Quelle: HBS
Böckler ImpulsFinanzpolitik: Wie man Länder kaputtspart
Konjunktur- oder Sparprogramme wirken nicht nur kurzfristig. Sie beeinflussen ebenso das langfristige Wachstumspotenzial.
Hätte Deutschland die Finanzkrise ohne Konjunkturpakete genauso gut gemeistert? Wäre die Arbeitslosigkeit in Griechenland nicht auch ohne Sparprogramme in die Höhe geschossen? Das ist nicht leicht zu beantworten. Schließlich lässt sich kaum experimentell überprüfen, wie eine andere Politik gewirkt hätte. Dennoch haben Wirtschaftsforscher Ansatzpunkte gefunden, um Antworten auf solche Fragen zu geben. Einer davon ist ein Vergleich von Konjunkturprognosen mit der tatsächlichen späteren Entwicklung. Dahinter steht folgende Überlegung: In jeder Konjunkturprognose stecken auch Annahmen über die Wirkung der herrschenden Wirtschaftspolitik. Wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass zwischen den wirtschaftspolitischen Annahmen – etwa: Sparhaushalte schaden dem Wachstum nicht – und den Prognosefehlern ein systematischer Zusammenhang besteht, spricht alles dafür, dass die Annahmen falsch waren.
Ein Beispiel sind die Wachstumsprognosen der EU-Kommission für Griechenland. Nach der Finanzkrise waren sie stets zu optimistisch und sahen die griechische Wachstumsrate schon nach kurzer Zeit wieder im positiven Bereich. Statistischen Analysen der IMK-Ökonomen Gustav Horn, Sebastian Gechert und Christoph Paetz zufolge kann das kaum Zufall sein. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich in den falschen Prognosen falsche Annahmen über die Auswirkungen der Sparpolitik spiegeln. Und die Differenz zwischen Prognose und realer Entwicklung lässt Rückschlüsse auf die wahren Effekte der Finanzpolitik, die sogenannten Fiskalmultiplikatoren, zu.
Die IMK-Ökonomen haben nicht nur den Fall Griechenland untersucht, sondern 22 europäische Volkswirtschaften einbezogen. Als Datenbasis dienen die Konjunkturprognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Jahre 2010 und 2011 und die jeweilige reale Wirtschaftsentwicklung. Ergebnis: Die IWF-Prognostiker hatten eine Multiplikatorwirkung von 0,5 angenommen; demnach würde jeder vom Staat ausgegebene Euro das Bruttoinlandsprodukt um 50 Cent erhöhen. Tatsächlich lag der Wert aber deutlich höher, nämlich bei 1,8. Ein zusätzlicher Euro entsprach einem Anstieg der Wirtschaftsleistung um 1,80 Euro. Umgekehrt: Jeder vom Staat eingesparte Euro ließ das Bruttoinlandsprodukt um 1,80 Euro sinken. Es fand „eine systematische und deutliche Unterschätzung der Multiplikatorwirkung von Fiskalpolitik statt“, schreiben die Forscher.
Die Fehleinschätzungen verursachen nicht nur unzutreffende kurzfristige Konjunkturprognosen. Sie führen den Untersuchungen der Wissenschaftler zufolge auch zu falschen Vorstellungen über die potenzielle Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Das Wachstumspotenzial, das angibt, was bei voller Auslastung der Kapazitäten produziert werden kann, wird im selben Maße unterschätzt wie der Fiskalmultiplikator. Die Folge sind falsche Politikempfehlungen.
Es werde, so die Forscher, übersehen, dass staatliche Ausgaben zur Konjunkturstabilisierung durchaus langfristige Wirkungen entfalten, indem sie zu einem „verbesserten Potenzialpfad beitragen“. In welcher Größenordnung solche Effekte liegen, haben Horn, Gechert und Paetz am Beispiel Deutschland nachgerechnet. Sie kommen zu dem Schluss, „dass die während der Finanzkrise beschlossenen Konjunkturpakete nicht nur unmittelbar einen wesentlichen Beitrag geleistet haben, die Krise zu überwinden. Vielmehr haben sie auch das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft signifikant erhöht“ – um etwa drei Prozent. Das stelle „die übliche Trennung zwischen einer nur kurzfristigen und einer langfristigen Wachstumspolitik“ infrage.
Insgesamt habe sich gezeigt, dass die Fiskalpolitik „wesentlich wirksamer ist als vor den Krisen angenommen“. In Krisenzeiten auf zusätzliche Staatsausgaben zu verzichten, sei „weder sinnvoll noch durchzuhalten“. Entscheidend sei dabei allerdings das richtige Timing. Denn die Fiskalmultiplikatoren seien nicht unveränderlich. Besonders große Werte nehmen sie in unterausgelasteten Volkswirtschaften an.