Quelle: HBS
: Getrieben von der Gegenwart: Bilanz des Forschungsverbunds Ökonomie der Zukunft
Kann Wissenschaft in die Zukunft schauen? Schon bei der Planung unseres Forschungsverbunds „Ökonomie der Zukunft“ vor rund fünf Jahren war klar, dass niemand eine Glaskugel für die Entwicklung globaler Wertschöpfungsketten besitzt. Dass sich dann aber die Gegenwart so rasant verändert, war eine unerwartete Herausforderung.
Am Anfang war Routine: Ein Ideenwettbewerb, Bewerbungen und die Auswahl von 25 Projekten: 2020 war der Forschungsverbund „Ökonomie der Zukunft“ startklar. Fragen lauteten unter anderem: Wie verändert Digitalisierung und ökonomische Globalisierung Ort und Art von Wertschöpfung? Wie und wohin verschiebt sich wirtschaftliche Macht? Welche Strategien der Wertschöpfung entwickeln Unternehmen? Welche neuen Akteure treten auf den Plan und verändern ganze Märkte? Was heißt das für Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und kollektive Aushandlungsmacht?
Doch dann wurde die „Ökonomie der Zukunft“ rasant von der Gegenwart eingeholt. Die Corona-Pandemie mit ihren Handelsausfällen, Produktionsverzögerungen und Gewinneinbrüchen erschütterte Gewissheiten. Risiken und Nebenwirkungen der starken internationalen Verflechtungen wurden plötzlich im Alltag einer ganzen Gesellschaft spürbar. Das vormalige Nischenthema globale Wertschöpfungskette bekam plötzlich - Hochkonjunktur.
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine Anfang 2022 hat die Diskussion über Abhängigkeiten – zum Beispiel in Lieferketten - noch einmal verschärft. Begriffe wie „De-Risking“, „De-Coupling“ und immer wieder „Resilienz“ prägen seitdem die Debatte und zeigen, dass die Zeiten von „just in time“ und einer immer komplexeren globalen Arbeitsteilung vorbei sein könnten.
So schoben sich neue Fragen in den Vordergrund:
Welche neuen Muster der Globalisierung zeichnen sich ab?
Welche Treiber wirken wie auf globale Wertschöpfungsstrukturen?
Welche Herausforderungen mit Handlungsoptionen sehen wir für Politik, Gewerkschaften und Akteure der Mitbestimmung?
Inmitten dieser Zeitenwende ermöglichte der Forschungsverbund nicht nur Momentaufnahmen einer beschleunigten Transformation. Gleichzeitig mussten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich selbst an die neue Lage anpassen: In der Pandemie war der Verbund der erste, der rein digital tagte. Alle Mitglieder sahen sich auf der Abschlusskonferenz Ende Mai das erste Mal „live“.
Aus der Vielzahl der vorgestellten Forschungsprojekte hat Zeichner Christoph J. Kellner mit der Technik des Graphic Recording Inhalte visuell festgehalten. Erstmals unterstützt von einem journalistischen Blick haben wir im Anschluss Themenpakete zum Nachlesen geschnürt. Diese Form der Dokumentation erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und bildet daher auch nicht die ganze Bandbreite der Ergebnisse ab. Sie lassen sich an anderer Stelle nachlesen.
Wir haben bewusst reduziert, konzentriert und manchmal auch vereinfacht, um einer möglichst breiten Öffentlichkeit Einblicke in unsere Forschungsthemen der vergangenen Jahre zu geben:
- Paket eins greift mit dem Start des deutschen Lieferkettengesetzes im Januar 2023 die Frage auf: Ist das nur ein Papiertiger oder ein wichtiger Hebel, um Arbeitsbedingungen und Umweltschutz weltweit verbessern zu können? Wir haben Forschende, Gewerkschaften und Betriebsräte gefragt, welches Potenzial in diesem Gesetz stecken kann und woran es aus ihrer Sicht noch fehlt.
Zentrale Befunde aus den Forschungsprojekten zur Durchsetzung von sozialen Standards in Lieferketten finden sich auch in einem im Transcript-Verlag erschienenen Sammelband, das als Volltext kostenfrei heruntergeladen werden kann. - Paket zwei nimmt den Onlinehandel näher unter die Lupe. Wo bleibt die Hoffnung auf gute Arbeit hinter den Erwartungen zurück? Welche Chancen bieten Online-Plattformen – und welche Risiken bleiben? Einschätzungen gibt es unter anderem aus den Bereichen Wirtschaft, Soziologie und Humangeografie.
- Paket drei dreht sich um Insourcing – das meint das Zurückholen zuvor bewusst ausgelagerter Produktionsteile, Prozesse oder Leistungen in ein Unternehmen. Wer hat dabei Vorteile und wer Nachteile - und welche Rolle kann Betriebsräten dabei zukommen?
- Paket vier fragt nach dem großen Ganzen: Ist die Hyperglobalisierung nach mehreren Krisen hintereinander nun in eine rationalere Phase getreten? Wie wirken sich Megatrends wie zum Beispiel die Klimakrise auf die globale Arbeitsteilung aus? Welche Rolle spielt hier die Digitalisierung? Antworten gibt der Wirtschaftswissenschaftler Professor Gustav Horn, der von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung war. Damit es nicht zu global wird, haben wir ihn auch ganz konkret zum neuen Heizungsgesetz gefragt.