Quelle: Ulrich Baatz
Service aktuellDorothea Voss zum Internationalen Tag der Pflege: "Die Pflegeversicherung muss grundlegend reformiert werden"
Dem Internationalen Tag der Pflege und Pflegenden 2021 ging ein intensives Jahr für die Beschäftigten in der Branche voraus. Dorothea Voss, Leiterin unserer Forschungsförderung, erläutert die aktuelle Situation.
Während der Pandemie hat sich die bestehende Überbelastung für in der Pflege Beschäftigte in extremem Ausmaß erhöht. Die Verhältnisse sind auch für die Öffentlichkeit unübersehbar geworden. Wie steht es heute, nach über einem Jahr Covid-19, um die Pflege?
Der öffentliche Druck hat immerhin dazu geführt, dass allen klar ist, wie wichtig Tarifverträge für ordentliche Löhne sind. Aber der richtige Ansatz des Arbeitsministeriums, nämlich flächendeckende, also in allen Einrichtungen gleichermaßen geltende tarifliche Standards in der Altenpflege einzuführen, ist im Februar an der Arbeitgeberseite gescheitert. Jetzt liegt ein abgeschwächter Vorschlag aus dem Gesundheitsministerium vor, der immerhin eine tarifvertragliche Bindung für die Einrichtungen vorschreibt. Aber wir wissen aus anderen Branchen, dass irgendein Tarifvertrag noch lange keine Garantie für eine vernünftige Bezahlung ist.
Aber mit einer geregelten Bezahlung ist doch der Personalmangel in der Pflege noch nicht behoben?
Vollkommen richtig: Der Personalmangel ist für die Beschäftigten seit langem ein drängendes Problem. Pflegekräfte wollen gute Arbeit machen und können das nicht, wenn die Personalbemessung nicht stimmt. Derzeit führt die Kombination aus Personalmangel und unzureichender Entlohnung dazu, dass zu viele Pflegekräfte wegen der Arbeitsbedingungen aussteigen. Das ist verständlich, gesellschaftlich aber hoch riskant. Gute Löhne sind ein Signal, dass die physisch, psychisch und fachlich anspruchsvolle Tätigkeit entlohnt und anerkannt wird. Zumindest perspektivisch soll das dazu führen, die Attraktivität des Pflegeberufs zu erhöhen.
Um den seit Jahren bekannten Pflegenotstand zu beheben, müssen sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Aber woher soll das Geld dafür kommen?
In Deutschland kommt das Geld für die Krankenhauspflege aus unseren Sozialversicherungsbeiträgen an die Krankenkassen und für die Altenpflege aus der Pflegeversicherung. Gerade die Pflegeversicherung müsste grundlegend reformiert werden, denn derzeit haben wir die absurde Situation, dass Pflegebedürftige höhere Eigenanteile zahlen müssen, wenn die Vergütung und die Personalbemessung angehoben werden. Das ist sozialpolitisch nicht vertretbar. Professor Heinz Rothgang von der Universität Bremen hat für die Hans-Böckler-Stiftung untersucht, dass es mit einer Pflegebürgervollversicherung anders geht: Wenn alle Einkunftsarten, also auch Kapitalerträge, Beiträge abführen und wenn die überholte Trennung von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung aufgehoben wird, können wir Pflegebedürftigkeit solidarisch finanzieren und gleichzeitig die Arbeitsbedingungen verbessern.
Nach mehr als einem Jahr der Pandemie stehen die Pflegekräfte am Tag der Pflege im Vordergrund. Aber wie sieht die Arbeit im Gesundheitssystem der Zukunft aus?
Dass die Beschäftigten in der Pflege heute die volle Aufmerksamkeit bekommen, ist mehr als überfällig. Aber es gibt viele Berufe im Gesundheitssektor, der an Bedeutung zunehmen wird. Die Strukturen der Gesundheits- und Krankenversorgung sind in Deutschland hochgradig zersplittert. Das führt zu Versorgungsmängeln und Kosten. Darum sollten wir die Versorgungsstrukturen insgesamt auf den Prüfstand stellen: Wie kann eine stärkere Integration von ambulanter und stationärer Versorgung aussehen, die an den Bedarfen der Menschen orientiert ist? Und wie viel Raum sollen ökonomische Interessen haben, wenn es doch um die Ausgewogenheit von hoher Lebensqualität, sozialpolitischer Verantwortung und guten Arbeitsbedingungen geht?
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