Quelle: HBS
Böckler ImpulsGleichstellung: Vorteil Ost
Frauen sind nach wie vor in vielerlei Hinsicht benachteiligt. In Ostdeutschland steht es um die Geschlechtergleichheit etwas besser als im Westen, bei den Einkommen ist das allerdings nicht nur eine gute Nachricht.
Frauen in Deutschland haben in puncto Bildung, Erwerbstätigkeit und soziale Absicherung in den vergangenen Jahren gegenüber Männern aufholen können, Gleichstellung ist aber längst noch nicht erreicht. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Ost und West: Bei 15 von 22 Indikatoren zu Themen wie Erwerbsbeteiligung, Arbeitszeit, Bezahlung, Führungspositionen oder Absicherung im Alter sind die Abstände zwischen Männern und Frauen im Osten deutlich kleiner als im Westen – allerdings beim Einkommen auf insgesamt niedrigerem Niveau. Das geht aus einem Report zum Stand der Gleichstellung hervor, den WSI-Forscherin Yvonne Lott gemeinsam mit Fachleuten des Berliner SowiTra-Instituts verfasst hat.
Laut ihrer Auswertung haben Frauen im Westen bei der formalen beruflichen Qualifikation weitgehend mit den Männern gleichgezogen, in Ostdeutschland liegen sie sogar leicht vorn. Die Erwerbstätigenquote war trotz Annäherungen zwischen den Geschlechtern in Westdeutschland bei Frauen 2021 noch knapp acht Prozentpunkte niedriger als bei Männern, im Osten betrug die Differenz knapp fünf Prozentpunkte. Zugleich ist in Ostdeutschland die Teilzeitquote bei Frauen zwischen 1991 und 2021 von 18 auf 33 Prozent gewachsen, im Westen von 34 auf 48 Prozent. Auch bei Männern hat der Anteil zugenommen, er betrug allerdings zuletzt in Ost und West nur je 12 Prozent.
Auch deshalb kommen Frauen in Westdeutschland in ihrem Erwerbsjob auf eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit, die acht Stunden unter der von Männern liegt. In den östlichen Bundesländern beträgt der Geschlechterabstand nur knapp fünf Stunden. Deutschlandweit ist der Rückstand in den vergangenen Jahren leicht gesunken. Der Anteil der erwerbstätigen Frauen, die lediglich einen Minijob haben, war 2021 mit 15 Prozent im Westen immer noch fast doppelt so hoch wie im Osten mit knapp 9 Prozent – obwohl er in den vergangenen 20 Jahren vor allem im Westen deutlich kleiner geworden ist. Bei Männern in Westdeutschland beträgt die Quote 9 Prozent, bei Männern in Ostdeutschland knapp 8 Prozent. Von Leiharbeit sind Frauen in West und Ost weniger betroffen als Männer.
Auch bei der Verteilung der Erwerbsarbeit in Partnerschaften gibt es nach wie vor eine innerdeutsche Kluft. In 52 Prozent aller Paarhaushalte ohne minderjährige Kinder in Westdeutschland arbeiten die Beteiligten beide in Vollzeit. Bei 72 Prozent der Haushalte mit Kindern arbeitet der Vater in Vollzeit und die Mutter in Teilzeit. In Ostdeutschland hingegen ist die Vollzeittätigkeit von beiden Beteiligten auch dann die häufigste Konstellation, wenn es Kinder gibt. Dazu passt, dass junge Väter im Osten mit 48 Prozent etwas häufiger Elternzeit nehmen als im Westen mit knapp 43 Prozent.
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Relevant dürften laut der WSI-Analyse in diesem Zusammenhang gerade auch die West-Ost-Unterschiede bei der institutionellen Kinderbetreuung sein, vor allem beim Angebot an Ganztagsplätzen: 2022 wurden in Ostdeutschland 41 Prozent der Kinder unter drei Jahren und 73 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen ganztags außer Haus institutionell betreut. Im Westen waren es nur 15 beziehungsweise 41 Prozent. Dabei sind die Abstände zwischen beiden Landesteilen zuletzt etwas kleiner geworden.
Auch in Sachen Geschlechtergleichheit bei betrieblichen Führungspositionen schneidet der Osten etwas besser ab: Der Frauenanteil auf den obersten Führungsetagen betrug 2020 dort 31 Prozent, in Westdeutschland 26 Prozent. In beiden Landesteilen hat es im Verlauf eines Jahrzehnts allenfalls geringfügige Fortschritte gegeben. Immerhin: Auf der zweiten Führungsebene kommt der Frauenanteil in Westdeutschland mit 39 Prozent dem Anteil an allen Beschäftigten relativ nahe. In Ostdeutschland sind Frauen auf dieser Ebene sogar leicht überrepräsentiert.
Die Unterschiede bei der institutionellen Kinderbetreuung, bei der Arbeitsteilung im Paarhaushalt, bei Minijobs, Führungspositionen und Arbeitszeitdauer tragen wesentlich dazu bei, dass der Gender Pay Gap in Westdeutschland mit 19 Prozent weiterhin deutlich höher ist als in Ostdeutschland mit 7 Prozent. Allerdings gibt es noch einen anderen Grund: Die Stundenlöhne im Osten sind insgesamt deutlich niedriger als im Westen, dabei fällt der Rückstand bei Männern deutlich größer aus als bei Frauen. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die niedrigere Tarifbindung in Ostdeutschland. Die innerdeutschen Trends bei der Rentenlücke entsprechen denen bei der Lohnlücke: Frauen im Osten beziehen im Schnitt eine um rund 16 Prozent geringere gesetzliche Altersrente als Männer, im Westen beträgt der Abstand sogar 39 Prozent.
Um die Gleichstellung voranzubringen, braucht es laut dem Report eine Stärkung der Tarifbindung ebenso wie verpflichtende Vorgaben für Geschlechteranteile in Vorständen und einen erweiterten Geltungsbereich der Geschlechterquote in Aufsichtsräten, die bislang nur greift, wenn Unternehmen börsennotiert und zugleich paritätisch mitbestimmt sind. Darüber hinaus empfehlen die Forschenden unter anderem mehr und bessere Kitas, mehr Vätermonate beim Elterngeld, ausgeglichenere Arbeitszeiten, effektivere Regelungen gegen Diskriminierung und die Aufwertung von frauendominierten Berufen im Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitsbereich.
Svenja Pfahl, Eugen Unrau, Maike Wittmann, Yvonne Lott: Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern auf den Arbeitsmärkten in West- und Ostdeutschland? WSI-Report Nr. 88, September 2023