Quelle: HBS
Böckler ImpulsMindestlohn: Weit unter der Niedriglohnschwelle
Die Mindestlöhne in Europa steigen. Dennoch sind die Untergrenzen immer noch zu niedrig, auch in Deutschland.
Deutschland hat den gesetzlichen Mindestlohn erstmals erhöht: Seit Anfang dieses Jahres liegt er bei 8,84 Euro pro Stunde. Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Staaten ist das allerdings immer noch niedrig, wie der WSI-Mindestlohnbericht zeigt.
Den höchsten Mindestlohn in der EU gibt es in Luxemburg mit 11,27 Euro pro Stunde, dahinter folgen Frankreich, die Niederlande, Belgien und Irland. Deutschland liegt derzeit auf Platz sechs, knapp vor Großbritannien. Bei den Briten wird der in Euro ausgewiesene Wert jedoch durch die aktuelle Entwicklung des Wechselkurses stark unterzeichnet – ohne die deutliche Abwertung des britischen Pfundes im vergangenen Jahr läge das Land weiter vorn in der Rangliste. Inzwischen haben 22 von 28 EU-Staaten eine allgemeine gesetzliche Lohnuntergrenze eingeführt, lediglich in Dänemark, Finnland, Schweden, Österreich, Italien und Zypern existieren keine nationalen, sondern ausschließlich branchenspezifische Mindestlöhne.
In den meisten Staaten wurde der Mindestlohn seit 2016 erhöht. „Damit hat sich der bereits seit einigen Jahren andauernde Trend hin zu einer dynamischeren Mindestlohnentwicklung noch einmal beschleunigt“, sagt Thorsten Schulten vom WSI. Große Zuwächse verzeichneten im vergangenen Jahr die osteuropäischen Staaten: In Rumänien stieg der Mindestlohn nominal um 19 Prozent, in Ungarn um fast 15 Prozent und in Bulgarien um 14 Prozent. In der gesamten EU erhöhten sich die Mindestlöhne im Mittel um fünf Prozent. Angesicht der sehr niedrigen Inflationsraten entsprach dies einem Reallohnzuwachs von 4,6 Prozent und damit dem höchsten Zuwachs seit dem Jahr 2000.
Allerdings: Die hohen Steigerungsraten kommen auch deshalb zustande, weil einige Länder großen Nachholbedarf haben. In der Zeit der Finanzkrise waren die Mindestlöhne kaum gestiegen. „Nach wie vor liegen sowohl der absolute als auch der relative Wert des Mindestlohns in vielen Ländern auf einem Niveau, das kein existenzsicherndes Einkommen ermöglicht“, erklärt Schulten. „Deshalb werden auch in den kommenden Jahren kräftigere Mindestlohnsteigerungen auf der Tagesordnung stehen und die Debatten um eine europäische Mindestlohnpolitik beflügeln.“ Auch das Europäische Parlament hat sich dafür ausgesprochen, dass Lohnuntergrenzen „stufenweise ein Niveau von mindestens 60 Prozent des jeweiligen nationalen Durchschnittslohns“ erreichen sollten. In Deutschland entspricht der Mindestlohn derzeit nur 43 Prozent des Durchschnittslohns eines Vollzeitbeschäftigten.
Thorsten Schulten: WSI Mindestlohnbericht 2017: Hohe Zuwächse in Europa, WSI-Mitteilungen 2/2017