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Service aktuellAndreas Hövermann zu sozialen Folgen von Corona: "Politische Unzufriedenheit und Verschwörungsmythen sind sich gefährlich nah"
Zweifel an der Gefährlichkeit der Corona-Pandemie, an Maßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung sowie Verschwörungsmythen drängen in die Öffentlichkeit. Wo sie verbreitet sind und warum von ihnen eine Gefahr für das Vertrauen in politische Insititutionen ausgeht, erklärt der Einstellungs- und Konfliktforscher Andreas Hövermann.
[12.11.2020]
Im Rahmen einer im Oktober 2020 erschienenen Studie hat sich Andreas Hövermann mit den Einstellungen zur Corona-Pandemie und politischen Schutzmaßnahmen beschäftigt. Hier berichtet er über zentrale Befunde.
Im Rahmen der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung habt Ihr Euch im Sommer 2020 die Frage gestellt, wie tief die medial sehr präsenten Corona-Zweifel und die oft damit verbundenen Verschwörungsmythen in der Gesellschaft verankert sind. Was kann man sagen?
Zunächst zeigt sich in unseren Daten, dass auch in der vergleichsweise ruhigen Phase während der Befragung im Juni ein Großteil der Befragten die Maßnahmen für berechtigt hielten. Dennoch ist ein Blick auf die Unzufriedenen lohnend. Wir hatten dazu bereits in der ersten Befragungswelle während des ersten Lockdowns im April einige Fragen zu Zweifeln an der Corona-Pandemie. Einige Fragen im Juni hatten dann noch eine stärkere Wucht. Sie hatten trotzdem ähnlich hohe Zustimmungswerte: So haben wir etwa gefragt, ob es vorstellbar sei, dass die Pandemie von Eliten benutzt werde, um die Interessen der Reichen und Mächtigen durchzusetzen. Dieser Aussage stimmten im Juni 40 Prozent der Befragten zu. Rund 36 Prozent glaubten damals nicht, dass das Virus so gefährlich sei, wie es häufig gemacht werde. Das repräsentiert zwar nicht die Bevölkerung als Ganzes, sondern die von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie besonders betroffenen Erwerbstätigen, ist aber ein besorgniserregend hoher Wert.
Die benannte Eliten-Aussage ergibt ja keinen Sinn. Im Juni sind die Infektionszahlen gesunken, Kontaktbeschränkungen wurden gelockert…
Ja, es ist aber auch typisch für Verschwörungsmythen, dass sich widersprechende Aussagen von Menschen, die daran glauben, nicht als solche erkannt werden. Einend ist hier meist das Misstrauen gegen angeblich verschwörerische Elitengruppen, die als Feindbild fungieren. Man spricht hier von einer Verschwörungsmentalität, gegen die man rational kaum argumentieren kann. Das macht sie so gefährlich für demokratische Diskurse.
Ich hatte nicht erwartet, dass die Unzufriedenheit mit den Maßnahmen der Bundesregierung und die Neigung zu Verschwörungsmythen so stark korrelieren.
Wer ist besonders anfällig für Corona-Leugner*innen und Verschwörungsmythen?
Einen Befund möchte ich zunächst hervorheben: Ich hatte nicht erwartet, dass die Unzufriedenheit mit den Maßnahmen der Bundesregierung und die Neigung zu Verschwörungsmythen so stark korrelieren. So glauben beispielsweise knapp 60 Prozent der mit der Rolle der Politik in der Corona-Krise Unzufriedenen, das Coronavirus sei nicht so gefährlich, wie es gemacht werde. Bei der Frage nach dem Einfluss der Eliten ist der Wert noch höher. Der Weg von der Unzufriedenheit mit der Regierung in die Welt der Verschwörungsmythen ist kurz. Zumindest lässt sich das für die Phase des 1. Lockdowns und des Sommers so feststellen.
Wo ist die Unzufriedenheit besonders groß?
In Ostdeutschland ist sie durchweg stärker ausgeprägt. Das bleibt auch bestehen, wenn man demographische Faktoren, das Verhältnis urbaner und ländlicher Gebiete oder sozio-ökonomische Faktoren herausrechnet. Hier liegt es nahe, dass hier ein tiefer sitzendes Misstrauen gegenüber den politischen Institutionen zum Tragen kommt.
Zweitens sind jüngere Menschen oder Bewohner*innen ländlicher Gebiete unzufriedener mit den Corona-Maßnahmen. Das dürfte damit zu tun haben dürfte, dass diese Gruppen ihr Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes beziehungsweise einer Infektion als nicht so hoch einschätzten. Zum Zeitpunkt der Befragungen gab es auf dem Land ja sehr wenige Infektionen.
Drittens sehen wir, dass Personen, die durch die Krise stärker belastet sind, über die Zeit negativere Einstellungen gegenüber der Bundesregierung entwickeln und größere Zweifel äußern. Das gilt einerseits für Eltern, vor allem aber für Personen mit niedrigen Einkommen, die in der Corona-Krise überdurchschnittlich stark von Einkommenseinbußen betroffen sind.
Außerdem bewahrheitet sich der Befund ähnlicher Studien zu Verschwörungsmythen: Niedrige Bildung erhöht die Empfänglichkeit für einfache Lösungen in Folge von Unzufriedenheit, weil komplexe Problemlagen, wie wir sie in der Pandemie haben, schlicht seltener als solche erkannt werden.
Im November 2020 untersucht ihr die Einstellungen und Lebenslagen in der Corona-Pandemie erneut. Womit rechnet ihr?
Ich schätze, dass die Unzufriedenheit mit den Maßnahmen der Bundesregierung ein differenzierteres Bild ergeben wird. Eine Unzufriedenheit hier wird weniger eng mit Verschwörungsmythen zusammenhängen, da anzunehmen ist, dass sich die Meinungen weiter ausdifferenziert haben. Es dürfte auch mehr Menschen geben, denen die Beschränkungen der Bundesregierung vor dem Hintergrund des dynamischen Infektionsgeschehen und der dramatischen Lage in einigen Nachbarländern nicht weit genug gehen. Das könnte für eine verstärkte Polarisierung in der Gesellschaft sorgen.
Ist der gesellschaftliche Frieden in Gefahr?
Die Lage ist deshalb so gefährlich, da Corona für viele Leute eine existenzielle Bedrohung darstellt und großen Wandel in kurzer Zeit hervorbringt. Gleichzeitig gibt es Anbieter mit einer alternativen Deutung der Corona-Pandemie. Und das sind nicht mehr nur Rechtspopulist*innen, sondern inzwischen auch gewaltbereite Rechtsextreme, wie die Demonstrationen in Berlin oder Leipzig gezeigt haben. Das ist äußerst brisant, weil so viele Menschen durch die Corona-Krise harte Einbußen hatten, unzufrieden sind und Ungerechtigkeit empfinden. Dass tatsächlich auch diejenigen stärker finanziell durch die Krise betroffen sind, die ohnehin schon benachteiligt waren, ist umso heikler. Es besteht hier die große Gefahr, dass bei einigen Vertrauen in die politischen Institutionen verloren geht und sich vom demokratischen Diskurs entfernt wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es als umso wichtiger, dass die Maßnahmen gut erklärt und vermittelt werden und der Aspekt der gerechten Verteilung der Krisenlasten stärker in den Blick gerät.