Quelle: HBS
Böckler ImpulsSozialstaat: „Wer arbeitet, hat immer mehr Geld“
Zu hohe Bezüge, zu wenige Sanktionen? WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch über die populistische Debatte rund um das Bürgergeld und die jüngsten Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil.
Nach monatelanger Kritik am Bürgergeld hat der Bundesarbeitsminister angekündigt, Sanktionen für „Arbeitsverweigerer“ zu verschärfen und ihnen die Zahlungen zu streichen. Zu Recht?
Bettina Kohlrausch: Das Bürgergeld war ein Schritt in die richtige Richtung. Umso bedauerlicher, dass nun Sanktionen wieder verschärft und Zuschüsse für Weiterbildung abgeschafft werden sollen. Arbeitsminister Heil reagiert auf politischen Druck: In konservativen und rechtspopulistischen Medien und Parteien wurde zuletzt immer wieder behauptet, arbeitsfähige Menschen würden durch das Bürgergeld alimentiert, während überall im Land Arbeitskräfte gebraucht würden. Diese Erzählung zu verbreiten ist natürlich einfacher, als passende Antworten auf die Herausforderungen zu finden, vor denen wir stehen, sei es der sozial-ökologische Wandel oder der Fachkräftemangel.
Der angekündigte Gesetzentwurf hat das Ziel, Personen, die „zumutbare“ Arbeit verweigern, bis zu zwei Monate lang das Bürgergeld zu streichen. Aber bringen Sanktionen wirklich mehr Menschen in Arbeit?
Es ist umstritten, ob Sanktionen den Effekt haben, mehr Menschen zu einer Aufnahme von Erwerbsarbeit zu bewegen. Eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt zu dem Ergebnis, dass das Sanktionsmoratorium im Bürgergeld einen geringen signifikanten Effekt auf die Jobaufnahme aus der Grundsicherung hat. Das bedeutet: Sanktionen können einen kleinen, aber messbaren Effekt haben. Dabei wird allerdings nicht untersucht, wie nachhaltig die Arbeitsmarktintegration ist. Dies ist allerdings wichtig, weil wir gerade in Zeiten des Fachkräftemangels Qualifikationen durch nachhaltige Arbeitsmarktintegration sichern und aufbauen müssen.
Das Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung kam hingegen auf Grundlage einer vergleichenden Analyse einer Gruppe mit und einer ohne Sanktion zu einem anderen Ergebnis: Sanktionen haben demnach zwar eine Wirkung, aber nicht die behauptete Wirkung, Menschen besser in Arbeit zu bringen. Die Autorinnen und Autoren der Studie schreiben, dass Sanktionen vor allem einschüchternd und stigmatisierend wirken. Die Menschen fühlen sich kontrolliert und bestraft. Schon die Androhung von Sanktionen verstärkt bei den Betroffenen das Gefühl von Ausweglosigkeit und Isolation.
Gibt es denn nicht tatsächlich Missbrauch des Bürgergeldes?
Natürlich gibt es Missbrauch. Allerdings vor allem, weil nebenbei schwarzgearbeitet wird. Hier würden eher sinnvolle Kontrollen helfen als Sanktionen.
Wie steht es um den oft vorgebrachten Vorwurf, das Bürgergeld sei nun zu hoch, Arbeit würde sich nicht mehr lohnen?
Eine WSI-Analyse zeigt: Menschen, die arbeiten, haben immer mehr Geld als Arbeitslose. Geringverdiener nehmen allerdings oft die ihnen zustehenden Zuschüsse nicht in Anspruch, weil sie davon nicht wissen oder das System zu kompliziert ist.
Zudem gibt es Konstellationen, die jedoch häufig eher konstruiert sind und in der Realität selten vorkommen, in denen der Abstand zwischen Lohn und Bürgergeld nicht mehr sehr groß ist. Hier gilt es zu beachten, dass die Höhe des Bürgergeldes durch die Höhe des sozio-kulturellen Existenzminimums definiert ist. Es ist also das, was Menschen brauchen, um an dieser Gesellschaft minimal teilhaben zu können. Diese Grenze ist ohnehin knapp bemessen. So wird den Menschen zum Beispiel kein Budget für Haustiere oder Zimmerpflanzen zugestanden.
Wenn der Lohn nur knapp über dieser Grenze liegt, ist er definitiv zu niedrig. Daher kritisiere ich auch die viel zu geringe Anhebung des Mindestlohns auf 12,41 Euro dieses Jahr. Um angemessene Löhne sicherzustellen, braucht es aber vor allem eine höhere Tarifbindung.
Zudem ist für viele Menschen entscheidend, dass der Arbeitsplatz ein Ort ist, an dem sie soziale Anerkennung erfahren, sich mit Kolleginnen und Kollegen austauschen und das Gefühl haben, etwas Sinnvolles zu tun. Es gibt ja eine sehr hohe Erwerbsorientierung in der Bevölkerung. Insofern ist die Debatte für mich nicht nachvollziehbar, weil wir empirisch sehen, dass die Menschen einen großen Wunsch haben, erwerbstätig zu sein.
Wie könnte die Regierung Menschen bei diesem Wunsch helfen?
Wir haben Fachkräftemangel und viele offene Stellen. Langzeitarbeitslose sind ganz überwiegend Menschen ohne berufsqualifizierenden Abschluss. Es muss also darum gehen, die Leute so zu qualifizieren, dass sie eine Arbeit ausüben können, die gesellschaftlich gebraucht wird. Und sie dahingehend dann auch zu unterstützen. In dieser Sache ist sich die Forschung tatsächlich einig: Langzeitarbeitslose brauchen vor allem Qualifizierung und Eingliederungshilfen. Ausgerechnet daran wird aber derzeit gekürzt.
Bettina Kohlrausch ist Wissenschaftliche Direktorin des WSI und Professorin für gesellschaftliche Transformation und Digitalisierung an der Universität Paderborn
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