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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Wo Hartz IV noch lernen kann: Dänemark 'fordert und fördert'

Ausgabe 02/2005

Die Dänen "aktivieren" Arbeitslose seit über zehn Jahren - mit Erfolg. Deutschland hingegen ist mit der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik über Hartz IV nicht nur spät dran, es könnte beim "Fordern und Fördern" auch die Erfahrungen des nordischen Nachbarn weitaus besser nutzen, analysiert das WSI.

Dänemark schaffte die entscheidende Aktivierungswende bereits 1993 mit einer umfassenden Reform des Arbeitsmarktes. Im Kern definierte das dänische Konzept die Rechte und Pflichten von Arbeitssuchenden neu: So hat jeder Arbeitslose Anspruch auf einen individuell auf seine persönlichen Interessen und Fähigkeiten zugeschnittenen Handlungsplan. Anders als bislang hier zu Lande haben Arbeitslose ein Recht darauf, entsprechende Maßnahmen und Hilfen angeboten zu bekommen. Gleichzeitig ist jeder Däne ohne Job dazu verpflichtet, an Aktivierungs- und Wiedereingliederungsmaßnahmen teilzunehmen. Inzwischen muss er sogar mindestens alle drei Monate beim Arbeitsvermittler vorstellig werden. 


"Fordern und Fördern" heißt zunächst nur Fordern
Auch in Deutschland sollen die unter dem Schlagwort Hartz IV zusammengefassten Arbeitsmarktreformen die Eigenverantwortung der Arbeitslosen stärken. Wer ohne Beschäftigung ist, muss alle Möglichkeiten nutzen, einen neuen Job zu finden. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit gelten auch sozialversicherungsfreie und unter Tarif bezahlte Tätigkeiten als zumutbar. Den neuen Pflichten der Erwerbslosen stehen in Deutschland allerdings kaum neue Rechte gegenüber: Das angekündigte "Fördern und Fordern" beschränkt sich bislang im Wesentlichen aufs Fordern.
Zwar sollen speziell geschulte Fallmanager die individuelle Situation und die Erwerbsfähigkeit jedes Arbeitssuchenden berücksichtigen. Einklagbar ist dieses Recht jedoch nicht. Und wer ein Arbeitsangebot als unzumutbar empfindet, der muss nun selbst beweisen, dass dies auch wirklich unzumutbar ist. Das WSI zeigt auf: Der Arbeitslose, der eigenverantwortlich handeln soll, wird zunehmend abhängig vom Wohl und Wehe seines Fallmanagers. Bislang sind die zukünftigen Betreuer in den Arbeits- und Sozialämtern für ihren neuen Job aber gar nicht ausreichend qualifiziert. Und um einen adäquaten Betreuungsschlüssel zu erreichen, bei dem ein Fallmanager höchstens 150 Langzeitarbeitslose betreut, fehlen die finanziellen Mittel. 


Dänen erhalten bis zu 90 Prozent ihres früheren Gehalts
Bevor die geplante Förderung überhaupt greifen kann, kürzt der Gesetzgeber die Leistungen für die Jobsuchenden. Dänemark geht hier einen gänzlich anderen Weg: Zwar ist der Kündigungsschutz niedrig, der Arbeitslose erhält aber hohe Leistungen. Hier sind Zahlungen von bis zu 90 Prozent des vorherigen Einkommens für bis zu vier Jahre möglich. Insbesondere Geringverdiener erhalten im Falle der Arbeitslosigkeit Transferleistungen, die nahezu der Höhe ihres bisherigen Lohnes entsprechen.
Darüber hinaus ist der Erfolg von Aktivierung stark von der Gesamtheit sozialpolitischer Maßnahmen eines Landes abhängig. Dazu zählen Freistellungsregelungen, Arbeitszeitregulierung und Kinderbetreuungseinrichtungen. Dänemark weist im Vergleich zu anderen Industrienationen eine äußerst hohe Versorgungsquote bei der Kinderbetreuung auf. So gibt es nach OECD-Angaben für 71 Prozent der Kinder unter drei Jahren Tagesbetreuung, Paaren mit Kindern stehen gemeinsam bis zu 32 Wochen Elternurlaub zu. Und der ist gut bezahlt: Wer das Baby betreut, erhält die gleichen Leistungen wie in der Arbeitslosigkeit. In besonderen Fällen lässt sich die Auszeit sogar auf 46 Wochen verlängern. Die Summe der Zahlungen erhöht sich dann jedoch nicht, sondern muss auf die längere Zeitspanne verteilt werden. 


Mütter bleiben im Arbeitsmarkt
Obwohl hauptsächlich Mütter einen solchen Urlaub antreten, bleiben sie dem Arbeitsmarkt langfristig erhalten. Ein Indiz dafür ist die relativ hohe Erwerbstätigenquote der Däninnen: Im Alter von 15 bis unter 65 Jahren gehen 70,5 Prozent arbeiten oder sind selbstständig. Solche Rahmenbedingungen stimmen in Deutschland nicht. Hier liegt die Erwerbstätigenquote der Frauen mehr als 10 Prozentpunkte niedriger: bei 58,8 Prozent. Zwar können Vater und Mutter die Elternzeit auch gemeinsam nehmen, und auch Väter haben einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit. Erziehungsgeld erhält die Familie aber nur bei Bedürftigkeit, für gerade einmal 3,6 Prozent aller Kinder unter drei Jahren stehen Betreuungsplätze zur Verfügung.
Doch selbst wenn es für Eltern einfacher wäre, Beruf und Kinder miteinander zu vereinbaren: An dem Mangel an Arbeitsplätzen wird auch der stärkere Druck auf Arbeitslose, eine Beschäftigung aufzunehmen, nichts ändern.

  • Die Dänen "aktivieren" Arbeitslose seit über zehn Jahren - mit Erfolg. Zur Grafik

"Aktivierung und Eigenverantwortung in europäisch-vergleichender Perspektive" von Ute Klammer, Simone Leiber in WSI-Mitteilungen 9/2004

"Eigenverantwortung in der Arbeitsmarktpolitik: Zwischen Handlungsautonomie und Zwangsmaßnahmen" von Silke Bothfeld, Sigrid Gronbach, Kai Seibel; Diskussionspapier des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts (WSI), Januar 2005
zum Diskussionspapier (pdf)

"10 Jahre aktivierende Arbeitsmarktpolitik in Dänemark" von Irene Dingeldey in WSI-Mitteilungen 1/2005

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