Quelle: HBS
Böckler ImpulsWirtschaftspolitik: Was wichtig wird
Schwierige Zeiten stehen bevor. Die Bundesrepublik ist darauf nicht gänzlich unvorbereitet. Zum Risiko könnte sich die Geldpolitik entwickeln.
Deutschland steht vor mehreren wirtschaftspolitischen Herausforderungen: Die Entlastungspakete der Bundesregierung wirken, allerdings müssten ärmere Haushalte stärker berücksichtigt werden. Auf die offensive Industriepolitik der USA muss eine Antwort gefunden, das Tarifsystem gestärkt und erneuerbare Energien müssen schneller ausgebaut werden. Angesichts der sozial-ökologischen Transformation wird sich der Arbeitsmarkt stark verändern – um Beschäftigte zu unterstützen, braucht es mehr Möglichkeiten der Weiterbildung. So lauten die Eckpunkte eines Ausblicks, den das IMK am Jahresbeginn vorgelegt hat. Neben der Bundesregierung wird es besonders auf die Europäische Zentralbank (EZB) ankommen. Deren schnelle Zinserhöhungen kritisieren die Ökonominnen und Ökonomen als „überzogen“. Eine Fortsetzung dieses Kurses berge große Risiken.
„Die wirtschaftlichen Schocks, die der russische Überfall auf die Ukraine ausgelöst hat, wirken sich auch in Deutschland hart und schmerzhaft aus, und sie sind längst nicht vorbei“, sagt Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK. „Doch aus dem Jahr 2022 konnten wir auch eine positive Botschaft mitnehmen: Das Zusammenspiel von staatlichen, tariflichen und betrieblichen Maßnahmen hat einen härteren Wirtschaftseinbruch abgewendet. Darauf können und müssen wir 2023 aufbauen.“ Das IMK rechnet mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,3 Prozent in diesem Jahr. Im Sommer 2022 waren die Forschenden noch von einer Schrumpfung um 1 Prozent ausgegangen.
Mit den Energiepreisbremsen und der Verlängerung des erleichterten Zugangs zu Kurzarbeit habe die Bundesregierung wichtige Pflöcke eingeschlagen. Die Energiepreisbremsen begrenzten nicht nur die Mehrausgaben der Haushalte, sie verhinderten auch noch stärkere Einbrüche beim privaten Konsum – und stützten damit die Konjunktur. Zugleich sei ausgeschlossen, dass die Zahlungen „zu groß“ ausfielen und dadurch Nachfrage und möglicherweise Inflation zusätzlich anheizten. Das sei ein Vorteil gegenüber Einmalzahlungen wie in den USA. Die Forschenden kritisieren allerdings, dass die Preisbremsen bislang keine Obergrenzen für wohlhabende Haushalte mit hohem Verbrauch umfassen. Die Steuerpflicht für die Entlastungszahlungen treffe allenfalls Spitzeneinkommen und sei daher eher symbolisch. Weitere Entlastungen sollten bedürftigen Haushalten stärker zugutekommen. Finanziellen Spielraum für die öffentliche Hand zur Umsetzung solcher Entlastungen könnten kurzfristig ein vorübergehender „Energiesoli“ für Haushalte mit hohem Einkommen oder ein höherer Spitzensteuersatz schaffen.
Tarifsystem stärken
Die Ökonominnen und Ökonomen des IMK sind optimistisch, dass die Lohnpolitik den „extrem schwierigen Spagat“ schaffen kann, in Zeiten hoher importierter Inflation Einkommen so weit wie möglich zu stabilisieren, ohne die Teuerung anzutreiben. Schon bei der Bewältigung der letzten beiden Wirtschaftskrisen hätten die Sozialpartner einen bedeutsamen Beitrag geleistet und leisteten diesen auch jetzt wieder. Langfristig funktioniere das aber nur, wenn das Tarifsystem stark genug ist. Dazu brauche es mehr Unterstützung durch den Gesetzgeber. Die Möglichkeit, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, sollte vereinfacht und Tarifflucht verhindert werden.
