Quelle: HBS
Böckler ImpulsEurokrise: Weniger sparen, mehr investieren
Die Reformen im Euroraum konzentrieren sich zu einseitig auf das Sparen. Um die Währungsunion wirklich krisenfest zu machen, muss mehr für Wachstum und Beschäftigung getan werden. Dabei kommt es entscheidend auf Deutschland an.
Die Eurozone steckt seit fast einem halben Jahrzehnt in der Krise. Zwar droht nicht mehr unmittelbar der Zusammenbruch. Dennoch sind die Probleme nach wie vor unübersehbar. Die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern ist hoch, das Wachstum schwach. Was also bleibt noch zu tun? Was muss passieren, damit die Währungsunion endlich aus der Krise kommt? Der Euroraum braucht einen Politikwechsel, urteilt Sebastian Dullien, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Ausreichendes Wachstum müsse als absolut notwendige Voraussetzung für eine Sanierung der öffentlichen Finanzen in den Krisenländern begriffen werden.
Dabei sieht der Ökonom vor allem Deutschland in der Pflicht. Ein Land wie die Bundesrepublik, deren Leistungsbilanzüberschuss im Jahr 2014 einen neuen Rekordwert erreicht hat, könne sich höhere Löhne für Beschäftigte und mehr öffentliche Investitionen leisten. Das wiederum dürfte die Nachfrage im gesamten Euroraum beleben. Außerdem seien Transferzahlungen zwischen wirtschaftlich stärkeren und schwächeren Ländern notwendig, meint Dullien.
Die Ursachen der Krise
Nach Ansicht des Wissenschaftlers handelt es sich bei der Eurokrise – anders als häufig dargestellt – nicht um eine reine Staatsschuldenkrise, sondern um ein Zusammenspiel einer ganzen Reihe von Krisen. Er unterscheidet sieben Ursachen:
- Ein ungewöhnlich langer Boom in der Euro-Peripherie, der so erst durch günstige Finanzierungskosten und Kredite möglich wurde, dann aber abrupt ins Gegenteil umschlug.
- Übermäßige Verschuldung und exzessive Defizite in Griechenland und Portugal.
- Probleme im europäischen Bankensektor, ausgelöst durch eine laxe Kreditvergabe und riskante Geschäfte der Banken, die wiederum nicht ausreichend beaufsichtigt wurden.
- Die toxische Verbindung zwischen den Problemen der Banken und der Zahlungsfähigkeit einzelner Staaten.
- Eine sich selbst verstärkende Panik an den Finanzmärkten.
- Das Auseinanderlaufen der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Euroländern.
- Der Verlust an Vertrauen in der Bevölkerung, verstärkt durch den Einbruch der Wirtschaft und hohe Arbeitslosigkeit.
Fortschritte, aber auch neue Probleme
Die Politik habe damit begonnen, sich einiger dieser Ursachen anzunehmen, konstatiert Dullien. Manche Reformen der vergangenen Jahre hätten sogar „enorme Fortschritte“ gebracht. Allerdings seien die Maßnahmen bisher sehr einseitig auf fiskalische Probleme und die Finanzaufsicht fokussiert gewesen. Die makroökonomischen Ungleichgewichte, die ebenfalls eine wichtige Ursache für die Euro-Krise waren, seien dagegen „nur unzureichend angegangen“ worden.
So konnte zunächst die akute Krise entschärft werden durch die Einführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, ausgestattet mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro, sowie durch die Ankündigung der Europäischen Zentralbank, im Notfall so viele Staatsanleihen von Krisenländern wie nötig zu kaufen. An den Finanzmärkten hat sich die Panik dadurch gelegt.
Auch das Problem uneinheitlicher Bankenregulierung in unterschiedlichen Ländern könnte mit der Bankenunion gelöst werden, schreibt der Ökonom. Er sieht hier allerdings noch Nachbesserungsbedarf.
Zudem wurde die Überwachung der nationalen Haushalte verschärft. Die Mitgliedstaaten verpflichteten sich mit dem so genannten Fiskalpakt, ihre Defizite innerhalb kurzer Zeit abzubauen und einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen.
