Kinderbetreuung: Wenig Verlass
Ausfälle bei der Kinderbetreuung in Kita oder Ganztagsschule haben im vergangenen Herbst drei Fünftel der erwerbstätigen Eltern erlebt. Es muss dringend mehr investiert werden.
Wenn von Betreuungsengpässen die Rede ist, denken viele zunächst an die zahlreichen Familien, die keinen Platz in einer Kita, bei Tageseltern oder in der schulischen Ganztagsbetreuung ergattert haben. Doch auch ein großer Teil der erwerbstätigen oder arbeitsuchenden Eltern, die für ihr Kind offiziell einen Betreuungsplatz haben, kann sich nicht darauf verlassen. Knapp 60 Prozent von ihnen waren im vergangenen Herbst mit Kürzungen der Betreuungszeiten beziehungsweise kurzfristigen zeitweiligen Schließungen konfrontiert. Zu einem erheblichen Teil mussten die Betroffenen, vor allem Mütter, die Erwerbsarbeitszeit reduzieren, um die Betreuungslücke zu schließen. Das ist ein Ergebnis der neuen Welle der repräsentativen Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung, für die im Dezember 2024 insgesamt mehr als 7500 Erwerbstätige und Arbeitsuchende online befragt wurden, darunter rund 1000 Eltern von Kindern in Betreuungseinrichtungen.
Newsletter abonnieren
Alle 14 Tage Böckler Impuls mit Analysen rund um die Themen Arbeit, Wirtschaft und Soziales im Postfach: HIER anmelden!
„Die Mehrheit der befragten Eltern berichtet von unzuverlässiger Betreuung. Das zeigt, dass der Staat vor einer doppelten Aufgabe steht. Er muss einerseits Betreuungsangebote ausbauen und andererseits die Qualität und Zuverlässigkeit der bestehenden Angebote sicherstellen. Ganz offensichtlich ist schon die personelle Ausstattung der bereits existierenden Angebote nicht ausreichend“, sagt WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch. „Die kommende Regierung muss den Ausbau und die Qualität der Kinderbetreuung priorisieren. Es braucht dauerhafte und verlässliche Mehrinvestitionen in die Kinderbetreuung und den schulischen Ganztag“, so Kohlrausch, die die Befragung zusammen mit den WSI-Forschern Andreas Hövermann und Helge Emmler ausgewertet hat.
Von den insgesamt 1023 befragten Müttern und Vätern, die ihre Kinder in einer Kita, bei Tageseltern oder einer Ganztagsschule in Betreuung gegeben haben, gaben 44 Prozent an, dass die Einrichtung in den drei Monaten vor der Befragung kurzfristig und ungeplant geschlossen hatte, beispielsweise wegen Personalmangels bei Erkrankungen. Bei ebenfalls 44 Prozent kam es zu Verkürzungen der vereinbarten Betreuungszeiten. Da ein Teil der Eltern sowohl mit Kürzungen als auch mit Schließungen zurechtkommen musste, beträgt die Quote der Betroffenen insgesamt 59,2 Prozent. Unter den von Schließungen betroffenen Eltern waren 15 Prozent mit Schließungen an einem Tag konfrontiert, fast 22 Prozent mussten Schließungen an zwei bis fünf Tagen ausgleichen und je knapp vier Prozent sogar an sechs bis zehn beziehungsweise mehr als zehn Tagen.
Die Ausfälle stellen viele Eltern vor große Probleme im Alltag: 32 Prozent der Betroffenen sagen, dass ihre Arbeitssituation von „starken“ oder „äußersten“ Belastungen geprägt sei, gegenüber 24 Prozent unter den nicht betroffenen Eltern.
Dabei sind erwerbstätige Mütter deutlich stärker eingespannt als Väter. Von den betroffenen Männern, die in heterosexuellen Partnerschaften leben, gaben 64 Prozent an, ihre Partnerin sei eingesprungen, um die Betreuungslücke zu schließen. Unter den Frauen sagten das 48 Prozent über ihren Partner. 48 Prozent der betroffenen Mütter und 43 Prozent der Väter haben während der Schließung oder Kürzung der Betreuungszeit Urlaub genommen oder Überstunden abgebaut, um die Betreuungslücke auszugleichen. 33 Prozent der Väter und 40 Prozent der Mütter mussten zeitweilig ihre Arbeitszeit reduzieren. Gerade Letzteres könne die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt vertiefen, warnt Soziologin Kohlrausch: „Wir wissen zum Beispiel aus der Forschung, dass Personen mit geringerer Erwerbsarbeitszeit seltener Zugang zu Weiterbildung haben. Immer wieder Ausfälle in der Kinderbetreuung ausgleichen zu müssen, kann daher durchaus spürbare Konsequenzen für den weiteren Erwerbsverlauf haben.“ Auch Verwandte oder Freunde spielen eine wichtige Rolle, um akute Betreuungskonflikte zu entschärfen.
„Die Befragungsdaten zeigen, wie dringend die Infrastruktur der frühen Bildung und Betreuung und die Arbeitsbedingungen in Erziehungsberufen verbessert werden müssen“, so Kohlrausch. „Zu geringes Angebot und mangelnde Verlässlichkeit bei Kitas und Ganztagsschulen sind längst ein kritischer Engpass für die Berufstätigkeit von Millionen Eltern, insbesondere Müttern. Das passt schon gar nicht dazu, dass gleichzeitig gerne die Forderung erhoben wird, Erwerbstätige sollten ihre Erwerbsarbeitszeit erhöhen. Gerade Mütter, die die Hauptlast der unzureichenden Betreuungsangebote tragen, werden immer wieder als Gruppe genannt, die zu wenig Erwerbsarbeit leiste. Dafür müssen dann aber auch die Voraussetzungen geschaffen werden – und eine wesentliche Voraussetzung ist ein verlässliches und qualitativ hochwertiges Betreuungsangebot“, betont Kohlrausch. „Die dafür nötigen Investitionen sind groß, aber in jedem Fall gut angelegtes Geld. Neben den finanziellen Investitionen braucht es zudem eine Fachkräfteoffensive, da der Ausbau des Betreuungsangebots inzwischen häufig nicht mehr nur am Geld, sondern auch an den fehlenden Fachkräften scheitert.“