Quelle: HBS
Böckler ImpulsSteuerhinterziehung: Wir sollten in Europa anfangen
Enthüllungen über exotische Steueroasen schlagen hohe Wellen. Ein konsequentes Wohnortprinzip bei der Besteuerung kann Hinterziehungen eindämmen, erklärt WSI-Direktorin Brigitte Unger.
Erst ging es um dubiose russische Anlagen auf Zypern, jetzt um Schwarzgelder in exotischen Steueroasen wie den Cook-Inseln. Von Deutschen ist bislang relativ wenig die Rede. Neigen sie weniger zur Steuerhinterziehung über Auslandsanlagen?
Unger: Mein Verdacht ist, dass man deutsche Steuerhinterzieher und Steuervermeider einfach eher in Ländern wie der Schweiz oder Liechtenstein findet als auf Inseln in Übersee. Meistens wählt man Ziele, mit denen man eine Verbindung hat. Gerne Nachbarländer mit gleicher Sprache. Und bis vor kurzem galten auch Schwarzanlagen in solchen europäischen Ländern als sicher. Geld kompliziert über Offshore-Länder zu senden, lohnt sich von Deutschland aus nur für Inhaber richtig großer Vermögen, die es sich leisten können, die Dienste internationaler Anlageberater zu nutzen.
Gibt es Schätzungen, wie viel deutsches Geld illegal in Steueroasen liegt?
Unger: Experten gehen davon aus, dass 15 Prozent bis rund ein Drittel des Auslandsvermögens der Deutschen hinterzogen ist. Das entspricht 150 bis 300 Milliarden Euro. Ich halte das für eine realistische Schätzung. Denn verschiedene Studien zeigen, dass die Steuerhinterziehung insgesamt in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen ist.
Sind das alles Privatleute, die ihr Geld am Fiskus vorbei ins Ausland schleusen?
Unger: Nein. Aus den Niederlanden wissen wir, dass Unternehmen bei Steuervermeidung und -hinterziehung über das Ausland eine große Rolle spielen. Das wird in Deutschland nicht anders sein.
Wie lässt sich Steuerhinterziehung über das Ausland verhindern?
Unger: Wir sollten in Europa anfangen. Denn über all den Offshore-Enthüllungen sollte man nicht vergessen: Wir hatten mitten in der EU bisher immer genügend Steueroasen, die für den Normalhinterzieher attraktiv waren. Es wäre viel gewonnen, wenn sich die EU-Staaten konsequent auf das Prinzip der Wohnsitzbesteuerung einigen könnten: Da wo der Mensch wohnt, wird er besteuert. Damit sinken die Möglichkeiten, Geld ins Ausland zu schleusen, weil es dort wieder nach dem Wohnsitzprinzip besteuert werden würde. Denn die ausländische Bank müsste den Steuerbehörden am Heimatort automatisch melden, dass es ein Konto gibt und wie viel Geld darauf liegt. Diese Transparenz brauchen wir. Das halte ich für effektiver als neue Verfolgungsbehörden aufzubauen, also etwa ein deutsches „Steuer-FBI“.
Warum gilt das Wohnortprinzip nicht schon längst?
Unger: Die EU-Kommission hat sich jahrzehntelang darum bemüht. Aber es gab immer Länder, die ihr strenges Bankgeheimnis verteidigt haben. Luxemburg wollte nicht mitmachen, Österreich wollte nicht mitmachen, die Niederlande hatten Bedenken, Irland sowieso.
Die Industrieländer-Organisation OECD hat sich den Kampf gegen Steuervermeidung und -hinterziehung auf die Fahne geschrieben. Schwarze Listen sollen Steueroasen austrocknen. Nützt das etwas?
Unger: Es gab mal eine wirklich aussagekräftige Liste. Die hat der Internationale Währungsfonds 1999 als Working Paper vorgelegt. Darin standen auch die Niederlande oder Zypern. Die erste OECD-Liste stammt aus dem Jahr 2000. Auf der standen auf einmal nur noch die kleinen Inseln. Die großen Länder mit viel diplomatischem Einfluss waren plötzlich verschwunden. Ich bin skeptisch, dass sich daran etwas ändern wird. Natürlich ist es wichtig, auch den kleinen Offshore-Zielen Druck zu machen. Aber ich traue der OECD nicht zu, das Thema neutral anzugehen. Das ist ein Problem.
Werden die Enthüllungen von „Offshore Leaks“ dann nur einen Sturm im Wasserglas erzeugen?
Unger: Nein, ich bin optimistisch, dass sich diesmal etwas ändern wird. Ich halte „Offshore Leaks“ für eine gute Form von zivilem Protest. Offensichtlich gibt es sogar Insider des Systems, die bei diesen Unehrlichkeiten nicht mehr mitmachen wollen. Und sie finden Wege, das weltweit an die Öffentlichkeit zu bringen. Das ist ein ganz wichtiges Signal: Es kann jeden treffen – jeden Hinterzieher und jede Steueroase. Das zwingt die Politik, ernsthaft solidere Steuergesetze anzustreben. Dass sich jetzt neun EU-Staaten dafür einsetzen, Kontodaten automatisch auszutauschen und sogar Luxemburg und Österreich über Lockerungen beim Bankgeheimnis nachdenken, ist ein guter Anfang. Da muss man ansetzen und den Druck aufrechterhalten.
Brigitte Unger ist Wissenschaftliche Direktorin des WSI und Wirtschafts-Professorin an der Universität Utrecht. Sie erforscht unter anderem internationale verdeckte Finanzströme und Geldwäsche. Zu diesen Themen berät sie die niederländische Regierung und die EU.