Qualifizierung für neue Tätigkeiten
Die sozial-ökologische Transformation verlangt große Anstrengungen am Arbeitsmarkt und bei der Qualifizierung für neue Tätigkeiten. Dabei muss es verstärkt darum gehen, bislang ungenutzte Potenziale insbesondere bei Arbeitslosen zu heben, analysiert das IMK. Es sei zu begrüßen, dass der bislang im Arbeitslosengeld II geltende sogenannte Vermittlungsvorrang beim neuen Bürgergeld abgeschafft wurde und die Förderung von Qualifizierung und Weiterbildung in den Vordergrund rückt. Damit würden von politischer Seite die richtigen Weichen beim Bürgergeld gestellt, schreiben die Forschenden. Auch bei erweiterten Qualifizierungsmöglichkeiten für Erwerbstätige sehen sie die Ampelkoalition grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Allerdings komme es auf die konkrete Umsetzung an, und die sei noch offen. Die Bundesregierung sollte zudem die Einführung eines generellen Rechtsanspruchs auf Weiterbildung prüfen.
Grundsicherung ausbauen
Die Expertinnen und Experten des IMK bedauern, dass die ursprünglichen Pläne der Koalition zum Bürgergeld verwässert werden mussten, um einen Kompromiss mit den unionsgeführten Bundesländern zu erreichen. Das betreffe etwa das nun geringere Schonvermögen, die kürzere Karenzzeit und vor allem den Wegfall der ursprünglich geplanten sechsmonatigen Vertrauenszeit ohne Sanktionen. Damit bleibe das „grundsätzliche Misstrauen in Bezug auf die Leistungsbereitschaft der Arbeitssuchenden“ auch im Bürgergeld erhalten. Unzureichend seien auch die Verbesserungen bei der Anrechnung von Erwerbseinkommen. Nach wie vor seien die finanziellen Anreize nicht zielführend und die Transferentzugsraten in weiten Einkommensbereichen zu hoch. Die Forschenden sehen aber Möglichkeiten nachzubessern, unter anderem bei den Regelsätzen: „Die Anfang 2023 vorgenommene Erhöhung der Regelsätze war notwendig. Es muss aber letztlich darum gehen, dass eine wirklich soziale Teilhabe durch das Bürgergeld sichergestellt wird, damit es seinen Namen wirklich verdient“, so das IMK.
Risiko Geldpolitik
Eine große Unbekannte stellt die Zinspolitik der EZB dar: „Eine Geldpolitik, die die Zügel zu straff anzieht, könnte die Erfolge des bisherigen Krisenmanagements infrage stellen, ohne ihr Ziel zu erreichen“, warnt IMK-Direktor Dullien. Die Inflation werde aktuell durch stark gestiegene Energiepreise getrieben – dagegen könne die Notenbank jedoch mit Zinserhöhungen wenig ausrichten. Für eine Verfestigung der Inflation durch Preis-Lohn-Spiralen gebe es im Euroraum keine überzeugenden Indizien. „Natürlich ist die starke Teuerung ein großes Problem und ganz besonders für Menschen mit niedrigeren oder mittleren Einkommen“, sagt Dullien. „Aber niemand hat etwas davon, wenn durch zinspolitischen Aktionismus die Konjunktur noch stärker ausgebremst wird und die Stabilität auf dem Arbeitsmarkt verloren geht.“
Entschlossene europäische Industriepolitik
Auch Entwicklungen jenseits des Atlantiks spielen bei den wirtschaftspolitischen Herausforderungen eine wichtige Rolle. Mit dem Inflation Reduction Act (IRA) habe die US-Regierung einerseits einen wichtigen Impuls für eine sozial-ökologische Transformation gegeben, die auch Deutschland und Europa bevorsteht, erklären die Forschenden. Andererseits verstoße der IRA teilweise gegen die Regeln der Welthandelsorganisation und benachteilige Europa. In wichtigen Leitmärkten wie der Batteriezellenproduktion könnten Standortentscheidungen für die USA und gegen die EU fallen. Die EU sollte „ihrerseits eine aktivere Industriepolitik betreiben, um Wirtschaft und Gesellschaft in Europa hin zur Klimaneutralität zu transformieren und damit zukunfts- und krisenfester zu machen“, ohne aber einen Handelskonflikt mit den USA einzugehen, erklärt Dullien. Eine entsprechende Initiative von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire gehe in die richtige Richtung.
Sebastian Dullien u. a.: Zeitenwende erfordert Wirtschaftspolitik mit Augenmaß, Wirtschaftspolitische Herausforderungen 2023, IMK-Report Nr. 179, Januar 2023