Arbeitszeiterfassung: Weit verbreitet, aber teils ohne System
Die Arbeitszeit wird in den meisten Unternehmen erfasst, aber noch nicht überall und oft nicht systematisch.
In etwa der Hälfte der deutschen Betriebe ist Zeiterfassung noch nicht systematisch organisiert. Nachholbedarf besteht vor allem bei Kleinbetrieben und bei Betrieben mit geringfügig Beschäftigten. Das zeigt eine Analyse von Martina Maas vom Institut für Personal und Arbeit in Hamburg und dem ehemaligen WSI-Forscher Hartmut Seifert. Die beiden haben untersucht, wie viele Betriebe die Arbeitszeit erfassen und mit welchen Methoden sie dies tun. Die Untersuchung basiert auf einer Betriebsbefragung aus dem Sozio-oekonomischen Panel.
Die Debatte über die Arbeitszeiterfassung hat an Fahrt gewonnen, nachdem der Europäische Gerichtshof im Mai 2019 Arbeitgeber dazu verpflichtet hatte, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ zur Messung der täglichen Arbeitszeit einzuführen. Das Urteil soll ausufernde Arbeitszeiten eindämmen und Beschäftigte schützen. Auf dieser Grundlage hat das Bundesarbeitsgericht im September 2022 entschieden, dass Arbeitgeber in Deutschland den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit ihrer Beschäftigten aufzeichnen müssen. Während die Erfassung seitdem verpflichtend ist, ist die Art und Weise, wie dies geschehen soll, noch ungeklärt. Im aktuellen Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es, dass die Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung „unbürokratisch“ geregelt werden soll.
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Arbeitszeit im Koalitionsvertrag
Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag für Änderungen im Arbeitszeitgesetz ausgesprochen. Unter anderem ist die Rede davon, „die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit“ zu schaffen und finanzielle Anreize für Überstunden zu ermöglichen. Dies könnte zu teilweise deutlich längeren Arbeitstagen für die Beschäftigten führen. In einer aktuellen Analyse warnen Forscherinnen und Forscher des WSI vor den Folgen: Sehr lange Arbeitszeiten schadeten nicht nur der Gesundheit, sondern auch der Gleichstellung, heißt es darin.
Die überwiegende Mehrheit der Betriebe erfasst die Arbeitszeit der Beschäftigten – und das bereits vor dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts. „Insofern kann man davon ausgehen, dass die meisten Betriebe über mehrjährige Erfahrungen mit der von ihnen verwendeten Methode der Zeiterfassung sowie deren Organisation verfügen“, schreiben die Forschenden. Gut jeder zehnte Betrieb ignoriert die gesetzlichen Vorgaben bislang, darunter häufiger Kleinstbetriebe mit bis zu zehn Beschäftigten. Aber selbst von ihnen erfassen rund 83 Prozent die Arbeitszeit entweder für alle Beschäftigten oder zumindest für bestimmte Gruppen. Am höchsten ist der Anteil in großen Unternehmen: Nur knapp zwei Prozent der Betriebe mit mehr als 250 Beschäftigten bieten überhaupt keine Zeiterfassung an.
Wenn es eine Arbeitszeiterfassung gibt, bezieht sie sich in der Regel auf die gesamte Belegschaft. Gut 11 Prozent der Betriebe geben jedoch an, bestimmte Gruppen auszuschließen. In größeren Betrieben sind Führungskräfte häufiger ausgenommen. Aber auch die Arbeitszeit von geringfügig Beschäftigten wird teilweise nicht erfasst, obwohl dies bereits vor dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts verpflichtend war.
Bisher ist es den Unternehmen freigestellt, wie sie die Arbeitszeit erfassen. Sie können diese Aufgabe selbst übernehmen, sie aber auch an die Beschäftigten oder an Dritte delegieren. In rund 70 Prozent der Fälle überlassen sie die Dokumentation den Beschäftigten selbst. In jeweils 15 Prozent der Betriebe übernimmt der Arbeitgeber diese Aufgabe oder es gibt eine Mischform. Auch bei den Methoden gibt es unterschiedliche Ansätze: Verfahren, bei denen die Beschäftigten ihre Arbeitszeiten selbst aufschreiben, sind mit rund 48 Prozent etwas häufiger als systemische Verfahren mit 42 Prozent. Zu den systemischen Verfahren zählen (digitale) Stempeluhren, onlinebasierte Zeiterfassung oder Tracking per GPS. Bei der händischen Erfassung kommen Formulare, Excel-Listen oder Apps zum Einsatz. Händische Erfassung bedeutet übrigens nicht, dass diese handschriftlich erfolgt, auch hier gibt es elektronische Verfahren. Die systemische Erfassung der Arbeitszeit findet dagegen ausschließlich digital statt.
Martina Maas, Hartmut Seifert: Arbeitszeiterfassung. Aktuelle Befunde zu ihrer Verbreitung und betrieblichen Organisation, WSI-Mitteilungen 2/2025