Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitszeit und Verdienst: Vorteil Tarif
Wer tarifgebunden arbeitet, arbeitet kürzer und verdient mehr. Für Fachkräfte sind tarifgebundene Betriebe attraktiver.
Betriebe mit Tarifvertrag bieten deutlich bessere Arbeitsbedingungen als vergleichbare Betriebe ohne Tarifbindung. So arbeiten Vollzeitbeschäftigte in tariflosen Betrieben im Mittel wöchentlich 54 Minuten länger und verdienen 11 Prozent weniger als Beschäftigte in Betrieben mit Tarifbindung, die sich im Hinblick auf Größe, Branche, Qualifikation der Beschäftigten und technischen Stand nicht unterscheiden. Dies ist das Ergebnis einer aktualisierten Studie von Malte Lübker und Thorsten Schulten vom WSI. Die Wissenschaftler haben die Entwicklung der Tarifbindung in Deutschland anhand neuer Daten aus dem IAB-Betriebspanel untersucht.
Bei den Löhnen ist der Rückstand der tariflosen Betriebe insbesondere in Ostdeutschland groß. In Brandenburg und Sachsen-Anhalt beträgt die Differenz rund 18 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern sind es 14 Prozent. „Angesichts des Fachkräftemangels haben inzwischen viele tariflose Betriebe in Ostdeutschland Schwierigkeiten, offene Stellen mit qualifiziertem Personal zu besetzen“, sagt Lübker.
Bei der Arbeitszeit sind die Unterschiede in Westdeutschland besonders eklatant: Die Gewerkschaften haben hier bereits in den 1980er- und frühen 1990er-Jahren deutliche Arbeitszeitverkürzungen durchsetzen können, die allerdings nur auf Beschäftigte mit Tarifvertrag Anwendung finden. Derzeit arbeiten Vollzeitbeschäftigte in tariflosen Unternehmen in Baden-Württemberg regulär jede Woche 79 Minuten länger als ihre Kolleginnen und Kollegen bei vergleichbaren Arbeitgebern mit Tarifvertrag, in Bremen sind es 64 Minuten. Über das Jahr gesehen entspricht dies mehr als einer zusätzlichen Arbeitswoche – hinzu kommt, dass Beschäftigte in tariflosen Betrieben oft geringere Urlaubsansprüche haben.
Insgesamt ist die Tarifbindung seit der Jahrtausendwende deutlich gesunken – mit negativen Konsequenzen für breite Bevölkerungsschichten. Während im Jahr 2000 noch etwas mehr als zwei Drittel der Beschäftigten in Deutschland in tarifgebundenen Betrieben beschäftigt waren, lag dieser Anteil im Jahr 2019 nur noch bei gut der Hälfte. „Damit Tarifautonomie funktionieren kann, braucht es neben starken Gewerkschaften handlungsfähige Arbeitgeberverbände, die für ihre jeweilige Branche Standards setzen können“, erklären die Autoren der Studie. Gleichzeitig sei auch die Politik gefordert: So sei in Mecklenburg-Vorpommern die weitgehende Refinanzierung von Tariflöhnen durch die öffentliche Hand ein wichtiger Faktor für die Steigerung der Tarifbindung im Bereich der Kindertagesstätten gewesen. Zudem verfügten Bund, Länder und Gemeinden mit der öffentlichen Auftragsvergabe und der Wirtschaftsförderung über zwei weitere Hebel – sie könnten Tariftreue zur Voraussetzung für die Auftragsvergabe oder Förderung machen. Die Erleichterung von Allgemeinverbindlicherklärungen könne zudem die Reichweite von bereits geschlossenen Tarifverträgen erhöhen.
Malte Lübker, Thorsten Schulten: Tarifbindung in den Bundesländern: Entwicklungslinien und Auswirkungen auf die Beschäftigten (pdf), Elemente qualitativer Tarifpolitik Nr. 89, März 2021