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ANDREW WATT sortiert die Möglichkeiten des Vereinigten Königreichs im Hinblick auf den Brexit. Service aktuell

Interview mit Andrew Watt (IMK): Brexit: Wirtschaftliche Gefahren ungleich verteilt

Mit einem neuen Premierminister Boris Johnson wird ein harter Brexit noch wahrscheinlicher - und damit auch negative Folgen für die deutsche und europäische Wirtschaft. Die Risiken sind allerdings ungleich verteilt, manche Branchen und Regionen dürften besonders betroffen sein, erklärt Andrew Watt vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturfoschung (IMK).

Frage: Mit Boris Johnson als Premierminister – gibt es nun überhaupt noch eine Chance, einen harten Brexit zu vermeiden?

Watt: Mit Boris Johnson wird ein harter Brexit zwar wahrscheinlicher, aber noch nicht unausweichlich. Zunächst braucht Johnson eine Mehrheit im britischen Unterhaus. Wenn auch nur wenige konservative Abgeordnete ihm die Gefolgschaft verweigern, hat er keine Mehrheit. Es kommt zu Neuwahlen. Schafft er es, eine Regierung zu bilden, will er ein neues Austrittsabkommen mit Brüssel aushandeln. Hierfür stehen die Chancen aber denkbar schlecht: Die neue Kommissionspräsidentin in spe, Ursula von der Leyen, hat sich zwar für eine weitere Verlängerung des Austrittsverfahrens offen gezeigt, nicht aber für eine Neuverhandlung. Damit droht zum 31. Oktober ein Austritt ohne Abkommen (no deal Brexit), die härteste aller Brexitformen.

Zwei mögliche Szenarien sind denkbar, die das vermeiden würden: Eine weitere Verlängerung in Zusammenhang mit Neuwahlen im Vereinigten Königreich. Daran könnte Johnson ein Interesse haben, weil auch Labour von inneren Kämpfen zerrissen ist. Unsicher ist der Ausgang aber allemal, denn sowohl proeuropäische Kräfte wie auch Nigel Farages „Brexit Party“ haben Zulauf bekommen. Oder der Austritt zum 31.10. wird mit einer Teilumsetzung des Abkommens und einem Stillhalteabkommen für eine Übergangszeit verbunden. Ob die EU27 das akzeptieren, ist allerdings fraglich.

Mit welchen kurz- und mittelfristigen Auswirkungen auf die deutsche und EU- Wirtschaft müssen wir insgesamt rechnen?

Das hängt zunächst stark von der Form des Brexit ab und ob bzw. welche Übergangsregelungen vereinbart werden können. Je schneller und vollständiger der Abbruch der Handelsbeziehungen erfolgt, desto höher werden die volkswirtschaftlichen Kosten sein. Gleichwohl sieht man allein an den Bevölkerungszahlen (EU27: knapp 450, das Vereinigte Königreich: 65 Millionen), dass die relative Bedeutung der außenwirtschaftlichen Verflechtung für die Rest-EU ungleich weniger bedeutend ist als für Großbritannien. Einzelne Länder, allen voran Irland, aber auch die Niederlande und Belgien, werden aber überdurchschnittlich getroffen.

Absolut gemessen ist zwar Deutschland der wichtigste EU-Handelspartner der Briten. Relativ zur Größe der Volkswirtschaft aber sind negative Effekte in etwa im europäischen Durchschnitt zu erwarten. Nach einer IMK-Simulation würde ein harter Brexit kurzfristig etwa 0,3 Prozentpunkte Wachstum kosten. Das ist zwar für sich verkraftbar. Allerdings ist die deutsche Konjunktur, allen voran das produzierende Gewerbe, aktuell in schwierigem Fahrwasser, nicht zuletzt in Folge anderer Handelskrisen. Ein zusätzlicher negativer Schock in Form eines harten Brexit könnte zu negativen Vertrauenseffekten führen, die die deutsche Wirtschaft in einen Abwärtssog hineinziehen. Für diesen Fall sollte die Fiskalpolitik stützend ausgerichtet sein.

Gibt es einzelne Branchen oder Regionen, die in Deutschland überproportional betroffen sein könnten?

Unmittelbar von einem harten Brexit betroffen wären vor allem die Bereiche des verarbeitenden Gewerbes mit engmaschigen Produktionsketten, in denen die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs eingebunden ist (Just-In-Time Production). Hier ist die Autoindustrie einschließlich Zulieferer besonders zu nennen. Aufgrund der Bedeutung regulatorischer Barrieren sind Bereiche wie die Pharmaindustrie aber auch die Landwirtschaft auch direkt betroffen. Gelingt es nicht, Übergangsregelungen zu vereinbaren, wären Teile des Transportwesens (Speditionen, Luftverkehr) sofort mit großen Problemen konfrontiert. Aber über die erwartete Abwertung des Pfundes wären auch große Bereiche der Volkswirtschaft, bis hin zum Tourismus negativ betroffen. Schließlich müssen in der Finanzindustrie mittelfristig viele Neuregelungen getroffen werden. Andererseits könnten europäische Finanzplätze, in Deutschland - vor allem Frankfurt - von einer Schwächung der City of London profitieren.

Die möglichen regionalen Auswirkungen sind wenig erforscht und unsicher. In einer Studie für den Landtag Nordrhein-Westfalens konnte ich zeigen, dass weder die Zusammensetzung der Industrie – die längst nicht mehr dem Klischee der rauchenden Schornsteine entspricht – noch die außenwirtschaftlichen Verflechtungen mit dem VK besonders negative Auswirkungen in NRW wahrscheinlich machen. Andererseits wäre NRW stärker indirekt über Drittmärkte betroffen - insbesondere die Niederlande. Auch anderswo in Deutschland gilt, dass überdurchschnittliche Probleme wahrscheinlich lokal konzentriert auftreten werden, etwa in Regionen mit einer größeren Abhängigkeit von der Auto(zuliefer)- oder Pharmaindustrie.

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