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HBS Böckler Impuls

Autoindustrie: Vorsprung durch Mitbestimmung

Ausgabe 14/2016

In der deutschen Autoindustrie haben Arbeitnehmer ein gewichtiges Wort mitzureden. Diese Position musste hart erkämpft werden. Wie sich die betriebliche Mitbestimmung bei Volkswagen, Daimler, Opel und Ford in der Nachkriegszeit entwickelt hat, zeigt eine Studie.

Die Autobranche ist eine Schlüsselindustrie in Deutschland – und eine Hochburg der Mitbestimmung. In kaum einer anderen Branche verfügen Arbeitnehmer über so viel Einfluss. Zu verdanken ist das der Arbeit von Betriebsräten in den vergangenen Jahrzehnten, gestützt auf eine starke gewerkschaftliche Verankerung. Dies zeigt eine Analyse von Dimitrij Owetschkin von der Universität Bochum.

In seiner von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsarbeit befasst sich der Historiker mit der Geschichte der betrieblichen Mitbestimmung in der westdeutschen Automobilindustrie. Im Zentrum steht die Entwicklung von 1945 bis in die 1990er-Jahre in vier Unternehmen: Volkswagen, Daimler, Opel und Ford.

Die ersten Jahre nach dem Krieg standen im Zeichen des Aufbaus – das galt sowohl für die Produktion wie auch für die Einrichtung von Interessenvertretungen. Bereits in dieser Phase, so erklärt der Wissenschaftler, wurden viele Grundlagen gelegt, die in späteren Jahrzehnten für die Autoindustrie prägend werden sollten – so wurde beispielsweise der hohe Organisationsgrad von Interessenvertretern schon früh „ein kennzeichnendes Merkmal der Automobilindustrie“. Bei Daimler und Opel konnten Betriebsräte auf Strukturen aus der Weimarer Zeit zurückgreifen. Schon kurz nach Kriegsende bildeten sich starke Gremien, in denen Gewerkschaftsmitglieder die Mehrheit stellten. Anders bei Volkswagen und Ford: Hier mussten die Interessenvertretungen völlig neu aufgebaut werden. Erst nach schwierigen Auseinandersetzungen wurde die IG Metall hier zur bestimmenden Kraft.

Eine der ersten Aufgaben der neuen Betriebsräte stellte die Versorgung der Beschäftigten dar. Zusammen mit der Geschäftsführung organisierten sie die Verteilung von Lebensmitteln, Kleidung, Wohnraum oder Heizmaterial. Nach der Währungsreform 1948 rückten Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen stärker in den Fokus. Mit einem zentralen Anliegen gerieten Betriebsräte früh in Konflikt mit dem Management: der Verbannung von ehemaligen Nationalsozialisten aus den Betrieben. Es kam zu Protesten gegen die Einstellung von belasteten Personen, etwa bei Ford in Köln.Oftmals scheiterten die Forderungen nach Entnazifizierung jedoch am Widerstand der Geschäftsleitung beziehungsweise der Militärverwaltung. Nicht selten kehrten Führungskräfte, die im Zuge der Entnazifizierung entlassen worden waren, nach einiger Zeit in die Unternehmen zurück.

In der Zeit des Wirtschaftswunders bis Anfang der 1970er-Jahre erlebte die Automobilindustrie einen lang anhaltenden Boom. Die Nachfrage nach Arbeitskräften war groß – und die Voraussetzungen für die Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen waren günstig. Zwischen Belegschaft und Interessenvertretern entwickelte sich ein „dienstleistungsförmiges Verhältnis“, schreibt Owetschkin. Gegenüber der Geschäftsführung traten Betriebsräte längst nicht mehr als Bittsteller, sondern als Vermittler auf. Sie setzten sich für höhere Löhne, betriebliche Sozialleistungen sowie in Fragen der Arbeitszeit und Arbeitsbewertung ein. Ein wichtiges Thema war die Verkürzung der Wochen­arbeitszeit: Bei VW und Daimler wurde in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre die 40-Stunden-Woche durchgesetzt.

