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Weiterbildung für alle Böckler Impuls

Bildungszeit: Weiterbildung für alle

Ausgabe 02/2023

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil möchte Beschäftigten eine bezahlte Bildungszeit ermöglichen. WSI-Expertin Magdalena Polloczek erläutert die Hintergründe.

Was ist bisher bekannt über die Pläne des Arbeitsministeriums?

Hubertus Heil und sein Ministerium haben ein „Jahrzehnt der Weiterbildung“ ausgerufen. Mit einem neuen Weiterbildungsgesetz sollen berufliche Umorientierungen und Qualifizierungen unterstützt werden, um die Beschäftigten fit zu machen für die digitale und sozial-ökologische Transformation und um den demografisch bedingten Fachkräftemangel zu lindern. Der vorgelegte Referentenentwurf beinhaltet eine Bildungszeit und Bildungsteilzeit, ein Qualifizierungsgeld für Beschäftigte, denen im Zuge des Strukturwandels ein Beschäftigungsverlust droht, und zudem die Einführung einer sogenannten Ausbildungsgarantie. Beschäftigte, die die Bildungszeit in Anspruch nehmen, sollen Unterhalt in Höhe des Arbeitslosengeldes bekommen. Das wären 60 Prozent des Einkommens für Erwerbstätige ohne Kind und 67 Prozent für Erwerbstätige mit Kind.  

Worauf müssten sich Betriebe einstellen? Was haben sie davon, wenn sie Beschäftigte für Weiterbildung freistellen?

Die Freistellung für die Bildungszeit wird vorab zwischen beiden Parteien vereinbart. Dadurch entsteht kurzfristig eine Personallücke, das stimmt. Doch Betriebe werden zunehmend darauf angewiesen sein, dass sich ihre Beschäftigten weiterbilden und lernförderliche Bedingungen herrschen. Das kann einerseits eine Strategie und Investition zur Zukunftssicherung sein, andererseits auch einen attraktiven Arbeitgeber ausmachen.

In Österreich gibt es bereits seit 1998 die sogenannte Bildungskarenz. Welche Erfahrungen hat man dort gemacht?

Vor allem seit der Wirtschaftskrise ab 2008 ist in Österreich ein deutlicher Anstieg bei der Nutzung der Bildungskarenz zu sehen, auch bei Frauen und Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Doch vor allem machen Höherqualifizierte stark von dieser Option Gebrauch, aufgrund einer höheren Weiterbildungsneigung, aber auch besserer finanzieller Möglichkeiten. Und weil die Zeit häufig für abschlussbezogene Weiterbildungen genutzt wird. 

Wie kann die Finanzierung laufen?

Laut aktuellem Gesetzesentwurf ist geplant, die Bildungszeit über die Mittel der Bundesagentur für Arbeit bereitzustellen. Das Budget der Bundesagentur soll dafür aufgestockt werden. Aktuell wird der Entwurf jedoch noch regierungsintern diskutiert. Vor allem die Abstimmung mit dem Finanzministerium ist wohl die erste große Hürde. 

Wie müsste eine effektive und sozial gerechte Bildungszeit aussehen?

Der Zugang zu Weiterbildungsangeboten sollte gerecht verteilt sein. Noch immer profitieren aber weibliche, ältere oder ausländische Beschäftigte sowie diejenigen, die einfache Tätigkeiten ausüben, seltener als andere Beschäftigtengruppen. Gleichzeitig weisen kleine und mittlere Unternehmen aufgrund ihrer Ressourcen eine geringere Beteiligung auf als Großunternehmen. Durch die Bildungszeit und die Stärkung regionaler Weiterbildungsverbünde besteht die Chance, dass sich die Weiterbildungsaktivitäten insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen erhöhen. Eine „Weiterbildungskultur“ muss erst noch entstehen. 

In Österreich profitieren vor allem Menschen, die schon gut ausgebildet sind. Wie erreichen wir Geringqualifizierte? Mehr umfassende Information und qualifizierte Beratung könnten sicherlich hilfreich sein, um besonders die sozialen Gruppen zu motivieren, die bisher in Sachen Weiterbildung benachteiligt sind. Dabei gilt, dass Beschäftigte vor allem von längeren Weiterbildungsmaßnahmen profitieren. Das spricht generell für den Grundgedanken der Bildungszeit. Nicht zuletzt müssen es sich Beschäftigte schlichtweg leisten können, in Bildungszeit zu gehen. Bei der aktuell sehr hohen Inflationsbelastung ist es für Familien mit niedrigem Einkommen vermutlich schwierig, über einen längeren Zeitraum auf große Teile des Einkommens zu verzichten – auch wenn sich die Weiterbildung langfristig auszahlen mag. Gerade aber Personen mit geringem Einkommen müssten in besonderer Weise für das Thema Weiterbildung sensibilisiert und motiviert werden.

Magdalena Polloczek ist Referentin für Forschungstransfer am WSI

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