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Weniger Überschüsse, mehr Wohlstand Böckler Impuls

Leistungsbilanz: Weniger Überschüsse, mehr Wohlstand

Ausgabe 02/2021

Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss dürfte auch in Zukunft internationale Kritik auf sich ziehen. Abbauen ließe er sich unter anderem durch eine Stärkung des Tarifsystems.

Vieles, was das deutsch-amerikanische Verhältnis in den vergangenen Jahren belastet hat, ist mit der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Geschichte. Bleiben dürfte jedoch die Kritik am hohen deutschen Leistungsbilanzüberschuss, erwarten Jan Behringer vom IMK und die Wirtschaftsprofessoren Till van Treeck und Achim Truger. Und sie halten die Einwände für berechtigt. Denn Deutschland könnte anderen Ländern wie den USA helfen, ihre Exporte und Beschäftigung zu steigern sowie ihre Auslandsverschuldung abzubauen, wenn es mehr gegen die Überschüsse unternehmen würde. Auch die große Mehrheit der Deutschen würde von einer Politik für eine bessere Balance im Welthandel profitieren – in Form von höheren Einkommen und besserer öffentlicher Infrastruktur.

Woher kommen Deutschlands große Überschüsse im Außenhandel? Darum ranken sich den Ökonomen zufolge mehrere Mythen. Eine Variante: Massiv mehr zu exportieren als zu importieren, gehöre nun einmal zum deutschen Wirtschaftsmodell, dies sei schon immer so gewesen. Tatsächlich sind extrem hohe Überschüsse von sechs bis neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts jedoch ein Phänomen der vergangenen zehn Jahre, so Behringer, van Treeck und Truger. In den Jahrzehnten zuvor gab es nur selten einmal einen Überschuss von über vier Prozent. Auch den gängigen demografischen Erklärungsansatz ziehen die Wirtschaftsexperten in Zweifel: Danach würden die deutschen Exporterlöse zu einem wesentlichen Teil zwecks Altersvorsorge gespart statt für Importe ausgegeben, was die Diskrepanz zwischen Ein- und Ausfuhren erkläre. Nach Schätzungen des IWF geht bestenfalls ein Prozentpunkt des deutschen Überschusses auf einen solchen Effekt zurück. Auch die Argumentation, dass der Überschuss eben einfach aus der deutschen Exportstärke resultiere, halten die Wissenschaftler nicht für überzeugend. Denn die Daten zeigen etwas anderes: In den Jahren, in denen der Leistungsbilanzüberschuss auf sein heutiges Niveau stieg, explodierten nicht die Exporte. Vielmehr blieben in den 2000er-Jahren die Importe zurück. Eine Folge der seinerzeit stagnierenden Binnennachfrage – die wiederum auf eine Umverteilung von Einkommen zu Lasten der privaten Haushalte zurückgeht. 

Seit Mitte der 1990er-Jahre ging der Anteil der Haushalte am gesamtwirtschaftlichen Einkommen um acht Prozentpunkte zurück. Dagegen gewannen Unternehmen hinzu, die von Lohnzurückhaltung und dem wachsenden Niedriglohnsektor profitierten. Später gingen steigende Anteile des Einkommens an den Staat, der gemäß dem Dogma der „schwarzen Null“ Haushaltsüberschüsse bildete. Dies alles führte letztlich zu einer Konstellation, in der alle drei Sektoren der Volkswirtschaft – Haushalte, Unternehmen, Staat – weniger ausgaben, als sie einnahmen. Die Überschüsse wurden im Ausland angelegt, anstatt sie für den Kauf von Gütern oder Dienstleistungen zu nutzen. Im Übrigen ein schlechtes Geschäft, konstatieren die Forscher: Die Anlagen schnitten im Durchschnitt mit einer „enttäuschend geringen“ Rendite ab. 

Aber wie lässt sich das Dilemma auflösen? Die Antwort der Wissenschaftler: „Um den deutschen Überschuss abzubauen, muss die Importlücke reduziert, müssen also heimische Nachfrage und heimische Produktion von Gütern und Dienstleistungen wieder in Einklang gebracht werden.“ Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung würde davon stärker profitieren als von unsicheren und renditeschwachen Finanzanlagen im Ausland. Eine Schlüsselrolle spiele hierbei eine Stärkung der öffentlichen Investitionen. Zudem sehen Behringer, van Treeck und Truger großen Spielraum, die Einkommen der privaten Haushalte und damit die Binnennachfrage zu stärken. Dies könne unter anderem erreicht werden durch höhere Mindestlöhne, die Stärkung des Flächentarifvertragssystems, kürzere Arbeitszeiten mit teilweisem Lohnausgleich sowie eine bessere Bezahlung und Personalausstattung im öffentlichen Sektor. Außerdem sollte die Ungleichheit der Einkommen durch „progressive Reformen des Steuer- und Transfersystems korrigiert werden“. So könnten die in den frühen 2000er-Jahren entstandenen abnorm hohen Leistungsbilanzüberschüsse möglicherweise genauso schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind.

Jan Behringer, Till van Treeck, Achim Truger: How to reduce Germany’s current account surplus?, Working Paper des Forum New Economy Nr. 8, Dezember 2020

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