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HBS Böckler Impuls

Vereinbarkeit: Wenig Verständnis für pflegende Männer

Ausgabe 09/2015

Viele Beschäftigte pflegen Angehörige. Darunter sind immer mehr Männer mit Vollzeitstelle. Um Job und familiäre Verpflichtung bewältigen zu können, sind sie auf eine Unternehmenskultur angewiesen, die ihre besondere Lage ernst nimmt.

Knapp die Hälfte der 2,6 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland wird ausschließlich von Angehörigen versorgt. Und ein immer größerer Teil der Pflegenden ist erwerbstätig. Den größten Teil der Pflegearbeit tragen nach wie vor Frauen, doch immerhin 28 Prozent der Hauptpflegepersonen waren 2010 Männer. Rechnet man alle Personen ein, die mindestens eine Stunde am Tag Pflegedienst leisten, steigt der Männeranteil auf 35 Prozent.

Wie schaffen sie es, (Vollzeit-)Job und die Versorgung ihrer unterstützungsbedürftigen Angehörigen unter einen Hut zu kriegen? Dies hat ein Forscherteam von der Universität Gießen sowie den Fachhochschulen Düsseldorf und Köln im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Ihr Fazit: Selbst in Betrieben, die um Familienfreundlichkeit bemüht sind, fehlt es häufig noch an einer pflegesensiblen Kultur.

Die Untersuchung beruht auf elf Fallstudien. Ausgewählt wurden Unternehmen, von denen die Wissenschaftlerinnen besonderes Verständnis für pflegende Mitarbeiter erwarteten, etwa weil sie als familienfreundlich zertifiziert sind. Darunter sind Groß- und Kleinbetriebe aus unterschiedlichen Branchen. Interviewt wurden Arbeitnehmervertreter, Personalverantwortliche und 44 pflegende Männer. Es zeigt sich, dass von diesen Unternehmen eine „vergleichsweise breite Palette von Unterstützungsmaßnahmen angeboten wird“, was allerdings nicht immer eine Garantie dafür ist, „dass diese auch konfliktfrei zur Anwendung kommen“.

Im Zentrum stehen erwartungsgemäß Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit. Aber auch Informationsangebote und -veranstaltungen erweisen sich als hilfreich für die Betroffenen. Entscheidend ist nicht zuletzt die Haltung der Vorgesetzten: Haben sie Verständnis für die Doppelbelastung der pflegenden Mitarbeiter?

Der Umgang mit der Pflegeproblematik erfordere ein besonderes Vertrauensklima, schreiben die Forscherinnen. Denn das Thema gelte als „negativ besetzt“. Assoziiert werden damit Krankheit und Tod. So falle es Beschäftigten schwerer, ihre familiären Zusatzaufgaben durch pflegebedürftige Eltern anzusprechen als neue Arbeitszeitwünsche nach der Geburt eines Kindes.

Insgesamt macht die Studie „vier Arten von Hindernissen“ für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf aus:
Führungskräfte bringen oft nicht das nötige Verständnis auf. Dabei unterschätzen die jüngeren häufig die Belastung durch Pflegeverpflichtungen. Älteren steht gelegentlich ihr traditionelles Rollenbild im Weg: Hilfeleistungen wie Waschen, Anziehen und Unterstützung beim Essen halten sie im Grunde nicht für die Aufgabe ihrer männlichen Mitarbeiter, sondern sehen deren Frauen oder Schwestern in der Pflicht. Auf Unterstützung hoffen können pflegende Männer am ehesten, wenn der oder die Vorgesetzte selbst Erfahrung mit dem Thema hat.

Fehlendes Vertrauen in die Mitarbeiter verhindert häufig die nötige Flexibilität, so die Untersuchung. Daran kann zum Beispiel die Einführung von Vertrauensarbeitszeit oder Homeoffice scheitern.

Der Betrieb kommt zuerst – Unternehmen, in denen dieses Motto gilt, machen es pflegenden Beschäftigten schwer. Wenn die „Ignoranz der privaten Sphäre“ zur betrieblichen Leitkultur gehört, können die Mitarbeiter beispielsweise plötzlich angeordnete Mehrarbeit kaum mit Verweis auf häusliche Pflichten ablehnen.

Leistungsdruck, betriebliche Restrukturierungen und permanente Überstunden, ohne die das Pensum nicht zu schaffen ist: Unter solchen Bedingungen sind Pflegeaufgaben vor Beginn des Arbeitstags oder nach Dienstschluss kaum zu bewältigen. Wer es doch schafft, den zeitlichen Umfang der Erwerbsarbeit unter Kontrolle zu halten, muss mit Karrierenachteilen rechnen, weil Vorgesetzte und Kollegen ihn nicht als hinreichend engagiert wahrnehmen.

Im Übrigen spielen Betriebs- und Personalräte nach Einschätzung der Forscherinnen zwar eine Rolle, vor allem wenn es Konflikte um Vereinbarkeitsregelungen gibt. Sie können jedoch bislang „nicht als zentrale Initiatoren von Maßnahmen ausgemacht werden“. Pflegespezifische Betriebs- oder Personalvereinbarungen sind selten. Dort wo sie vorhanden sind, werden sie von den Beschäftigten jedoch als sehr hilfreich empfunden. Dies gilt vor allem, wenn Regelungen hinreichend Spielraum für individuell zugeschnittene, flexible Lösungen bieten.

  • Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt kontinuierlich. Zur Grafik

Diana Auth u.a.: Wenn Mitarbeiter Angehörige pflegen: Betriebliche Wege zum Erfolg (pdf), Abschlussbericht des Projekts „Männer zwischen Erwerbstätigkeit und Pflege“, April 2015

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