Quelle: HBS
Böckler ImpulsVermögenssteuer: Zulässig und gut begründbar
Deutschland steht vor enormen finanziellen Herausforderungen und Vermögen sind äußerst ungleich verteilt. Da liegt die Erhebung einer Vermögenssteuer nahe – auch aus verfassungsrechtlicher Sicht.
Eine Vermögenssteuer ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Einführung ist nicht nur gut begründbar, sondern würde auch zur Verwirklichung grundlegender verfassungsrechtlicher Prinzipien beitragen. Zu diesem Ergebnis kommt ein von der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Rechtsgutachten. Bei der Ausgestaltung einer Vermögenssteuer hat der Gesetzgeber einen erheblichen Spielraum, zeigt die Untersuchung von Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht an der Hochschule für Management und Recht in Berlin.
Der Anteil der Armen in Deutschland ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. Und die privaten Vermögen sind im Vergleich zu anderen EU- und OECD-Ländern mit ähnlicher Einkommenssituation besonders ungleich verteilt. Hinzu kommen erhebliche finanzielle Herausforderungen an den Staat. So müssen nicht nur die Milliardenkredite bedient werden, die in den vergangenen Jahren zur Bewältigung verschiedener Krisen aufgenommen wurden. Zusätzlich besteht riesiger Investitionsbedarf, um die sozial-ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu ermöglichen.
Angesichts dieser Entwicklungen gewinnt die Debatte über eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer an Fahrt. Manche meinen, eine solche Steuer verstoße gegen die Verfassung, und halten die Debatte damit für beendet. Richtig ist zwar, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1995 die Vermögenssteuer für verfassungswidrig erklärt hat. Ebenso richtig ist allerdings, dass sich dieser Beschluss keineswegs gegen eine Besteuerung von Vermögen an sich, sondern lediglich gegen die damalige konkrete Ausgestaltung richtete. Das Grundgesetz steht einer Vermögensbesteuerung nicht prinzipiell entgegen, betont Thiele, zumal sie dort sogar „ausdrücklich als eine prinzipiell zulässige Steuerart aufgelistet“ wird.
Einkommens- und Vermögenssteuer sind vereinbar
Nach Prüfung der verfassungsrechtlichen Lage unter Berücksichtigung der aktuellen Situation von Staat und Gesellschaft gelangt der Juraprofessor zu dem Schluss: Eine Vermögenssteuer ist nicht nur nicht verfassungswidrig. Vielmehr habe die Ungleichheit in Deutschland ein Ausmaß erreicht, das die Einführung auch aus verfassungsrechtlicher Sicht eher nahelegt. Die Vermögenssteuer würde dazu beitragen, das Fundamentalprinzip gerechter Besteuerung, das Prinzip der Leistungsfähigkeit, besser zu verwirklichen. Es liege auf der Hand, dass eine Person, die beispielsweise monatlich 5000 Euro verdient, zusätzlich aber ein Vermögen von einer Million Euro besitzt, leistungsfähiger ist als jemand, der 5000 Euro im Monat verdient, aber über wenig Vermögen verfügt. Die Einkommenssteuer allein bilde die unterschiedliche Leistungsfähigkeit nicht angemessen ab. Es sei daher kein Widerspruch, wenn der Staat sowohl eine progressive Einkommenssteuer als auch eine Vermögenssteuer erhebt. Eine Doppelbesteuerung könne darin nicht gesehen werden.
Auch das Sozialstaatsprinzip liefert laut Thiele verfassungsrechtliche Argumente für eine Besteuerung von Vermögen, jedenfalls dann, wenn die Ungleichheit ein nicht mehr zu rechtfertigendes Ausmaß erreicht hat und damit ein Problem für die demokratische Ordnung darstellt. Sind die Vermögen extrem ungleich verteilt, „droht die soziale Ungleichheit aufgrund der damit einhergehenden kränkenden Wirkung das einigende Band der Gemeinschaft zu zerreißen, da deren Mitglieder nicht mehr in der Lage sind, sich als politisch gleich und folglich als Angehörige der gleichen politischen Gemeinschaft (noch) zu erkennen“, schreibt der Rechtswissenschaftler. In diesem Fall sei der Gesetzgeber verfassungsrechtlich gehalten, Maßnahmen zu ergreifen, um die Ungleichheit zu verringern.
