletzt auch Argumente zur ökologischen Nachhaltigkeit kürzerer Arbeitszeiten aufgekommen. Hierzu würden mich Daten interessieren.

Es sind ja verschiedene Modelle im Gespräch: Eine generelle Viertagewoche für alle Arbeitnehmer einerseits, andererseits tarifvertragliche Regelungen für einzelne Branchen und Bereiche. Oder, wie von der IG Metall schon vorgemacht, als freiwillige Option der Arbeitszeitreduktion für Arbeitnehmer*innen.

Absehbar sind Tarifverträge und Gewerkschaften entscheidend. Denn: Arbeitszeit ist die eine Frage – das Entgelt die andere. Das haben nach dem Vorstoß der IG Metall ja auch die Arbeitgeber sehr schnell klar gemacht. Aber Teilzeitarbeit gibt es bereits. Wer sie wählt, verzichtet auf Einkommen. Für viele Menschen sind 30 Stunden pro Woche die Wunscharbeitszeit.

Dennoch arbeiten viele ja vor allem deshalb Vollzeit, weil sie das Geld zum Leben brauchen. Auch eine ausreichende Rente ist mit Teilzeitarbeit nicht zu erwirtschaften. Deswegen ist die Frage der Bezahlung entscheidend. Und Lohnpolitik jenseits des Mindestlohns machen die Sozialpartner.

Da ich in der Tarifrunde der IG Metall um vom Arbeitgeber bezahlte freie Tage noch Tarifsekretärin war, habe ich hautnah erlebt, wie viel Kraft und Solidarität erforderlich waren, um im Jahr 2018 Freizeit mit Lohnausgleich zu verhandeln. Schon immer wurde vorgetragen, dass kürzere Arbeitszeit nicht finanzierbar ist – was jedoch nicht zutraf. Der Weg zur 35-Stunden-Woche zum Beispiel war lang, aber erfolgreich. Aber gerade wegen des Kostenfaktors war bezahlte Arbeitszeitverkürzung schon immer hart umkämpft und wird es auch bleiben.

Natürlich spielen auch Modelle staatlicher Lohnersatzleistungen für reduzierte Arbeitszeit eine zentrale Rolle, wie zum Beispiel das Elterngeld. Hier geht es um die Frage: Wo ist der Ausgleich von Einkommensverlusten eine gesellschaftliche Aufgabe? Wer soll für was durch Steuergelder oder Sozialleistungen darin unterstützt werden, sich eine Reduktion der Erwerbsarbeit leisten zu können?

Leider kann ich eine lange Liste aufmachen, wo es hier bei den bestehenden Regelungen hakt. Und zwar sowohl in Bezug auf die Arbeitszeitautonomie von Beschäftigten – im Sinne durchsetzbarer Gestaltungsmöglichkeiten – als auch hinsichtlich der Lohnersatzleistungen. Hier gibt es viel Spielraum für Parteien, sich in Sachen Arbeitszeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer politisch stark zu machen.

Würde der Arbeitsmarkt denn überhaupt eine solche Reduktion der Arbeitszeiten hergeben? Vor Corona hatten wir ja über Jahre fast Vollbeschäftigung und die oft vorhergesagten Arbeitsplatzverluste durch die Digitalisierung waren insgesamt ausgeblieben.

Ich lese sehr unterschiedliche Prognosen zur Entwicklung des Arbeitsmarktes. Und neben Digitalisierung gibt es ja noch weitere Treiber der Transformation, zum Beispiel die Dekarbonisierung. Es gibt zudem viele Menschen, die zur Zeit weniger arbeiten als sie möchten, sogenannte Unterbeschäftigte.

Eine kurze Vollzeit als Regel hieße ja außerdem nicht, dass es keine Ausnahmen geben dürfte. Ich plädiere für mehr Flexibilität, im Sinne von mehr Autonomie. Jetzt dagegen haben wir eine Arbeitswelt, die andere Normen setzt und dabei zu wenig auf berechtigte Interessen von Beschäftigten Rücksicht nimmt.  Es ist kein Zufall, dass es eines expliziten Verbots der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bedurfte. Und noch immer ergehen regelmäßig Urteile des Bundesarbeitsgerichts, die ebensolche Diskriminierungen feststellen.

Wirklicher Fachkräftemangel herrscht in wenigen Bereichen. Und zum Beispiel in der Pflege, wo die Situation dramatisch ist, würde gerade eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen - auch in punkto Arbeitszeit - mehr Menschen für diese Arbeit gewinnen.

Ein Einwand gegen die Viertagewoche von Arbeitnehmerseite ist ja teils, dass die Arbeit dann real gar nicht weniger würde, sondern man nur weniger Zeit dafür hätte und es zu einer Verdichtung der Arbeit komme. Ist da was dran?

Die Gefahr besteht und ihr ist zu begegnen – übrigens unabhängig von einer Arbeitszeitverkürzung. Der Personalschlüssel und die Personalplanung sind dafür ein entscheidender Hebel. Hier müssen die Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten gestärkt werden, das ist ein dringender Schritt. Gewerkschaften arbeiten zudem bereits an tarifvertraglichen Lösungen.

Dazu gehört auch, bei mobiler Arbeit und im Homeoffice ein Recht auf Nichterreichbarkeit zu regeln. Und schließlich. Das Arbeitszeitgesetz verliert - anders als gerne behauptet wird - gerade in einer digitalen Arbeitswelt nicht seine Bedeutung als Gesundheitsschutz, im Gegenteil.

> Johanna Wenckebach auf Twitter

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