Anfang der 1970er-Jahre erschütterte die erste Ölkrise die Branche – eine Vorbotin für viele weitere Krisen, die die Autoindustrie in den folgenden Jahrzehnten treffen sollten. Die Absatzzahlen gingen deutlich zurück, ebenso die Zahl der Arbeitsplätze. Der globale Wettbewerb mit anderen Herstellern wurde härter. Gleichzeitig orientierten sich die Unternehmenslenker ab den 1980er-Jahren stärker an den Anforderungen des Kapitalmarkts. Die Folge war ein tief greifender Umbruch innerhalb der Unternehmen, geprägt durch Rationalisierung und Restrukturierung. „Lean production“ hieß das Ziel, eine möglichst schlanke und flexible Produktion. Unter dem verschärften Kostendruck traten Standorte desselben Unternehmens in Konkurrenz zueinander, immer bedroht von einer möglichen Verlagerung oder Schließung des Werks.

Für die Betriebsräte rückte die Sicherung von Standorten und Arbeitsplätzen in den Vordergrund. Dafür waren immer wieder Zugeständnisse nötig. Meist bestand der „Beitrag der Belegschaften“ im Abbau übertariflicher Leistungen, in Nullrunden, Kürzungen für Neueingestellte und der Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Besonders die Beschäftigten bei Opel traf es hart. Der Betriebsrat in Bochum akzeptierte beispielsweise, dass Autos von weniger Beschäftigten in kürzerer Zeit gefertigt werden mussten. Eine Schließung des Werks ließ sich aber nur aufschieben.

Obwohl oder gerade weil Betriebsräte spätestens seit den 1990er-Jahren beinahe andauernd als Krisenmanager agierten, war es eine Zeit der Professionalisierung und Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung, konstatiert der Wissenschaftler.

Die Interessenvertreter übernahmen neue Aufgaben, die bis dahin dem Management vorbehalten waren. Sie befassten sich mit Fragen, die das Unternehmen im Ganzen betrafen – sie mussten etwa Geschäftspläne prüfen, eigene Strategien für Investitionen entwerfen, Personalplanung mitbestimmen. Dies ging in vielen Fällen über die gesetzlichen Mitbestimmungsregelungen hinaus, wurde aber vom Management akzeptiert oder sogar gewünscht. Insbesondere bei Volkswagen übernahmen Arbeitnehmervertreter eine aktive Rolle. Die VW-Betriebsräte sahen sich als „Innovationsmotor“ für das Unternehmen, gleichzeitig auch als „Korrektiv der Innovationsrichtung“. Das zeigt sich auch in der aktuellen Situation: Nach dem Skandal um die Manipulation von Abgaswerten übernimmt der Betriebsrat eine führende Rolle bei der Neuorientierung.

Die Arbeitnehmervertreter haben immer wieder eine Vorreiterrolle eingenommen, nicht nur innerhalb ihrer Branche, sondern insgesamt für die industriellen Beziehungen im Land, betont Owetschkin. Neue Herausforderungen zeichnen sich bereits ab: Zwar verfügen Betriebsräte innerhalb ihrer Unternehmen heute über mehr Einfluss. Allerdings sind Unternehmen nicht mehr das, was sie einmal waren. Seit einigen Jahren gehen Autohersteller dazu über, vermehrt Arbeiten in der Produktion und in der Entwicklung an externe Dienstleister, Leiharbeitsfirmen und Zulieferer auszulagern. Was einst in der Hand weniger Großkonzerne war, verteilt sich nun auf eine Vielzahl von Unternehmensnetzwerken. Neue Wertschöpfungsketten entstehen. Die Grenzen zwischen Branchen lösen sich auf. Auch die Betriebsräte werden sich künftig in Netzwerken zusammenschließen – und ihren Einfluss auf Bereiche ausdehnen, die bislang nicht von der betrieblichen Mitbestimmung erfasst sind.

  • Ende der 1950er-Jahre wurden in Westdeutschland rund eine Million Autos hergestellt. Mit Unterbrechungen in Krisenzeiten stieg die Zahl bis heute auf fast sechs Millionen. Grafik als CSV herunterladen Zur Grafik

Dimitrij Owetschkin: Vom Verteilen zum Gestalten. Geschichte der betrieblichen Mitbestimmung in der westdeutschen Automobilindustrie nach 1945, Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Band 185, Bielefeld 2016

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