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Wer den Zugang zum Arbeitsmarkt kontrolliert Böckler Impuls

Beschäftigungsindustrie: Wer den Zugang zum Arbeitsmarkt kontrolliert

Ausgabe 14/2023

Leiharbeitsfirmen und Karrierenetzwerke könnten die Arbeitswelt in den kommenden Jahren immer stärker prägen. Dies stellt Beschäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaften, aber auch Arbeitgeber vor neue Herausforderungen.

Das Angebot an digitalen Dienstleistungen zur Arbeitsvermittlung nimmt stetig zu. Die Folgen: Leiharbeitsunternehmen und Karrierenetzwerke gewinnen an Einfluss. Sie kontrollieren mehr und mehr, wer Zugang zum Arbeitsmarkt erhält. Das könnte zu instabileren Beschäftigungsverhältnissen führen und zu weniger Transparenz, beispielsweise bei Stellenbesetzungen und Qualifizierungen. Das zeigt Hans Pongratz in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie. Der Arbeitssoziologe von der Universität München entwickelt drei Szenarien, wie sich der Bereich der Personaldienstleistungen in Zukunft entwickeln könnte und welche Folgen dies jeweils für Beschäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaften hätte.

Die Bedeutung von Personaldienstleistungen hat in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen. Bereits Ende des letzten Jahrhunderts etablierten sich Leiharbeitsfirmen und Personalberatungen. Seit Anfang der 2000er-Jahre haben Internetplattformen und Rekrutierungssoftware das Feld erweitert. Stellenanzeigen werden inzwischen vor allem über Online-Jobbörsen verbreitet. Karrierenetzwerke wie LinkedIn und Xing werden für die Suche nach Fachkräften genutzt. Neu hinzu kommen digitale Technologien wie Chatbots und Online-Persönlichkeitstests sowie automatisierte Bewerbungsverfahren. Bewerbungen mit wenigen Klicks per Smartphone sind bereits möglich. Wie sich diese Entwicklung bis in die 2040er-Jahre fortsetzen könnte, beschreibt der Forscher anhand von drei möglichen Szenarien, die sich aus „der Verknüpfung von vergangenen Erfahrungen mit aktuellen Wahrnehmungen und künftigen Erwartungen“ ergeben.

Karrierenetzwerke beherrschen die Personalauswahl 

Im ersten Szenario hat sich LinkedIn als zentraler Akteur in einer „Beschäftigungsindustrie“ etabliert. Das Unternehmen bietet Dienstleistungen für die Personalsuche und Weiterbildungsmöglichkeiten an. Die von ihm gesammelten Daten fließen in Bewerbermanagementsysteme und Rekrutierungstools ein, die immer häufiger von Personalabteilungen genutzt werden. Auch Behörden und Verbände greifen zunehmend darauf zurück. Gleichzeitig teilen Beschäftigte Stellenangebote über LinkedIn und nehmen potenzielle Bewerberinnen und Bewerber in ihr berufliches Netzwerk auf. Es findet eine Verschiebung in der Personalauswahl statt: Statt durch die Unternehmensleitung werden neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zunehmend durch Teammitglieder ausgewählt. Der Zugang zu vielversprechenden Stellen hängt in hohem Maße auch von der Inszenierung der persönlichen Leistungsbereitschaft im Karrierenetzwerk ab. Dies gilt allerdings vor allem für Personen mit mittleren und höheren Qualifikationen. Einfache Produktions- und Dienstleistungstätigkeiten werden weiterhin über andere Plattformen oder Agenturen vermittelt. Es entsteht ein zweigeteilter Arbeitsmarkt.
 

