Quelle: HBS
Böckler ImpulsAusbildung: Wenn der Betrieb nicht ausbildungsreif ist
Wenn Ausbildungsverträge vorzeitig enden, liegt das in der Regel nicht nur an den Azubis. Auch die betrieblichen und beruflichen Rahmenbedingungen spielen eine wichtige Rolle.
Nicht alles läuft reibungslos im dualen Ausbildungssystem: Nach wie vor finden viele Jugendliche keine Lehrstelle. Andere können zwar einen Platz ergattern, aber der Vertrag wird vor dem Ende der Ausbildung wieder aufgelöst. Das galt 2012 für 24,4 Prozent aller begonnenen Ausbildungsverträge, schreiben Daniela Rohrbach-Schmidt und Alexandra Uhly. Die Wissenschaftlerinnen vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) haben die Ursachen untersucht und festgestellt, dass unabhängig von persönlichen Merkmalen der Lehrlinge das betriebliche Umfeld, der gewählte Beruf und die Situation am Ausbildungsmarkt entscheidend sind.
In der Öffentlichkeit und der wissenschaftlichen Literatur seien Stimmen vorherrschend, die das Problem in erster Linie bei den Azubis verorten. Die BIBB-Forscherinnen halten das für eine „verengte Sicht, die dem komplexen Phänomen nicht gerecht wird“. Frage man die betroffenen Parteien nach den Gründen für Vertragsauflösungen, kämen je nach Gesprächspartner unterschiedliche Antworten. Während Unternehmen falsche Berufsvorstellungen, mangelnde Eignung, unzureichende Leistung und fehlende Motivation beklagen, nennen ehemalige Azubis vor allem Konflikte mit Vorgesetzten, die Qualität der Ausbildung, unbezahlte Überstunden oder die Arbeitsbelastung.
Um zur Klärung dieser Frage beizutragen, haben Rohrbach-Schmidt und Uhly die Berufsbildungsstatistik ausgewertet und zusätzlich Daten des BIBB und der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Ausbildungsmarktlage und zum betrieblichen Kontext berücksichtigt. Dabei konnten sie auf Informationen zu über 330.000 Ausbildungsanfängern in 51 Berufen zurückgreifen.
Nach den Berechnungen der Sozialwissenschaftlerinnen ist das Vertragslösungsrisiko zwar tatsächlich höher, je geringer der Schulabschluss ist. Jedoch könne dies nicht ausschließlich als Effekt einer ungenügenden Berufswahl, einer mangelnden Leistungsfähigkeit oder als Scheitern an den Ausbildungsanforderungen interpretiert werden. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die schulische Qualifikation auch die Zugangschancen zum Wunschberuf beeinflusst. Zudem ist ein Zusammenhang mit dem Ausbildungsberuf auch dann nachweisbar, wenn persönliche Merkmale der Azubis herausgerechnet werden. Das heißt: Wenn in manchen Berufen extrem viele Verträge vorzeitig gelöst werden, liegt das nicht nur daran, dass dort besonders viele Jugendliche mit geringer Schulbildung landen. Auch der Einfluss der regionalen Ausbildungsmarktlage belege, dass vorzeitig beendete Verträge keinesfalls immer mit dem Scheitern an Anforderungen gleichzusetzen sind: Sie kommen häufiger vor, wenn die Situation gut ist. Das zeige, dass Azubis auch kündigen, um einen für sie passenderen Ausbildungsplatz zu bekommen.
Eine wichtige Rolle spielt laut der Analyse die Attraktivität des Ausbildungsberufs: Je größer der Anteil der unbesetzten Lehrstellen ist, desto häufiger enden die Ausbildungen vorzeitig. Darüber hinaus hat das betriebliche Ausbildungsmodell signifikanten Einfluss. Wenn ein „investives“ Modell vorherrscht, die Nettokosten der Lehre also vergleichsweise hoch sind, ist das Risiko eher gering. Die Erklärung: Solche Betriebe bemühen sich, ihre Azubis langfristig zu binden, damit sich ihre Investitionen lohnen. Firmen, die das „Produktionsmodell“ praktizieren und ihre Lehrlinge vor allem als billige Arbeitskräfte betrachten, müssen dagegen mit mehr Vertragsauflösungen rechnen.
Zwischen der Betriebsgröße und dem Anteil der vorzeitigen Vertragslösungen besteht der Studie zufolge ein negativer Zusammenhang. Rohrbach-Schmidt und Uhly führen das darauf zurück, dass die Ausbildung in Kleinbetrieben oft eher „en passant“ abläuft, stark an betriebsspezifischen Bedürfnissen ausgerichtet und weniger professionalisiert ist. Zudem sei der Umgang mit Konflikten schwieriger, wenn ein Wechsel der Bezugsperson oder ein Erfahrungsaustausch mit anderen kaum möglich ist. Hilfreich sei bei Konflikten dagegen eine kollektive Interessenvertretung, was sich ebenfalls in den Ergebnissen spiegele: In Betrieben mit Betriebs- oder Personalrat ist das Vertragsauflösungsrisiko geringer.
Das Fazit der Forscherinnen: Um dem Problem beizukommen, reiche es nicht aus, bei den Jugendlichen anzusetzen. Vielmehr gelte es, das betriebliche Umfeld stärker in den Blick zu nehmen. Instrumente wie die „Assistierte Ausbildung“ der BA, in deren Rahmen Ausbildungsbetriebe organisatorisch und administrativ unterstützt werden, gingen insofern in die richtige Richtung.
Daniela Rohrbach-Schmidt, Alexandra Uhly: Determinanten vorzeitiger Lösungen von Ausbildungsverträgen und berufliche Segmentierung im dualen System, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1/2015