Großer Gestaltungsspielraum bei der Erhebung
Der Gesetzgeber habe bei der Erhebung einer Vermögenssteuer einen weiten Gestaltungsspielraum, so Thiele. Das Eigentum sei zwar durch das Grundgesetz besonders geschützt, aber nicht schrankenlos. Steuern seien nach allgemeiner Auffassung kein Eingriff in die Eigentumsfreiheit und schon gar keine Enteignung. Schließlich heiße es im Grundgesetz auch: „Eigentum verpflichtet“. Jeder solle nach seiner Leistungsfähigkeit zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen. Umstritten sei allenfalls, wie hoch dieser Beitrag sein soll. Steuern dürften keine „erdrosselnde Wirkung“ haben.
Verfassungsrechtlich unbedenklich sei nach diesen Maßstäben die Besteuerung von Sollerträgen aus Vermögenswerten, argumentiert der Juraprofessor. Besteuerungsgrundlage wären danach die aus dem Vermögen erzielbaren Erträge, zum Beispiel potenzielle Mieteinnahmen und Zinseinkünfte, nicht aber die Vermögenssubstanz. Aber auch eine darüber hinausgehende Substanzbesteuerung sei nicht per se ausgeschlossen „in Zeiten erheblicher und nur schwer begründungsfähiger Vermögensungleichheit“ – wenn also die Ungleichheit das demokratische Gleichheitsversprechen zu gefährden droht.
Unschärfen bei der Bewertung zulässig
Bei der Ausgestaltung der Vermögenssteuer sind weitergehende verfassungsrechtliche Vorgaben zu beachten, so Thiele: Beispielsweise müsse neben dem Privatvermögen grundsätzlich auch Betriebsvermögen einbezogen werden. Allerdings müsse es nicht zwingend in gleicher Höhe wie Privatvermögen besteuert werden. Es sei möglich, Betriebsvermögen zu privilegieren, da diesem einen „besondere Bedeutung für die Prosperität“ einer Gesellschaft zukommt, schreibt der Rechtswissenschaftler.
Wesentlich sei auch, dass das Vermögen so erfasst wird, dass es annähernd dem Marktwert entspricht. Würden bei der Erfassung unterschiedliche Maßstäbe angelegt, stünde dies im Konflikt mit dem Gleichheitsgrundsatz – genau hier lag das Problem der bis in die 1990er-Jahre erhobenen Vermögenssteuer, über die das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hatte. Eine Schwierigkeit damals wie heute: Bei Bargeld oder Aktien ist die Bewertung vergleichsweise einfach, komplizierter wird es beispielsweise bei Kunstgegenständen und anderen Sachgütern, ebenso bei Immobilien. Hier ist der Staat auf die Ehrlichkeit der Steuerpflichtigen angewiesen, wobei zu betonen ist, dass die unzutreffende Angabe von relevanten Steuersachverhalten eine Straftat darstellt.
Gewisse „Unschärfen“ bei der Bewertung von Vermögensgegenständen seien verfassungsrechtlich zulässig: Abweichungen von bis zu 20 Prozent vom „tatsächlichen“ Wert seien denkbar, so Thiele. Im Steuerrecht sei es nicht unüblich, mit Pauschalierungen zu arbeiten. Dass eine Steuer nicht leicht zu erheben ist, sei jedenfalls kein sachgerechter Grund, sie nicht zu erheben, betont der Gutachter.
Die Probleme könnten entschärft werden, wenn nur die Sollerträge aus Vermögen besteuert werden. Zum einen ließen sich die Erträge leichter ermitteln und besser bewerten als das Gesamtvermögen. Zum anderen bliebe die Vermögenssubstanz grundsätzlich unangetastet, sodass der damit verbundene Eingriff in die Eigentumsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich wäre.
Alexander Thiele: Der grundgesetzliche Rahmen für die Wiedereinführung einer Vermögensteuer, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 266, Februar 2023