Insbesondere der letzte Punkt schafft nach Ansicht von Dullien neue Probleme: „Negativ ist hier zu verbuchen, dass viele der neuen Instrumente zumindest kurz- und mittelfristig das Wirtschaftswachstum dämpfen dürften, weil sie entweder die Staaten zu mehr wachstumsschädigender Austerität zwingen oder weil sie die Banken zur Zurückhaltung der Kreditvergabe anregen.“
Mehr Investitionen, mehr Wachstum
Der Bevölkerung in den Krisenländern seien durch die „strikte und spürbare“ Sparpolitik bereits große Opfer abverlangt worden. Nun sei es an der Zeit, Maßnahmen für mehr Wachstum und Beschäftigung zu ergreifen. Wenn Überschussländer wie Deutschland ihre öffentlichen Investitionen erhöhten, würde das die Nachfrage ankurbeln und gleichzeitig zu einem Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte beitragen. Man sollte darüber nachdenken, schreibt Dullien, die Fiskalregeln so zu interpretieren, dass eine Ausweitung von schuldenfinanzierten öffentlichen Investitionen in Ländern mit großen Leistungsbilanzüberschüssen möglich gemacht wird. Vereinfacht ausgedrückt: Während manche Länder sparen müssen, sollten andere bereit sein, mehr Geld auszugeben.
Zusätzlich befürwortet der Ökonom ein europäisches Wachstumsprogramm. Entweder durch einen großen, europäischen Investitionsfonds, dem erlaubt wird, eigene Kredite aufzunehmen, für die alle EU-Mitglieder gemeinschaftlich haften, oder über eine Kons-truktion, bei der etwa die Europäische Investitionsbank auf Antrag der Mitgliedsstaaten Infrastrukturprojekte finanziert.
Höhere Löhne in Deutschland
Eine weitere Ursache der Krise ist nach Meinung des Wissenschaftlers bislang kaum angegangen worden: das Problem der unterschiedlichen Lohnentwicklung innerhalb der Währungsunion. Während die Lohnstückkosten in manchen Staaten jahrelang vergleichsweise kräftig stiegen, blieben die Zuwächse in Deutschland deutlich hinter dem Schnitt zurück.
„Eine Korrektur dieses Trends ist dringend notwendig“, schreibt Dullien. Nach seiner Ansicht reicht es nicht aus, dass allein die Länder mit übermäßigen Lohnabschlüssen ihren Kurs korrigieren, genauso müssten Länder wie Deutschland, in denen sich das Lohnwachstum lange Zeit nominal schwach entwickelte, ihre Löhne weiter nach oben anpassen. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass Lohnzuwächse in der Eurozone insgesamt zu niedrig ausfallen und damit deflationäre Tendenzen verschärfen. Positiv sieht der Forscher in diesem Zusammenhang die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland.
Dullien schlägt schließlich auch Transferzahlungen zwischen den Euro-Staaten vor, etwa durch die Einführung einer gemeinsamen Basis-Arbeitslosenversicherung. Hier würden automatische Transfers von boomenden zu schwächelnden Ländern entstehen, weil erstere höhere Beitragszahlungen leisten würden, während letztere höhere Leistungen erhalten würden.
Vertrauen der Menschen zurückgewinnen
Eine ökonomische Stabilisierung des Euroraums ist nach Dulliens Analyse nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil sie die Voraussetzung für politisch stabile Verhältnisse darstelle. In der Vergangenheit hätten die Menschen die europäische Integration als einen Prozess wahrgenommen, der ihren Wohlstand mehrt. Das Vertrauen in die EU sei in vielen Staaten sogar stärker gewesen als in die nationalen Regierungen. Diese Wahrnehmung habe sich jedoch seit der Krise verändert, schreibt der Wissenschaftler.
Der Verlust von Jobs sowie sinkende Einkommen, aber auch der Verzicht auf Souveränität zugunsten der EU hätten zu einem massiven Rückgang des Vertrauens geführt, besonders drastisch in den Krisenstaaten. In Spanien sank der Anteil jener, die Vertrauen in die EU haben, laut Eurobarometer von 66 Prozent im Jahr 2008 auf 16 Prozent 2014. Parallel zur wachsenden Skepsis habe der Stimmenanteil euroskeptischer Parteien bei nationalen Wahlen und im Europaparlament zugenommen. Mit Blick auf die europäische Integration urteilt Dullien: „Schon jetzt ist klar, dass es nicht übermäßig pessimistisch ist, für die Euro-Peripherie von einem ‚verlorenen Jahrzehnt‘ zu sprechen.“
Sebastian Dullien: Die Euro-Zone nach vier Jahren Krisenmanagement und Ad-Hoc-Reformen: Was bleibt zu tun? (pdf), Friedrich-Ebert-Stiftung: WISO Diskurs, Dezember 2014