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HBS Böckler Impuls

Arbeitsbedingungen: Wissensarbeiter vor dem Kollaps

Ausgabe 12/2006

Schlaflos, übermüdet, nervös: IT-Spezialisten in Projektteams opfern ihre Gesundheit oft den Anforderungen des Berufs. Trotz vergleichsweise großer Freiheiten - Selbstbestimmung, Eigenverantwortung, Flexibilität - macht die Arbeit in der "Leitbranche der Wissensgesellschaft" überdurchschnittlich häufig krank, fanden Arbeitswissenschaftler des IAT heraus.

Fast ein Drittel stand vor dem Burn-out: 31 Prozent der vom Institut Arbeit und Technik (IAT) befragten Projektmitarbeiter von EDV-Dienstleistern gaben an, nach der Arbeit nicht mehr abschalten zu können. 41 Prozent zeigten nach Ansicht der Wissenschaftler bereits "massive Anzeichen einer chronischen Erschöpfungssymptomatik".

Verglichen mit den Ergebnissen repräsentativer Befragungen unter allen Beschäftigten leiden die Computerspezialisten bis zu viermal öfter unter psychosomatischen Beschwerden: über zwei Drittel unter permanenter Müdigkeit, mehr als die Hälfte an Nervosität, ein Drittel an Magenschmerzen, ein Viertel an Schlafstörungen.

In der Forschung galt Projektarbeit lange als "gute" Arbeit. Die Befunde relativieren diese Annahme erheblich.

Die in der IT-Branche vorherrschende Projektarbeit - zeitlich befristete Einsätze in wechselnden Teams mit wenig formalisierten Arbeitsabläufen - haben die Arbeitswissenschaften lange vernachlässigt, so die IAT-Forscher. Vermutlich, weil Projektarbeit wegen eines hohen Maßes an Selbstbestimmung im Gegensatz zu fremdbestimmten Arbeitsprozessen in der Produktion als "gute Arbeit" angesehen wurde. Um die Wissenslücke zu schließen, hat das IAT die Mitarbeiter von sieben Projektgruppen in vier IT-Firmen, vom Start-up- bis zum Großunternehmen, zwölf Monate lang regelmäßig und ausführlich zu ihrer Arbeitsbelastung befragt. So gelang es den Forschern, die häufigsten psychischen Belastungsfaktoren herauszufiltern.

Stressfaktor Nummer eins: Widersprüchliche Arbeitsanforderungen

Ständig wechselnde - oft unvereinbare - Vorgaben von Kunden und Management, unvorhersehbare Änderungswünsche, nicht eingeplante Zusatzaufgaben. Das alles müssen Projektmitarbeiter bewältigen, ohne die ursprünglich vorgesehenen Kostenlimits zu überschreiten oder vereinbarte Auslieferungstermine verschieben zu können.

Der Termindruck nimmt noch einmal zu, wenn Projekte ins Stocken geraten, weil sie erst Entscheidungen des Managements oder des Kunden abwarten müssen. Technische Pannen, mangelhafte Soft- oder Hardwarekomponenten kommen hinzu. Das führt zu "ausufernden Arbeitszeiten" bei einer "gleichzeitigen Verdichtung" der Arbeit, so die Beobachtung der Wissenschaftler.

Die Mitarbeiter sollen einerseits immer auf dem neuesten Stand der Technik sein, andererseits bleibt ihnen keine Zeit sich fortzubilden. Zudem sind sie häufig für mehrere Projekte gleichzeitig zuständig, deren "kritische Phasen" sich zeitlich überschneiden.

Zwar gewinnen die EDV-Tüftler ihrem Job durchaus positive Seiten ab: freie Einteilung der Arbeitszeit, kooperatives Verhältnis zu den Kollegen, offenes Organisationsklima, interessante und anspruchsvolle Tätigkeiten. Aber "die Annahme, neue Formen der Wissensarbeit seien generell mit hohen Autonomiegraden und Selbstregulationspotenzialen verbunden", kann das IAT nicht bestätigen. In den meisten der untersuchten IT-Projekte beschränkte sich die Entscheidungskompetenz der Mitarbeiter auf die Detailplanung. Sie haben jedoch "keinen substanziellen Einfluss auf die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit", so das IAT.

Die Wissenschaftler raten, die betriebliche Arbeitszeitpolitik mit Kontenmodellen, Regelungen zur Wochenendarbeit und Pausenmodellen als Ansatzpunkt für eine verbindliche Regelung von Erholungsphasen zu nutzen. Freiräume zur Stressbewältigung in der Projektarbeit sollten gleich bei Vertragsabschluss mit dem Kunden geschaffen werden.

Bewusstsein für die Notwendigkeit regelmäßiger Pausen fehlt

Zuerst müsse aber bei allen Beteiligten, Management wie Mitarbeitern, das Bewusstsein für die Notwendigkeit regelmäßiger Pausen und freier Tage geschaffen werden - zum Beispiel durch Schulungen und Workshops. Denn die Auswertungen zeigen: Besonders burn-out-gefährdet sind Mitarbeiter, die länger als acht Wochen ununterbrochen unter Stress standen.

  • Beschäftigte in IT-Projekte werden bei der Arbeit deutlich stärker belastet als andere. Zur Grafik

Erich Latniak, Anja Gerlmaier: Zwischen Innovation und alltäglichem Kleinkrieg, in: IAT-Report 4/2006
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