Annäherungen an eine bisher vernachlässigte Forschungsthematik: Pionierinnen der Mitbestimmung
Der 4. Februar 2021 ist der 101. Jahrestag des "Betriebsrätegesetzes", das eine wichtige Wegmarke in der Geschichte der betrieblichen Mitbestimmung darstellt. Die betriebliche Mitbestimmung ist eine Säule der demokratischen Beteiligung von Arbeitnehmer*innen. Das runde Jubiläum im vergangenen Jahr wurde zu Recht zum Anlass genommen, die lange und auch für die Gegenwart so bedeutungsvolle Geschichte der betrieblichen Interessenvertretung ausführlich zu beleuchten (Däubler/Kittner, Geschichte der Betriebsverfassung, 2020).
Dabei fällt auf: Die wesentlichen bekannten Akteure sind Männer. Dass Frauen in den frühesten Betriebsratsgremien - ebenso wie in den Gewerkschaften und Parteien - stark unterrepräsentiert waren, ist bekannt. Doch haben Frauen tatsächlich keinen Anteil an der Geschichte der Betriebsverfassung? Die Vermutung liegt nahe, dass dieser Aspekt schlicht zu wenig erforscht wurde. Dieser Studie liegen deshalb die Fragen zugrunde: Welche Rolle spielten die Frauen vor rund 100 Jahren bei der Entstehung der Betriebsverfassung? Welches Anliegen hatten sie, welche Sicht auf betriebliche Mitbestimmung? Und wer waren diese Frauen, die sich für Mitbestimmung einsetzten: Politikerinnen, Betriebsrätinnen, Gewerkschafterinnen - Pionierinnen der Mitbestimmung?
Was Dr. Rainer Fattmann, Historiker und wissenschaftlicher Publizist, vorliegend herausgefunden hat, ist hochinteressant - nicht nur aus historischer Sicht, sondern auch für die Gegenwart. So haben die acht Frauen unter den 28 Ausschussmitgliedern, die den Entwurf zum Betriebsrätegesetz bearbeiteten - darunter Louise Schröder und Helene Weber - etwa um eine Frauenquote und für besseren Kündigungsschutz von Frauen gekämpft. Viele der Argumente von damals haben noch heute Relevanz.
Der Blick auf die Geschichte zeigt zudem, dass sich innerhalb der Betriebsratsgremien und Gewerkschaften in den vergangenen 100 Jahren in Sachen Gleichstellung vieles zum Besseren entwickelt hat. Aber die Themen, die von den Frauen schon vor einem Jahrhundert angemahnt wurden, bleiben auch heute noch von Bedeutung: Die Situation von Frauen am Arbeitsmarkt, eine effiziente Vertretung ihrer Interessen, Repräsentanz in Entscheidungsgremien, Räten und Verbänden, wirksamer Schutz vor Diskriminierungen, Mutterschutz.
Die Recherche für diesen Text fand im pandemiebedingten "Lockdown", der auch Archive betrifft, und somit unter erschwerten Bedingungen statt. Umso erfreulicher ist es, dass ein so lesenswertes Ergebnis zustande gekommen ist, das sicherlich zu weiteren Nachforschungen anregt. Im Text werden zahlreiche Anknüpfungspunkte für weitergehende Forschungen benannt.
Die Rolle der Frauen sollte kein weißer Fleck in der Geschichte der Mitbestimmung bleiben. Was dieser Teil der Vergangenheit für die Demokratisierung der Wirtschaft bis heute bewirkt hat, ist zu bedeutsam.
Quelle
Fattmann, Rainer:
Pionierinnen der Mitbestimmung
HSI-Working Paper, 31 Seiten