Quelle: HBS
Böckler ImpulsKonjunktur: Wirtschaftskrise: Der Staat zahlt die Zeche
Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise hat auch in Deutschland enorme Kosten verursacht – besonders für den Staat. Wie hoch die Rechnung ausfällt, hängt letztlich an der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung.
Auf 708 Milliarden bis 2,2 Billionen Euro summieren sich die wahren Kosten der Krise, ergibt eine Analyse von Sebastian Dullien und Christiane von Hardenberg im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Je nachdem, ob die deutsche Wirtschaft kräftig wächst – oder eben weniger kräftig. Der Professor an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft hat zusammen mit seiner Co-Autorin aufgelistet, wo in der Bundesrepublik welche Verluste entstanden sind – oder noch entstehen werden.
Dabei zeigt die Untersuchung: Die direkten Kosten, wie Vermögensverluste bei Unternehmen und Privatanlegern oder die Staatshilfen zur Bankenrettung, fallen mit insgesamt 95 Milliarden Euro gar nicht so sehr ins Gewicht. Den Löwenanteil machen entgangene Löhne und Gewinne sowie Steuer- und Abgabenausfälle aus – also die indirekten Kosten, die erst im Verlauf der Krise aufgrund der Verschlechterung der konjunkturellen Lage entstanden sind. Die Forscher veranschlagen sie mit 613 Milliarden bis 2,1 Billionen Euro.
In ihrer Krisenbilanz werteten Dullien und von Hardenberg zur Ermittlung der direkten Kosten die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung und Informationen des Finanzmarktstützungsfonds SoFFin aus. Die indirekten Kosten ermittelten sie aus Projektionen anhand von Daten aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Ihre Grundannahme: Eine so starke Krise wie die jüngst vergangene hinterlässt tiefe Spuren und beeinflusst deshalb wahrscheinlich auch für längere Zeit den Wachstumstrend. Die Ökonomen verglichen deshalb mögliche Wachstumspfade nach der Finanz- und Wirtschaftskrise mit einem hypothetischen Pfad ohne Krise. Sie rechneten zwei verschiedene Szenarien durch: ein Szenario, in dem sich die Wirtschaft schnell wieder erholt und weiterhin relativ kräftig wächst. Und ein verzögertes Szenario, bei dem sich das Wachstum nach einer ersten Erholung wieder abschwächt. Den Wachstumspfad ohne Krise erreicht die Wirtschaft hier erst wieder nach 2020.
Für die volkswirtschaftlichen Sektoren bedeutet das im Einzelnen:
Staat. Auf die direkten Kosten für die Bankenrettungen entfallen lediglich 22 Milliarden Euro. Selbst im günstigsten Fall hat die Krise jedoch indirekte Kosten von insgesamt rund 248 Milliarden Euro verursacht. Im ungünstigsten Szenario steigt dieser Wert auf 777 Milliarden Euro. Bereits jetzt hat der Staat für die Krisenbekämpfung enorm hohe Schulden aufgenommen.
Vermögenseigentümer. Von Anfang 2008 bis Ende 2009 belaufen sich die Vermögensverluste der Privathaushalte auf 166 Milliarden Euro. Wobei es „im Laufe der Finanzkrise zunächst zu einem weit größeren Wertverlust im Jahr 2008 kam, der dann zum Teil im Laufe des Jahres 2009 wieder wettgemacht wurde“, wie die Ökonomen schreiben. Dennoch haben 2009 in erster Linie der Staat und die Vermögenseigentümer die Lasten der Finanzkrise getragen.
Lohn- und Transferempfänger. Zunächst hat die Krise diese Gruppe relativ unbeeinträchtigt gelassen. Ihre Verluste steigen erst ab 2010. Anders als es ohne Finanz- und Wirtschaftskrise zu erwarten gewesen wäre, sind die Tarif- und Effektivverdienste 2010 eher langsam gestiegen. Auch für die Jahre ab 2011 erwarten die Autoren eine tendenziell gedämpfte Lohnentwicklung. Weil der Staat wegen der Krise weniger Steuern und Abgaben einnimmt, wird er nach Einschätzung der beiden Volkswirte Sozialleistungen beschneiden. Beispiel: die bereits beschlossenen Kürzungen beim Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger. Wie stark die Lohn- und Transferzahlungen insgesamt betroffen sein werden, hängt entscheidend vom zu erwartenden Konjunkturszenario ab: Eine auch nur leicht verzögerte Erholung kann die Verluste um mehrere hundert Milliarden Euro erhöhen, schätzen von Hardenberg und Dullien.
Bleibt es bei einer schnellen wirtschaftlichen Erholung, tragen die Vermögenseigentümer einen größeren Teil der indirekten Krisenkosten. Bei einer verzögerten Erholung jedoch verschieben sich die Kosten hin zu den Lohn- und Transferempfängern, zeigen die Berechnungen: Im günstigen Konjunkturszenario beträgt der aufsummierte Verlust bei Löhnen und Transfers rund 177 Milliarden Euro, bei Vermögenseinkommen rund 261 Milliarden. Das ungünstigere Szenario brächte Lohn- und Transferverluste in Höhe von 755 Milliarden Euro und Vermögensverluste von 600 Milliarden.
Sebastian Dullien, Christiane von Hardenberg: Der Staat bezahlt die Krisenzeche (pdf), Expertise im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, März 2011.