Quelle: HBS
Service aktuellInterview mit Daniel Hlava (HSI): Arbeitszeiterfassung: "EuGH-Urteil hat weitreichende Konsequenzen"
Eine verpflichtende Arbeitszeiterfassung für alle Unternehmen in der EU - das hat der EuGH nun entschieden. "Das Urteil bietet die Chance, der Entgrenzung von Arbeit und Freizeit entgegenzuwirken", sagt Daniel Hlava, Arbeitsrechtsexperte an unserem Hugo-Sinzheimer-Institut.
Welche Konsequenzen hat das Urteil des EuGH auf die Arbeitswelt in Deutschland?
Der EuGH hat eine Entscheidung getroffen, die den Arbeitsschutz zu Gunsten der Beschäftigten durcheinanderwirbelt hat. Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen und zwar überall dort, wo nicht bereits nach „Stechuhr“ oder auf andere Weise (z.B. per App) die individuellen Arbeitszeiten erfasst werden. In großen Unternehmen sind solche Systeme bereits weit verbreitet. Insbesondere für viele kleinere und mittlere Unternehmen wird dies aber eine Umstellung bedeuten.
Dabei bestand schon zuvor nach deutschem Recht die Pflicht zur Aufzeichnung von täglichen Arbeitszeiten, allerdings nur für solche über acht Stunden (§ 16 Abs. 2 ArbZG). Nicht nur von gewerkschaftlicher Seite wird hieran bereits seit Längerem kritisiert, dass diese Aufzeichnung nur möglich sei, wenn auch die Arbeitszeit unterhalb von acht Stunden registriert würde.
Das IAB leisten hier im Schnitt mehr Überstunden, als diejenigen mit festen Arbeitszeiten oder Gleitzeit.
Viele Beschäftigte finden aber doch selbst Vertrauensarbeitszeit gut, oder?
Arbeitszeiterfassung macht die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten transparenter. Wenn Überstunden dokumentiert sind, erleichtert das auch die Rechtfertigung gegenüber Vorgesetzten, wenn man den Stift mal etwas früher zur Seite legt. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die in der heutigen Zeit immer stärker geforderte Flexibilität verloren gehen muss, sondern es wird gewährleistet, dass die Einhaltung der ohnehin bereits geltenden Vorschriften über Pausen- und Ruhezeiten erfasst und kontrolliert werden können.
Arbeitszeit wird durch das Urteil des EuGH damit rechtlich gesehen nicht mehr oder weniger flexibel als zuvor. Das Konzept der „Vertrauensarbeitszeit“, die nachweislich zu einem Mehr an unbezahlten Überstunden führt, wird aber, so wie sie heute praktiziert wird, vielerorts wohl nicht haltbar sein. Das Urteil bietet damit auch die Chance, der Entgrenzung von Arbeit und Freizeit entgegenzuwirken.
Die Richter weisen zudem darauf hin, dass eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie tägliche und wöchentliche Ruhezeiten ein europäisches Grundrecht (Art. 31 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta) sind. Das stärkt die Bedeutung des Arbeitsschutzes und kann in Zukunft noch weitergehende Bedeutung haben.
Was sollte bei der Umsetzung in deutsches Recht nun vom Gesetzgeber beachtet werden?
Der EuGH hat klargestellt, dass jeder EU-Mitgliedstaat das Urteil umsetzen muss. Dabei beweisen die Richter – entgegen mancher Stimmen in den Medien – Augenmaß, indem sie den Mitgliedstaaten Spielräume bei der Umsetzung eröffnen, um zum Beispiel den Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder der Eigenart und Größe von Unternehmen Rechnung zu tragen. Wichtig ist, so die Vorgabe des EuGH, dass Arbeitgeber dazu verpflichtet werden, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“.
Kann die genaue Ausgestaltung einer Arbeitszeiterfassung dann eigentlich weiterhin in Betriebsvereinbarungen festgehalten werden?
Die Regelung von Arbeitszeiterfassung in Betriebsvereinbarungen wird auch zukünftig weiter möglich und sinnvoll sein. Welcher gesetzliche Rahmen hierbei zu beachten ist, bleibt noch abzuwarten. Der EuGH betonte im Übrigen selbst die besondere Funktion, die Arbeitnehmervertreter bei der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben.