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Weniger Risiko bei Übernahmen Böckler Impuls

Mitbestimmung: Weniger Risiko bei Übernahmen

Ausgabe 15/2022

Unternehmen mit starker Mitbestimmung sind weniger gefährdet, sich mit Zukäufen zu überheben.

Die wichtigsten börsennotierten deutschen Unternehmen haben zwischen 2006 und 2019 gut 400 Milliarden Euro für Übernahmen ausgegeben. Das entspricht fast einem Viertel ihrer Einnahmen. Der größere Teil der Zukäufe erfolgte im Ausland. Meistens wurden Unternehmen aus der eigenen Branche übernommen. Unternehmen, die über eine starke Mitbestimmung der Beschäftigten verfügen, insbesondere im Aufsichtsrat, gehen bei Zukäufen weniger risikoreich vor als Firmen mit schwacher oder ohne Mitbestimmung. Das ergibt eine Studie von Wirtschaftswissenschaftlern der Universität Duisburg-Essen und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung.

Die Wissenschaftler haben in ihrer vom I.M.U. geförderten Studie rund 170 Unternehmen aus Dax, MDax, SDax und TecDax untersucht, für die von 2006 bis 2019 jährliche Daten zu Beteiligungen oder Übernahmen vorliegen. Nicht im Datensatz enthalten sind Unternehmen der Finanzbranche, weil sich die Forscher für strategische Zukäufe interessieren, nicht für reine Finanzbeteiligungen. 

Zukäufe können für Unternehmen sinnvoll sein, um zum Beispiel Zugang zu bestimmten Technologien zu erhalten oder sich zu diversifizieren. Zugleich besteht aber die Gefahr, dass sie sich damit „überheben“. Einen Hinweis auf mögliche Risiken gibt der sogenannte Goodwill. Der entsteht, wenn bei einer Übernahme oder einem Zusammenschluss ein Kaufpreis gezahlt wird, der über den Buchwert des gekauften Unternehmens hinausgeht. Mit dem Aufschlag zahlt der Käufer für immaterielle Vermögenswerte wie Markennamen, einen attraktiven Kundenstamm oder spezielles Knowhow. Besonders groß kann der Goodwill ausfallen, wenn der Käufer sich von der Übernahme einen außerordentlichen Nutzen für die Zukunft verspricht. Insbesondere bei „Zukunftswerten“ mit hohem Aufschlag besteht aber auch das Risiko, dass sich die Erwartungen nicht erfüllen und sich der Kaufpreis im Nachhinein als zu hoch herausstellt.

Stärkere Mitbestimmung, niedrigere Goodwill-Quote

Je höher der Goodwill im Verhältnis zum Eigenkapital ausfällt, desto höher schätzen die Forscher das Risiko ein. Ihren Berechnungen zufolge sind die untersuchten Unternehmen risikofreudiger geworden: Zwischen 2006 und 2019 ist das Goodwill-zu-Eigenkapital-Verhältnis von durchschnittlich 34 auf 38 Prozent gestiegen. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede, je nachdem, ob Unternehmen mitbestimmt sind oder nicht: Die Quote liegt in stark mitbestimmten Unternehmen um bis zu 23 Prozentpunkte niedriger als in Unternehmen mit schwacher oder ganz ohne Arbeitnehmerbeteiligung. Wie stark die Mitbestimmung ausfällt, haben die Forscher anhand des am WZB entwickelten Mitbestimmungsindex (MB-ix) ermittelt.

Mitbestimmung von Beschäftigten im Aufsichtsrat stellt „aus ökonomischer Perspektive einen wesentlichen Stabilisierungsfaktor für Unternehmen“ dar, konstatieren die Wissenschaftler. „Unsere Studie zeigt, dass dort, wo die Mitbestimmung stark ist, der Goodwill im Verhältnis zum Eigenkapital geringer ist als in weniger stark mitbestimmten Unternehmen und demzufolge weniger Risiken aus solchen Deals bestehen.“ Die genauen Wirkungszusammenhänge müssten noch erforscht werden. Die Forscher vermuten, dass die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat dazu beiträgt, dass vom Management geplante Deals sorgfältig begleitet werden.

Marc Eulerich, Benjamin Fligge, Robert Scholz, Sigurt Vitols, Sebastian Campagna: Unternehmenskäufe und -übernahmen in Deutschland, Entwicklung, Goodwill und Mitbestimmung, Mitbestimmungsreport Nr. 74, Juli 2022

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