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Wer will den Zehn-Stunden-Tag? Böckler Impuls

Arbeitszeit: Wer will den Zehn-Stunden-Tag?

Ausgabe 08/2024

Die Union will die tägliche Obergrenze für die Arbeitszeit abschaffen. Tatsächlich wäre eine solche Deregulierung weder im Interesse der Beschäftigten noch der Gesellschaft insgesamt.

Die Unionsfraktion im Bundestag hat die Regierung aufgefordert, das Arbeitszeitgesetz zu reformieren. Kernpunkt: Die Grenze für die tägliche Höchstarbeitszeit von – in der Regel – acht Stunden soll fallen und stattdessen nur noch ein wöchentliches Limit von maximal 48 Stunden gelten, wie sie in der EU-Arbeitszeitrichtlinie festgelegt ist. Das soll für mehr Zeitflexibilität sorgen und ist aus Sicht der Union nicht nur im Interesse von Arbeitgebern, sondern auch von Beschäftigten. Amélie Sutterer-Kipping vom HSI hat als Sachverständige eine Stellungnahme für den zuständigen Bundestagsausschuss verfasst. Ihr Fazit: Die bestehenden Spielräume „sind ausreichend, um weitgehende und nötige Flexibilität für beide Seiten des Arbeitsverhältnisses zu gewährleisten“. Weiter verweist die Juristin darauf, dass eine weitere Entgrenzung von Arbeitszeiten Risiken für Gesundheit, Vereinbarkeit und Gleichstellung im Berufsleben bringt. Arbeitswissenschaftlich gesichert ist: Lange Arbeitstage wirken sich negativ auf die Gesundheit aus, nach der achten Stunde steigt das Risiko für Arbeitsunfälle steil an. Und die wenigsten Vollzeitbeschäftigten wünschen sich einen späteren Feierabend. Die Fakten: 

  • Nach der Arbeitszeitbefragung 2021 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin arbeiten abhängig Beschäftigte in Vollzeit in Deutschland durchschnittlich 43 Stunden pro Woche und damit durchschnittlich 4,3 Stunden mehr als vertraglich vereinbart, machen also Überstunden.
  • Arbeitswissenschaftliche und arbeitsmedizinische Erkenntnisse belegen Sutterer-Kipping zufolge, dass Arbeitszeiten von mehr als zehn Stunden täglich oder mehr als 40 bis 48 Stunden pro Woche mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen einhergehen. Hierzu gehören psychosomatische Beschwerden, Herz- und Kreislauferkrankungen, Magen-Darm-Beschwerden oder Schlafstörungen. Zudem erhöht sich durch Übermüdung infolge überlanger Arbeitszeiten das Risiko von Arbeitsunfällen. So steigt die Unfallhäufigkeit nach der achten Arbeitsstunde exponentiell an, sodass Arbeitszeiten über zehn Stunden täglich „als hochriskant eingestuft werden müssen“.
  • 97 Prozent der Beschäftigten möchten nicht länger als bis 18 Uhr arbeiten – auch und gerade, um Arbeit und Familienleben unter einen Hut zu bekommen, ergab eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung von 2023. 


 

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Betreuungskonflikte würden durch entgrenzte Arbeitszeiten nicht gelöst, sondern verschärft. Ein solches Modell begünstige tradierte Rollenverteilungen und stehe der Gleichstellung von Mann und Frau entgegen, warnt die Juristin. Nicht zuletzt werde es für Frauen, die Teilzeit arbeiten, schwerer, ihre Arbeitszeit auszuweiten. Dabei wäre das ein wichtiger Faktor, um das Arbeitskräftepotenzial zu vergrößern.

Die Abschaffung der werktäglichen Höchstarbeitszeit ist für Sutterer-Kipping „die falsche Stellschraube zur Lösung des Problems von gleichberechtigter Sorgearbeit“. Viel dringlicher sei es, Arbeitnehmerinnen aus der Teilzeitfalle zu helfen. Das könne etwa durch eine Ausweitung der Regelungen zur Brückenteilzeit auf kleinere Betriebe geschehen. Zudem sollte die Brückenteilzeit flexiblere Anpassungen der Arbeitszeit an die aktuellen Bedürfnisse erlauben. Gleichzeitig gelte es, die institutionelle Kinderbetreuung weiter auszubauen.

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