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Gewerkschaftsgeschichte: Ein einzigartiges Erbe: Die Gewerkschaft Textil-Bekleidung

In ihrem neuen Buch widmen sich Peter Donath und Annette Szegfü der vor fast 25 Jahren aufgelösten Gewerkschaft Textil-Bekleidung. Warum sie damit nicht nur eine bemerkenswerte geschichtliche Entwicklung nachzeichnen, sondern auch wichtige Motive für die Gegenwart aufdecken, erklären sie im Interview mit uns.

Ihr habt Euch in Eurem neuen Buch mit einer Gewerkschaft beschäftigt, deren Ende vor beinahe 25 Jahren eingeleitet wurde und an die sich heute nur noch wenige erinnern dürften: Die Gewerkschaft Textil-Bekleidung (GTB). Was hat Euch daran interessiert?

Peter Donath: Wir wollten, dass die Geschichte einer der Gründungsgewerkschaften des DGB nicht vergessen geht. Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: Nur wer seine Wurzeln kennt, weiß um die Kraft der Zweige. Natürlich war auch ein Antrieb, dass ich die ersten 28 Jahre meines Gewerkschaftslebens in dieser Organisation ehren- und hauptamtlich gearbeitet habe.

Annette Szegfü: Ich habe die GTB nicht erlebt und bin mit der damaligen Zuständigkeit in der Wirtschaftsabteilung sozusagen ins „kalte Wasser geworfen“ worden. Mit dem Generationenwechsel gibt es bald niemanden mehr, der die gewerkschaftliche Entwicklung in den textilen Branchen und ihre Besonderheiten, gerade auch in der Tarifpolitik, kennt. Wir haben uns nicht nur mit der Strategie und den Ergebnissen der GTB-Politik beschäftigt, sondern werfen im Buch auch einen Blick auf die Protagonisten und besonders auf die Protagonistinnen der Gewerkschaft.

  • Peter Donath Annette Szegfü
    Peter Donath arbeitete auf verschiedenen Ebenen in der GTB und später als Leiter des Bereichs Betriebs- und Branchenpolitik im IG Metall-Vorstand. Dort ist auch Annette Szegfü im Bereich Tarifpolitik tätig.

Was hat die GTB als Gewerkschaft in ihrer Zeit ausgezeichnet und besonders gemacht?

A: Bereits in den 1950er Jahren gab es in der Textil- und Bekleidungsindustrie große wirtschaftliche Umbrüche. Die einst beschäftigungsstärkste Konsumgüterbranche erfuhr immense Automatisierungsprozesse, sowie den großen Kulturwandel bei Bekleidung. Die GTB war seit den 1960er Jahren durch die Verlagerung der Produktion in Niedrigstlohnländer gefordert und gezwungen, auf der politischen Ebene den Strukturwandel mitzugestalten.

P: Die GTB musste tarif- und wirtschaftspolitische Antworten finden. Diese wurden von den Beschäftigten getragen. Die Gewerkschaft steigerte so ihren Organisationsgrad auf einen Spitzenwert im DGB und konnte trotz hundertausendfachen Arbeitsplatzabbaus lange Zeit ihren Mitgliederstand stabil halten.

Wie kam es damals zur Fusion mit der IGM?

P: In Westdeutschland wurden ab 1970 innerhalb von 25 Jahren dreiviertel der Arbeitsplätze in der Textil- und Bekleidungsbranche vernichtet. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands brach die ostdeutsche Industrie zusammen und innerhalb von nur zwei Jahren reduzierte sich die Zahl der Branchenbeschäftigten von 300.000 auf 20.000.

Die Zeit ab 1990 hatte alle Gewerkschaften enorm gefordert, so dass eine Diskussion einsetzte, ob die traditionelle Struktur mit 17 Mitgliedsgewerkschaften im DGB noch zukunftssicher sei. Für die GTB war eine eigenständige, flächendeckende Präsenz nicht mehr umzusetzen. Als starke Partner kamen die neu aufgestellte IG Bergbau, Chemie, Energie oder die IG Metall in Frage. Ausschlaggebend für das Zusammengehen mit der IG Metall war schließlich ihr breites Netz an Geschäftsstellen.

Was hat Euch bei der Recherche überrascht?

A: Die hohe weibliche Mitgliederzahl und das Engagement der Frauen. Bis in die 70er Jahre war das gesellschaftliche Frauenbild schließlich ein anderes als heute. Trotzdem haben sich die Frauen in der Gewerkschaft organisiert und in den Betrieben für ihre Belange gekämpft. Und doch waren es überwiegend Männer, die innerhalb der GTB die Führungspositionen besetzten.

Ein anderes Thema waren die internationalen Handelsbeschränkungen, für die sich die GTB stark gemacht hat. Das war mit meiner „IG Metall-Brille“ nicht auf den ersten Blick zu verstehen.

  • Peter Donath und Anette Szegfü
    Peter Donath und Annette Szegfü bei der gemeinsamen Textarbeit in Inzell, 2020.

Warum lohnt es sich, heute noch einmal zurückzuschauen auf die Gewerkschaftsgeschichte der Nachkriegszeit und der BRD?

P: Wir schauen nicht mit Erinnerungsoptimismus auf die guten alten Zeiten. Aber die 16 Organisationen, die 1949 den DGB gründeten, gehören zur DNA der heutigen Gewerkschaften. Was die GTB angeht, sind wir davon überzeugt, dass sie keine Erblast, sondern ein außergewöhnliches und einzigartiges Erbe in die IG Metall einbrachte. Sie hat erfolgreiche Organisationsarbeit in den KMUs gemacht und die weiblichen Mitglieder besser in die Gewerkschaftsarbeit eingebunden als andere.

A: Mich hat beeindruckt, wie es der GTB trotz des starken Strukturwandels in den Branchen gelungen ist, eine aktive Tarifpolitik zu gestalten und sich nicht von den Arbeitgebern unter Druck setzen zu lassen. Auch heute müssen wir uns mit den Herausforderungen einer globalen Weltwirtschaft, den damit verbundenen Klimaveränderungen und der Transformation auseinandersetzen. 

Gibt es etwas, was wir noch heute von der GTB lernen können?

A: Aktive Mitgliederarbeit geht nur mit Betriebsnähe. Die bis in die Kleinbetriebe reichende Beteiligung hat für eine starke Identifikation der Beschäftigten mit ihrer Gewerkschaft gesorgt.

P: Natürlich ist die Welt heute nicht mehr die von 1998. Aber viele Aufgabenstellungen sind vergleichbar: die Organisation neuer Branchen, Betriebsratsneugründungen, Beteiligungsorientierung, eine effiziente Organisationsstruktur und nicht zuletzt die Herausforderungen durch wirtschaftliche Umbrüche. Es lohnt ein Blick darauf, wie die GTB das angepackt hat.

Mehr Informationen zum Buch

Offizielle Website des Buchs "Wir machen Stoff" von Peter Donath und Annette Szegfü 

"Wir machen Stoff" erhältlich auf der Website des transcript Verlags

 

  • Buchcover Gewerkschaft Textil-Bekleidung
    "Wir machen Stoff", von Peter Donath und Annette Szegfü, ist im transcript Verlag in der Reihe Histoire am 01.05.2021 erschienen.

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