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Leiharbeitsfirmen verändern den Arbeitsmarkt 

Im zweiten Szenario haben sich Leiharbeitsfirmen zu sogenannten Employment Agencies entwickelt. Sie bieten nach wie vor Arbeitnehmerüberlassung an, vermitteln aber hauptsächlich befristete Arbeitsverhältnisse als Freiberufler oder in anderen Vertragsformen. Diese Agenturen bewerten die Leistung und überprüfen die Entwicklung der Beschäftigten. Sie haben die gesamte berufliche Entwicklung im Blick und gleichen die Leistungen mit den aktuellen Bedürfnissen der Kundschaft ab. Die Unternehmen verlassen sich immer mehr auf die Agenturen, anstatt selbst nach geeigneten Leuten zu suchen. Nur wer der Employment Agency die erforderlichen Fortschritte nachweisen kann, erhält die Chance auf eine Festanstellung. In diesem Szenario ist der Arbeitsmarkt durch hohe Flexibilität gekennzeichnet, aber auch durch sehr große Unterschiede bei den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen.

Fragmentierte Beschäftigungsindustrie

Im dritten Szenario bleibt der Markt für Personaldienstleistungen weiterhin fragmentiert. Unterschiedliche Akteure dominieren spezifische Arbeitsmarktsegmente, beispielsweise für Jobs im IT-Bereich. Trotz der Segmentierung ist die Nachfrage nach Vermittlungsdienstleistungen hoch – sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Erwerbspersonen. Allerdings werden auch die Nachteile deutlich: Die intensiven Vermittlungsaktivitäten der Dienstleister helfen zwar bei der Personalsuche, erhöhen aber gleichzeitig die Mobilität der Beschäftigten. Abwerbung und Abwanderung nehmen zu. Vor diesem Hintergrund sind die Arbeitgeber bereit, verschiedene von den Gewerkschaften initiierte Regulierungsmaßnahmen mitzutragen, die für mehr Stabilität sorgen. Der Arbeitsmarktpolitik wird wieder deutlich mehr Bedeutung beigemessen.

Herausforderung für die Mitbestimmung

Auf den ersten Blick scheinen die neuen Möglichkeiten Vorteile zu bieten. Arbeitsuchende finden schneller den richtigen Job, Arbeitgeber die passenden Kandidaten und Kandidatinnen für offene Stellen. Aber: Dadurch, dass Bewerbungsprozesse über externe Dienstleister ablaufen und diese mehr und mehr personenbezogene Daten sammeln, kontrollieren sie indirekt auch, wer Zugang zum Arbeitsmarkt erhält. Das wirkt sich auch auf die Beschäftigten in den Betrieben und ihre Vertreterinnen und Vertreter aus: „Wie bei anderen Outsourcing-Prozessen verliert auch hier die Interessenvertretung indirekt an Einfluss, sobald Teile des Verfahrens der betrieblichen Kontrolle entzogen werden“, schreibt Pongratz. Dieser Effekt verstärke sich, wenn Qualifizierungsprozesse zunehmend von Plattformen gestaltet werden, wie es aktuell bei Online-Lernangeboten zu beobachten ist. Mit der Zertifizierung von Weiterbildungsangeboten könnten die Dienstleister ihren Einfluss auf einen Kernbereich kollektiver Interessenvertretung ausweiten. 

Das deutsche Betriebsverfassungsgesetz sieht weitgehende Mitbestimmungsrechte bei der Einstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor und verlangt insbesondere vom Arbeitgeber, den Betriebsrat zu informieren und seine Zustimmung einzuholen. Im Fokus der Interessenvertretung steht dabei primär der Schutz der Belegschaft, etwa wenn es um den Einsatz von Leiharbeit oder freiberuflich Tätigen geht, aber selten das konkrete Verfahren der Personalauswahl. „Die Expansion der Beschäftigungsindustrie erfordert es nunmehr, das Einstellungsgeschehen in seiner ganzen Breite in den Blick zu nehmen und den Anspruch der Mitgestaltung auf die Beteiligung privatwirtschaftlicher Personaldienstleister und auf den Einsatz von automatisierten Auswahlverfahren auszudehnen“, so der Forscher.

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