Rechtsgutachten: Die Verfassungsmäßigkeit eines einheitlichen und der Besteuerung unterworfenen Kindergeldes
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit Anfang der 1990er Jahre ist von einer Dreiteilung des steuerlich freizustellenden Existenzminimums von Kindern in Deutschland auszugehen. Dieses umfasst das sächliche Existenzminimum in Höhe der durchschnittlichen Sozialhilfesätze sowie den kindlichen Bedarf nach Betreuung und Erziehung. Das Gericht hat in seinen Entscheidungen einen Bildungsbedarf von Kindern beschrieben, der die Leistungsfähigkeit der Eltern einschränkt. Der Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung umgesetzt; in Höhe des Freibetrages von 5.808 Euro pro Kind und Jahr darf das Einkommen der Eltern nicht besteuert werden. Ein einheitlich hohes Kindergeld würde nur dann mit der Verfassung übereinstimmen, wenn es nach dem Steuereingriff noch der Entlastungwirkung entspricht, die heute von Eltern im obersten Steuertarif über das Kindergeld hinaus durch die Freibeträge erzielt wird. Dies wäre gegenwärtig bei einem Betrag von 394,54 Euro gegeben.
Es stellt sich aber die Frage, welche Auswirkungen die Rechtsprechung des BVerfG zum Betreuungs- und Erziehungsbedarf auf die Ansprüche von Kindern im Grundsicherungsbezug hat. Denn bei ihnen wird bislang lediglich das sächliche Existenzminimum gedeckt. Die pauschalierten Regelsätze enthalten ausdrücklich keine Kosten für den Bedarf an Erziehung und Betreuung, die das BVerfG für alle Kinder beschrieben hat. Der Staat verzichtet damit zugunsten der Kinder einkommensstarker Eltern auf einen Betrag von 972 Euro pro Jahr und Kind, während er die Kinder im letzten sozialstaatlichen Netz leer ausgehen lässt - wohl wissend, dass deren Eltern diesen kindlichen Bedarf auch nicht aus eigenen Mitteln decken können. Das Gutachten legt nahe, dass dies eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung ist, die sich auch nicht mit dem Argument der verschiedenen Systemlogiken von Steuer- und Sozialrecht rechtfertigen lässt. Direkte Folge dieser Rechtsauffassung wäre, dass Kinder einen direkt einklagbaren Anspruch die Erstattung nachgewiesener Kosten wegen Erziehung/Betreuung in Höhe von jährlich 972 Euro haben (Ganztagsplatz in Kindergarten und Hort inkl. Mittagessen, Nachhilfe, Internet-Führerschein, Sprachförderung, Musikunterricht, Sportverein etc.).
Quelle
Lenze, Anne:
Die Verfassungsmäßigkeit eines einheitlichen und der Besteuerung unterworfenen Kindergeldes
Arbeitspapier, Düsseldorf, 66 Seiten
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